„Unterdrückte Wahrheit“
„Siste Signa“ – Zeichen setzen! Die Süd-Tiroler Freiheit tritt für die wissenschaftliche Wahrheit und gegen die faschistische Toponomastik ein.
„Siste Signa“ – Zeichen setzen! So ist es auf dem Siegesdenkmal zu lesen. Die Süd-Tiroler Freiheit ist sich sicher: Zeichen setzen wollte man im Faschismus auch mit frei erfundenen Orts- und Flurnamen, um die „italianità“ des „Alto Adige“ zu suggerieren.
Bis heute werde diese – nur scheinbare – Italianität verteidigt, auch unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Die Wissenschaft dürfe jedoch, so die Süd-Tiroler Freiheit, nicht für italienisch-nationalistische Zwecke instrumentalisiert werden. Die Wissenschaft solle der Wahrheit dienen.
Unter diesem Motto präsentierte die Süd-Tiroler Freiheit am Dienstag auf einer Pressekonferenz einen Beschlussantrag, in dem es um die Perzeption der faschistischen Orts- und Flurnamengebung in Südtirol geht.
Der Beschlussantrag versteht sich als Reaktion auf die Initiative von 48 Professoren der „Accademia della Crusca“ (Sprachgesellschaft zur Bewahrung der italienischen Sprache). Zur Erinnerung: Mitte Oktober wandten sich diese in einem Appell für den Erhalt der so genannten italienischen Toponomastik in Süd-Tirol („Alto Adige“) an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und an alle Institutionen der italienischen Regierung, des italienischen Verfassungsgerichts sowie der Autonomen Provinz Bozen.
In der Initiative, die nicht nur von Sprachwissenschaftlern aus Italien, sondern auch aus Deutschland unterzeichnet wurde, sieht die Süd-Tiroler Freiheit den Versuch, die tolomeisch-faschistische Orts- und Flurnamengebung in Südtirol nicht nur politisch, sondern nunmehr auch noch wissenschaftlich zu rechtfertigen.
Cristian Kollmann, selbst ebenfalls Sprachwissenschaftler und zudem Toponomastikexperte, hält fest: „Die Initiative hält keiner seriösen wissenschaftlichen Gegenprobe stand und muss daher aufs Schärfste verurteilt werden. Selbiges erwarten wir uns mit vorliegendem Beschlussantrag vom Südtiroler Landtag.“
Besonders schädlich für die Reputation der Wissenschaft bezeichnet Kollmann die Behauptung der Unterzeichner, dass Tolomei bei seinen Ortsnamenschöpfungen nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen sei. „So eine Behauptung kann nur jemand aufstellen, der entweder von Wissenschaft keine Ahnung hat oder die wissenschaftliche Wahrheit bewusst unterdrücken will, weil sie nicht in sein ideologisches Konzept passt!“, kritisiert Kollmann.
Anhand von zahlreichen Beispielen lasse sich die angebliche Wissenschaftlichkeit von Tolomeis Namenschöpfungen sehr leicht widerlegen: Collalbo für Klobenstein, Colterenzio für Schreckbichl, Sonvigo für Aberstückl, Cardano für Kardaun, Gleno für Glen, Rencio für Rentsch, Aldino für Aldein, Malles für Mals, Siusi für Seis – all diese und viele weitere so genannte „italienischen“ Orts- und Flurnamen sind entweder von Tolomei frei erfunden bzw. auf Grund von mangelnden sprachhistorischen Kenntnissen falsch rekonstruiert!
Der Landtagsabgeordnete Sven Knoll erinnerte daran, dass es in Südtirol Versuche gab, nicht nur die Orts- und Flurnamen, sondern auch die Familiennamen zu italianisieren. Wissenschaftliche Kriterien hätten auch hierbei nicht gegolten. Hätte Ettore Tolomei nur annähernd linguistische Kenntnisse besessen, hätte er wissen müssen, dass beispielsweise der Familienname Heiss auf Heuss zurückgeht, das zu mittelhochdeutsch hiüße ‚munter‘ gehört.
Doch Tolomei sah im Familiennamen Heiss irrtümlicherweise eine Kurzform von Mathhäus, weshalb er ihn mit Mattia, Mattei, Demattio übersetzte! Darüber hinaus verwies Knoll auf andere Regionen in Europa wie das Aostatal, Katalonien, Galizien, das Baskenland und Estland, wo man längst zur ursprünglichen Orts- und Flurnamengebung zurückgekehrt ist.
Als Mitglied des Ersten Gesetzgebungsausschusses, wo das Thema Toponomastik behandelt wird, berichtete die Landtagsabgeordnete Myriam Atz Tammerle über den Stand der Dinge. Das Thema sei dort immer wieder verschoben worden; auch deshalb, weil gleichzeitig die Sechserkommission eine Durchführungsbestimmung ausarbeite. Atz Tammerle kritisierte, dass die Landesregierung der Sechserkommission überhaupt Mitspracherecht einräume. Schließlich habe Süd-Tirol in der Ortsnamengebung primäre Zuständigkeit.
Statt die überflüssige Sechserkommission sollte die Landesregierung vielmehr die Wissenschaftler zu Wort kommen lassen, und zwar solche, die von der Materie etwas verstehen. Stattdessen gehe man genau in die umgekehrte Richtung: „Geht es nach der SVP, wird im geplanten Beirat für Kartografie, jener Beirat, der somit nach wissenschaftlichen Kriterien die Amtlichkeit der Orts- und Flurnamen feststellen soll, kein Sprachwissenschaftler und schon gar nicht ein Toponomast sitzen! Außerdem wird, wie die Sechserkommission, der Beirat paritätisch besetzt sein, wodurch der ethnische Proporz umgangen wird! Derart grobe Mängel werden wir mit Änderungsanträgen zu beseitigen versuchen!“
Der Landtagsabgeordnete Bernhard Zimmerhofer wies darauf hin, dass auch die Übersetzung von Markennamen nicht nur „marktstrategisch unklug“, sondern zudem „höchst unwissenschaftlich“ sei. Als Beispiel griff Zimmerhofer den Begriff „Stegener Markt“ auf. Bei „Mercato di Stegona“ handle es sich um eine unnötige Übersetzung, die zudem faschistisch belastet sei. „Das Münchner Oktoberfest ist in der ganzen Welt auch nur unter einem einzigen Namen bekannt. Warum müssen die Südtiroler es immer besser wissen?“, fragt Zimmerhofer.
Die Süd-Tiroler Freiheit erwartet sich vom Südtiroler Landtag, dass dieser, so wie im Beschlussantrag vorgesehen, jede Initiative, mit der die Wissenschaft, insbesondere die Sprachwissenschaft, für politische Zwecke instrumentalisiert wird, sowie Versuche, faschistische Orts- und Flurnamen als entfaschistisiertes Kulturgut zu reinterpretieren, missbilligt. Ebenso soll der Südtiroler Landtag aufgefordert werden, den Beschlussantrag denselben Institutionen zur Kenntnis zu bringen, denen der Appell der „Accademia della Crusca“ zugeschickt wurde.
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