Hoffnungsloser Fall
Seit Jahren versucht das Land verzweifelt, Südtirols Impfraten zu steigern. Aktuelle Daten zeigen: Die Zahl der geschützten Kinder ist im letzten Jahr sogar gesunken.
Von Anton Rainer
Wenn Thomas Schael seine zum Markenzeichen gewordene Fliege einmal beiseite legt und im T-Shirt vor die Medien tritt, muss es dafür einen triftigen Grund geben. Im konkreten Fall hat der Generaldirektor im Sanitätsbetrieb die Grippeimpfung zur Chefsache erklärt – zur Freude von Pressefotografen und Marketingabteilungen.
Dabei ist es nur eine von vielen Kampagnen, die das Land in den vergangenen Jahren vorantrieb, um gemeinsam mit Südtirols Bürgern „auf Nadeln“ zu sitzen. Geholfen hat die PR-Offensive kaum: Im letzten Jahr, das beweist eine Landtagsanfrage der BürgerUnion, stagnierten die Impfquoten erneut auf niedrigem Niveau, bei den Pflichtimpfungen sanken sie sogar. Klingt nicht gerade nach einer positiven Entwicklung, oder? „Im Einzelnen zahlt es sich sicher aus, die Wirksamkeit dieser Kampagnen zu überprüfen“, erklärt Martha Stocker, und beklagt eine generelle Impfmüdigkeit in der Bevölkerung. „Es gibt sogar Gruppen, die glauben, dass Impfungen ab sich schädlich sind“, sagt die Gesundheitslandesrätin, „hier werden Ängste geschürt, über die man im Sanitätsbetrieb seit langem Bescheid weiß.“
Ein Anruf bei Dagmar Regele bringt Klarheit: Die Direktorin der Abteilung Gesundheitsvorsorge zeigt sich ebenso enttäuscht über die geringen Erfolge in der Impfprävention (siehe Tabelle). Sie sagt: „Italien- und europaweit ist ein Rückgang der Durchimpfungsraten zu beobachten. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Angst vor bestimmten Krankheiten heute nicht mehr präsent ist.“ Ein gutes Beispiel: Die Kinderlähmung. „Seit sehr vielen Jahren gibt es hierzulande keine Fälle mehr“, erklärt Regele, „deswegen kennen jüngere Generationen die Krankheit nicht mehr, sie ist in Europa praktisch ausgerottet. Bei niedrigen Durchimpfungsraten aber besteht die Gefahr, dass sie wieder eingeschleppt wird.“
Kinderlähmung ist eine von vier Krankheiten, für die eine Pflichtimpfung vorgesehen ist, eine Deckung von 95 Prozent wird laut Weltgesundheitsorganisation dringend empfohlen. In Südtirol ist man davon weit entfernt: Von Ausreißern wie der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs (+5,7 Prozentpunkte) und Windpocken (+1,3) abgesehen sanken die Quoten im letzten Jahr für gleich mehrere Krankheiten – und das trotz umfangreicher Werbemaßnahmen.
Neben Plakataktionen und Inseraten versuchte man es 2015 sogar mit einer speziellen Impf-Prämie, die Südtirols Hausärzten den Nadelstich mit finanziellen Anreizen schmackhaft machen sollte. Am Ende wurde der Landesfonds mangels Erfolgsmeldungen zwar nicht ausgeschüttet, in der Bevölkerung aber kam eine zweifelhafte Botschaft an: Wie gesund kann eine Impfung sein, wenn Ärzte dafür bestochen werden müssen?
„Die Prämie für Grippeimpfungen wurde von Impfgegnern teilweise so aufgebauscht, als würde man die Ärzte fürs Impfen kaufen“, erinnert sich Dagmar Regele, „und das obwohl derartige Anreize für Projekte im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung ein ganz normaler Teil der Vergütung sind.“
Fakt ist jedenfalls: Die Zahl jener Südtiroler, die sich weigerten, ihren Kindern wenigstens die Pflichtimpfungen zu ermöglichen, stieg in den letzten Jahren unaufhaltsam. 1.887 Strafen zwischen je 51 und 89 Euro wurden noch 2012 einkassiert, 2014 waren es schon 2.190. Taugen diese Sanktionen überhaupt etwas? „Der eine oder andere lässt seine Kinder impfen, wenn die Zahlungsaufforderung ins Haus flattert“, heißt es aus dem Gesundheitsbetrieb, „wirkliche Impfgegner aber zahlen die Strafe in jedem Fall.“ Noch höhere Strafen oder gar tiefgreifende Aktionen wie ein Kindergartenverbot für ungeschützte Kinder könnten diesbezüglich sogar kontraproduktiv sein – und Impfgegner in ihrem Verfolgungswahn bestätigen. Dann noch besser „korrekte Information“, so Dagmar Regele, wie auch immer man sie an den Mann bekommt.
Übrigens: Auf den Einkaufspreis, den der Sanitätsbetrieb für seine Nadelstiche bezahlt, hatten die sinkenden Quoten offenbar keinen Einfluss. Die Gesamtkosten für Impfstoffe und Impfungen betrugen 2014 noch rund 2,6 Millionen Euro. Ein Jahr später waren es 2,8.
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