Reform oder Mogelpackung?
Was ändert sich, wenn die Italiener am 4. Dezember mehrheitlich Ja zur Verfassungsreform von Matteo Renzi sagen? TAGESZEITUNG Online bringt die acht wichtigsten Eckpunkte.
Von Matthias Kofler
Am 4. Dezember sind alle Bürger Italiens dazu aufgerufen, beim Referendum über die von Ministerpräsident Matteo Renzi und Regionenministerin Maria Elena Boschi ausgearbeitete Verfassungsreform ihre Stimme abzugeben. Stimmberechtigt sind alle, die am Tag der Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet haben und in den Wählerlisten eingetragen sind.
Am Wahltag sind die Wahlämter von 7 bis 23 Uhr geöffnet. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich in das auf dem Wahlausweis angegebene Sektionswahlamt begeben und ihren Wahlausweis sowie einen Personalausweis vorlegen. Die Auszählung der Stimmen beginnt unmittelbar nach Schließung der Wahllokale.
Doch was ändert sich für Italien und für Südtirol, wenn die Bürger mehrheitlich Ja zur Reform sagen? TAGESZEITUNG Online listet die acht wichtigsten Neuerungen auf.
1.) Das Ende des perfekten Zwei-Kammer-System
Die Abgeordnetenkammer wird zum zentralen Legislativorgan. Sie besteht weiterhin aus 630 Mitgliedern, die in allgemeinen Wahlen vom Bürger ernannt werden. Die Regierung hängt nicht mehr vom Vertrauen des Senats ab, sondern muss sich nur mehr in der Abgeordnetenkammer einer Vertrauensabstimmung unterziehen. Das Ziel der Reform ist es, die Gesetzgebung in Italien zu beschleunigen. Kritiker befürchten, dass die Regierung gegenüber dem Parlament zu mächtig wird.
2.) Der neue Senat
Die Zahl der Senatoren wird von 315 auf 100 reduziert. Fünf Senatoren werden vom Staatspräsidenten ernannt und bleiben sieben Jahre im Amt. Die restlichen 95 Senatoren werden von den 20 Regionalräten, also den regionalen Legislativorganen gewählt. 74 dieser 95 Senatoren sind selbst Regionalratsabgeordnete, die 21 verbleibenden Senatoren sind jeweils Bürgermeister in einer Gemeinde der Region, die sie ernennt. Der Wahlmodus wird mit einem eigenen Wahlgesetz geregelt. Die zur Wahl stehenden Politiker müssen mindestens 40 Jahre alt sein. Die derzeitigen Senatoren auf Lebenszeit behalten ihr Mandat. Künftig werden aber keine neuen Senatoren auf Lebenszeit mehr ernannt. Die Senatsmitglieder erhalten kein zusätzliches Gehalt, weil sie bereits für ihren „Erstjob“ bezahlt werden. Sie genießen weiterhin politische Immunität. Der Senat wird ständig erneuert, da mit Ablauf der Legislatur- bzw. Verwaltungsperiode in den Regionen und den Gemeinden auch das Mandat der Senatoren verfällt.
3.) Die Kompetenzen des Senats
Der Senat nimmt nur mehr in einigen wenigen Bereichen eine Gesetzgebungsfunktion wahr: bei Verfassungsänderungen, der Ratifizierung internationaler Abkommen, bei Europafragen, den Wahlgesetzen auf Lokalebene sowie bei Gesetzen über die Referenden. Für alle anderen Bereiche ist ausschließlich die Abgeordnetenkammer zuständig. Allerdings hat der Senat die Möglichkeit, innerhalb von zehn Tagen nach Verabschiedung eines Gesetzes auf Anfrage eines Drittels seiner Mitglieder das Gesetz einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Binnen 30 Tagen kann der Senat mit absoluter Mehrheit der Kammer Änderungsvorschläge zum Gesetzestext vorlegen. Die Kammer ist nicht verpflichtet, diese Anpassungen vorzunehmen. Der Senat gibt weiters – immer mit absoluter Mehrheit – ein Gutachten zu den Bilanzgesetzen ab, wobei er dafür zwei Wochen Zeit hat. Das letzte Wort hat aber immer die Kammer.
4.) Die Wahl des Staatspräsidenten
Der Staatspräsident wird in gemeinsamer Sitzung von Kammer und Senat geheim gewählt. In den ersten drei Wahlgängen ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, ab dem vierten Wahlgang reicht eine Dreifünftelmehrheit der Wahlberechtigten, ab dem siebten Wahlgang eine Dreifünftelmehrheit der effektiv abstimmenden Wahlberechtigten.
5.) Die Referenden
Die Unterschriftenhürde zur Abhaltung eines Referendums aufs Staatsebene wird von 500.000 auf 800.000 erhöht. Nach 400.000 gesammelten Unterschriften gibt das Verfassungsgericht bereits ein präventives Gutachten zur Rechtmäßigkeit des Referendums ab. Künftig sind auch Referenden zulässig, mit denen neue Gesetze eingeführt werden. Bislang konnten nur bestehende Gesetze abgeschafft werden. Die Unterschriftenhürde für solche Volksinitiativen wird von 50.000 auf 150.000 erhöht.
6.) Die Wahl der Verfassungsrichter
Das Parlament wählt weiterhin fünf der 15 Verfassungsrichter. Die Wahl erfolgt nicht mehr in gemeinsamer Sitzung von Kammer und Senat, sondern durch separate Wahlen in den beiden Versammlungen. Der Senat wählt zwei Richter, die Kammer drei. Für die Wahl ist in den ersten beiden Wahlgängen eine Zweidrittelmehrheit notwendig, ab dem dritten Wahlgang reicht eine Dreifünftelmehrheit.
7.) Die Abschaffung des CNEL und der Provinzen
Die Reform sieht die Abschaffung des Nationalrats für Wirtschaft und Arbeit (Artikel 99 der Verfassung) vor. Innerhalb von 30 Tagen nach Inkrafttreten des neuen Verfassungsgesetzes wird ein außerordentlicher Kommissar ernannt, der die Liquidierung und die Umverteilung des Personals am Rechnungshof vornimmt. Auch die 110 Provinzen werden endgültig aus der Verfassung gestrichen. Dafür werden die „vorbildhaften“ Regionen, die ihren Haushalt in Ordnung haben, eigens erwähnt.
8.) Die Kompetenzen der Regionen
In Südtirol wird am heftigsten über diesen Bereich der Verfassungsreform – den Titel V – gestritten. Kritiker sprechen sich gegen die zentralistische Grundtendenz der Reform ab. Die SVP wiederum hebt hervor, dass Südtirols mittels einer Schutzklausel bis zur Überarbeitung des Autonomiestatuts von den Änderungen nicht betroffen ist. Die Reform entzieht den Regionen mit Normalstatut Kompetenzen, die sie bei der letzten Reform 2001 erhalten haben, etwa in den Bereichen Energie, Verkehr, Zivilschutz und Tourismus. Die konkurrierende Gesetzgebung zwischen Staat und Regionen in den Bereichen Umwelt, Arbeitssicherheit oder Energie wird abgeschafft, die Kompetenzen des Staates nehmen zu. Mit der Reform werden auch Kriterien eingeführt, die die Arbeit der öffentlichen Verwaltungen effizienter gestalten sollen. Bei nachweislicher Missachtung dieser Kriterien können die Lokal- oder Regionalvertreter ihres Amtes enthoben werden. Weiters darf das Gehalt der Politiker künftig nicht mehr höher ausfallen als jenes des Bürgermeisters der regionalen Landeshauptstadt.
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