„Vergiftetes Klima“
Alt-Senator Oskar Peterlini über „seine“ Niederlage beim Referendum zur Verfassungsreform, sein zwiespältiges Verhältnis zur SVP – und über den Pappm-halten-Spruch seines Erzfeindes Karl Zeller.
TAGESZEITUNG Online: Herr Peterlini, sind Sie immer noch der Meinung, dass Italien mit seinem Nein zur Verfassungsreform Südtirol gerettet hat?
Oskar Peterlini: Uns allen wurde eine zentralistische Verfassung erspart, welche die Regionen ihrer Zuständigkeiten beraubt und alle Macht nach Rom verlagert hätte. Sie hatte auch autoritäre Züge, wie die Suprematie-Klausel, die es dem Staat ermöglicht hätte, in alle verbliebenen autonomen Bereiche einzugreifen, wenn es das nationale Interesse oder die juridische und wirtschaftliche Einheitlichkeit erfordert. Kombiniert mit dem Wahlgesetz hätte es die Macht in wenigen Händen konzentriert. In der einzig bestimmenden Abgeordnetenkammer hält die gewinnende Partei 54% der Sitze, wir hätten nichts mehr gezählt. Nicht umsonst wollte sich Südtirol mit einer Übergangsbestimmung davor schützen, die ich als zu schwach empfand.
Ihre Botschaft ist bei den SüdtirolerInnen offenbar nicht angekommen?
Das würde ich nicht sagen. Wo ich Gelegenheit hatte, zu argumentieren, fand ich sehr wohl Zuspruch, vor allem bei jungen und kritischen Menschen. Aber meine Möglichkeiten waren beschränkt. Eine Verfassung ist nicht Jedermanns Sache. Sie zu erklären ebenso nicht. Zwei, drei Interviews und Artikel, Informationen über Facebook mit insgesamt 7.000 Bekannten, wissenschaftliche Studien, die allein in den letzten vier Wochen von über 2.000 Interessierten abgerufen wurden. Aber was ist das bei rund 400.000 Wählern? Die Mehrheit folgte deshalb der SVP, die auch die nötigen Mittel und die entsprechende Organisation hatte, ihre Empfehlung eindringlich zu verbreiten. Die Rai und selbst die TAGESZEITUNG waren äußerst einseitig. Entscheidend war in der letzten Phase die Angstmache.
Wie meinen sie das?
SVP-Exponenten und Medien jagten den Menschen regelrecht Angst ein. Die Börsen würden zusammenbrechen und Italien würde in die Ungewissheit versinken. Viele einfache Leute hatten buchstäblich Angst um ihr Geld. Den „Kleinsparern“ stünden schlechte Zeiten bevor. Der Spread würde steigen, „die Reaktionen der europäischen und internationalen Märkte wären negativ und letztendlich würde jeder einzelne von uns davon betroffen sein“, so wörtlich ein namhafter SVP-Vertreter. Von allem trat das genaue Gegenteil ein. Nach Renzis Rücktritt und noch vor der Bildung der neuen Regierung erlebten die Börsen ein Hoch. Die Wirklichkeit hat die Propagandisten der SVP Lügen gestraft. Doch nun entschuldigt sich keiner für die Schauerpropaganda. Für die Geschwüre der italienischen Politik braucht es Reformen für Wirtschaft, Sicherheit, Justiz, Einkommen, Steuern und Schuldensanierung, aber keine propagandistische Totaloperation am falschen Platz. Es sind ca. 75.000 Gesetze in Kraft, jeden Monat kommen rund vier dazu. Nicht die Geschwindigkeit ist das Problem, sondern die Qualität und Effizienz.
Bei Ihnen hatte man in den vergangenen Wochen oft den Eindruck, Sie würden den Konflikt mit Ihrer Partei suchen?
Ich habe immer frei meinen Standpunkt geäußert, das gehört zu einer freien Meinungsbildung. Das war früher eine Selbstverständlichkeit in der SVP. Bei der Paketabstimmung wurden in jedem Dorf Pro und Contra zur Diskussion gestellt. Diesmal war eine faire Diskussion überhaupt nicht gewünscht. Mir begegnete man nicht mit Argumenten, sondern mit persönlichen Angriffen. Ich habe mich aus Sorge für die Zukunft Südtirols gegen diese Reform gewehrt. Ein zentralistischer Staat ist eine Gefahr für eine Minderheit. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt.
Die Frage noch konkreter: Einerseits legten Sie Wert auf die Feststellung, nicht mehr SVP-Mitglied zu sein, andererseits schlagen Sie doch die Tür nicht zu. Glauben Sie, dass dieses Spiel Sie bei manchen Menschen unbeliebt gemacht hat?
Damit wollte man vom Thema ablenken. Dass ich nicht SVP-Mitglied bin, ist rein zufällig, weil ich bei der Sammlung nicht zu Hause war. Es gab allerdings schwerwiegende Entscheidungen, die ich nicht teilen kann, wie zum Flughafen, zum Verzicht auf so viel Geld durch das Finanzabkommen und eben zur Verfassungsreform. Den Kritikern sage ich: Es ist viel leichter zu kriechen, als mutig zu seiner Meinung zu stehen. Sehr viele schätzen aber ein offenes Wort und eine klare Position.
Im Wahlkampf-Referendum wollten Sie ein bisschen Oppositionsführer sein?
Wissen Sie, was der Unterschied zwischen den Überlegungen der Befürworter und mir war? Die Parlamentarier und der Landeshauptmann versuchten die kurzfristigen Vorteile der guten Beziehungen zu nutzen. Aber Politiker kommen und gehen, die Verfassung bleibt, möglicherweise für Jahrzehnte. Deshalb habe ich alle mit Informationen beliefert, die mich darum fragten. Meine Opposition beschränkt sich auf Inhalte. Ambitionen habe ich keine.
Themenwechsel: Renzi ist vorerst Geschichte. Ist Paolo Gentiloni wirklich nur Renzis Strohmann und/oder Vollstrecker?
Renzi hat seinen Rücktritt selbst verschuldet, niemand hat ihn gezwungen, sein Schicksal mit dem Referendum zu verbinden. Solange die parlamentarische Mehrheit gegeben ist, stellt der PD die Regierung. Das ist klar. Gentiloni ist weder Vollstrecker, noch Strohmann, sondern ein fähiger Politiker, den ich schätze.
Sie selbst waren zu Ihrer aktiven Zeit, als Ihre Kollegin Helga Thaler mit Mitte-Rechts flirtete, Romano Prodis „Liebling“. Was kann die SVP in dieser Übergangsphase autonomiepolitisch erreichen?
Prodi war ein Staatsmann von europäischem Format und das Klima im Parlament war gut. Jetzt ist es gegen die Sonderautonomien vergiftet, besonders nach dem Referendum. Der Eindruck ist, Südtirol holt sich vermeintliche weitere Privilegien heraus, und die restlichen Gebiete sollen ruhig ausgehungert werden. Eine solche Politik hat keine Zukunft. Ich würde sehr darauf achten, das Klima im Parlament, zu den anderen Regionen und in der öffentlichen Meinung zu verbessern. Wir sollten für erweiterte Autonomien für alle, die es wünschen und können, eintreten (wie es übrigens die Verfassung ermöglicht), statt uns mit kurzfristigen Kleinigkeiten den großen Wurf für einen Ausbau der Autonomie zu vertun.
Eine Frage zu Karl Zeller, der im TZ-Interview nach dem Sieg des Ja in Südtirol erklärt hat, Sie sollten „die Pappm“ halten. Tun Sie Zeller diesen Gefallen?
Ich melde mich sicher nicht zu jedem Tagesgeschehen, das habe ich auch bisher nicht getan. Aber wenn große Sorgen über unsere engere oder weitere Heimat aufwallen, wie es beim Flughafen oder eben bei der Änderung der Verfassung eines Staates ist, werde ich mir sicher von niemandem den Mund verschließen lassen. Die Meinungsfreiheit ist ein wesentliches Element einer freiheitlichen Demokratie.
Warum ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Zeller so zerrüttet?
Ich persönlich habe nichts gegen ihn als Person. Ich würde mir nur wünschen, dass die Diskussion auf der sachlichen Ebene bleibt. Ich verwende keine beleidigenden Ausdrücke gegen niemanden.
So wie es aussieht, wird im nächsten Jahr gewählt: Wer werden denn die neuen Peterlinis und Zellers der SVP sein?
Die Personen sollten aufgrund ihres Könnens, ihrer Ausbildung und ihres Weitblickes demokratisch ausgewählt werden. Auch sollten es Personen sein, die den Mut haben, ihre Meinung auch gegen den großen Strom zu vertreten. Südtirol braucht mutige Menschen und einen offenen Meinungsaustausch.
Interview: Artur Oberhofer
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