„Kaiser ohne Volk“
Sven Knoll von der Süd-Tiroler Freiheit ist davon überzeugt, dass der LH und die SVP nach dem Waterloo beim Flughafen-Referendum nun auch bei der Verfassungsreform eine Abfuhr durch ihr eigenes Wählervolk erhalten werden.
TAGESZEITUNG Online: Herr Knoll, warum schenken Sie Ihren Leuten nicht reinen Wein ein und sagen offen, dass es Ihnen nicht um die Verfassungsreform geht, sondern einzig und allein darum, Nein zu Italien zu sagen?
Sven Knoll: Weil dies nicht der Wahrheit entspricht. Man braucht sich nur die Tatsache anzusehen, dass alle Südtiroler Oppositionsparteien – egal ob links oder rechts – gegen diese Verfassungsreform sind. Die Grünen stehen sicher nicht im Verdacht, für die Selbstbestimmung zu sein. Es geht um etwas ganz anderes …
Nämlich?
Es geht um die zentrale Frage, ob diese Verfassungsreform langfristig ein Nutzen oder ein Schaden ist. Wir sind davon überzeugt, dass sie ein großer Schaden ist.
Warum?
Weil dadurch Italien zentralisiert würde …
… was nicht unbedingt eine neue politische Stoßrichtung in Italien ist …
Stimmt, aber wir haben es mit einer neuen Qualität des Zentralismus in Italien zu tun. Die Föderalismusversuche sind kläglich gescheitert. Anstatt die wirtschaftlichen und politischen Probleme in Italien zu lösen, gibt man jetzt den Regionen und vor allem den Regionen mit Sonderstatut die Schuld. Der Ausweg sollen eine Zentralisierung des Staates eine starker Mann sein. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn der größte Feind der Autonomie ist der Zentralismus. Der Zentralismus ist per se der Widerspruch zur Autonomie.
Ist Ihre geheime Strategie nicht: Wenn Matteo Renzi fällt, kommen Grillo und Salvini an die Macht, Italien wird instabiler, das spielt Ihnen und anderen Sezessionsbewegungen in die Hand …
Dies würde uns tatsächlich in die Hände spielen, wenn wir mit der SVP eine Regierung in Südtirol hätten, die einen konsequenten Weg geht so wie wir. Sie können aber sicher sein: Die SVP wird auch dann noch bei Italien bleiben, wenn der Staat zusammenbrechen und Italien nur mehr aus Südtirol bestehen würde. Die SVP kann sich keine andere Zukunft als bei Italien vorstellen.
Aber sollte Italien aus dem Euro aussteigen, wie beispielsweise Lega-Chef Salvini dies propagiert, säßen wir Südtiroler nolens volens mit im Boot.
Richtig! Deswegen wollen wir auch so schnell wie möglich aus diesem Boot aussteigen. Zweitens: Vor Wahlen wird immer viel angekündigt, das hat man auch in Griechenland gesehen. Aber egal: Diese Zukunftsszenarien können kein Entscheidungsgradmesser für uns sein.
Sie sind davon überzeugt, dass die Verfassungsreform ein Schaden für Südtirol ist?
Ja. Nur ein Beispiel: Wenn wir eine extrem zentralistische Verfassung haben, dann wird auch der Verfassungsgerichtshof die Gesetze und die autonomem Kompetenzen noch zentralistischer, also im nationalen Interesse interpretieren. Das kann nicht im Interesse Südtirols sein.
Wie wird das Referendum am 4. Dezember ausgehen?
Ich hoffe und glaube, dass es eine Mehrheit für das Nein geben wird …
Auch in Südtirol?
Ja, denn welchen objektiven Grund hat Südtirol, für die Zentralisierung des italienischen Staates zu stimmen? Genau das ist die Kernfrage! Italien macht nicht eine Reform, um Südtirol irgendeine Klausel zu geben. Der Geist dieser Reform ist, die gesetzliche Möglichkeit dafür zu schaffen, dass eine Partei alleine regieren kann, ohne dass sie sich mit Koalitionspartnern herumschlagen muss. Renzi geht es darum, seine Macht zu festigen. Es ist dies ein Trend, den wir in ganz Europa beobachten. Wenn die Regierenden nicht mehr das Vertrauen der Bevölkerung haben, machen sie sich ein Wahlgesetz, mit dem sie sich mehr Mandate mit weniger Stimmen garantieren.
Die SVP hat halbherzig ein Ja empfohlen. Wenn tatsächlich das Nein gewinnen sollte, dann wäre die für die SVP …
… es wäre im Grunde ein Misstrauen gegenüber der Regierung Kompatscher, und zwar bereits zum zweiten Mal in einem Jahr.
Sie sprechen das Flughafen-Referendum an?
Ja. Ein Sieg des Nein wäre für die Landesregierung und die Regierungspartei die zweite Abfuhr innerhalb eines Jahres, zwei Mal wollten sie Dinge durchdrücken, die das Volk nicht will. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit SVP-Mandataren, dass sie mit dieser Verfassungsreform selbst nicht glücklich sind. Sie sagen, sie hätten nur zugestimmt, weil der LH vorgeprescht ist. Man habe ihn nicht im Regen stehen lassen wollen.
So gesehen, müssten der LH und der SVP-Chef im Fall eines Sieges des Nein zurücktreten?
Ob sie das tun, bezweifle ich, sie werden sicher wieder Ausreden finden. Aber sie hätten in dem Fall sicher ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn die Bevölkerung zwei Mal im Jahr gegen die Haltung der Regierung bzw. der SVP stimmt, dann sind sie delegitimiert, ohne Zweifel.
Was halten Sie von der Schutzklausel?
Das mit der Schutzklausel hat meine Kollegin Myriam Atz-Tammerle perfekt auf den Punkt gebracht: Diese Verfassungsreform ist so schlimm, dass Südtirol einen Schutz braucht. Jeder vernünftige Mensch muss sich fragen: Wäre es nicht gescheiter, diese Reform von vornherein abzulehnen, anstatt einen Schutz zu verlangen, von dem wir nicht wissen, was er effektiv bringt und dass er nur eine Übergangslösung ist? Der beste Schutz wäre, diese Reform gar nicht anzunehmen.
Die SVP sagt, eine Weiterentwicklung der Autonomie sei nur möglich, wenn das Ja gewinnt.
Die SVP unterschlägt wie so oft die Wahrheit. Die Weiterentwicklung der Autonomie nach der Streitbeilegung war nur möglich, weil die verschiedenen italienischen Regierungen auf die Stimmen der SVP angewiesen war, weil also die Mehrheitsverhältnisse so knapp waren. Wenn die Verfassungsreform durchgeht, hat in Rom eine Partei die Mehrheit …
… und die SVP ist nicht mehr Zünglein an der Waage?
Genauso ist es! Die SVP hat dann in Rom nichts mehr zu sagen. Dieser Zünglein-an-der-Waage-Bonus würde wegfallen.
Interview: Artur Oberhofer
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