Der Senatoren-Streit
Roberto Calderoli und Karl Zeller interpretieren einen zentralen Artikel der Verfassungsreform unterschiedlich. Stehen der Region Trentino-Südtirol künftig vier oder sechs Senatoren zu?
Von Matthias Kofler
Es sind die Kernstücke der neuen italienischen Verfassung, die am 4. Dezember einem staatsweiten Referendum unterzogen wird: die Abschaffung des perfekten Zwei-Kammer-Systems und die Umwandlung des Senats in eine Kammer der Regionen.
Der neue Senat setzt sich aus 95 von den Regionalräten und fünf vom Staatspräsidenten ernannten Mitgliedern zusammen. Die Regionen wählen dabei 21 Bürgermeister und 74 Regionalratsabgeordnete, wobei die Zahl der Senatoren pro Region von der jeweiligen Bevölkerungszahl abhängt. Keine Region erhält weniger als zwei Senatoren.
So weit die Theorie. Doch selbst auf der höchsten Parlamentsebene gibt es große Interpretationsunterschiede, was den neuen Verfassungstext betrifft. So sind sich die Senatoren Roberto Calderoli und Karl Zeller uneinig, wie viele Parlamentarier der Region Trentino-Südtirol im künftigen Senat zustehen werden: vier oder sechs?
Bei seinem jüngsten Auftritt in Bozen schlug der Lega-Politiker und Vizepräsident des Senats Alarm: Seiner Meinung nach läuft Südtirol Gefahr, im neuen Senat gar nicht mehr vertreten zu sein. Er verwies auf Artikel 39, Komma 1, in dem die Provinz Bozen (absichtlich oder unabsichtlich) vergessen wurde.
Der Artikel enthält eine Übergangsbestimmung, mit der die Wahl der Senatoren geregelt wird. Konkret heißt es, dass die Abgeordneten „nur eine einzige Liste wählen können, die sich aus Regionalratsabgeordneten und Bürgermeistern der jeweiligen Region zusammensetzen“. Allerdings werden in dem Artikel nur die Regionalräte und der Landtag der Provinz Trient explizit angeführt. „Diese Regelung gilt also für alle Regionen und das Trentino, nicht aber für Südtirol“, schlussfolgert Calerdoli. „Dadurch könnte die ganze Reform fallen.“
Der Lega-Politiker warf der Regierung (und der SVP) vor, den Artikel absichtlich widersprüchlich geschrieben zu haben. Laut Calderoli kann die Bestimmung so ausgelegt werden, dass der Region Trentino-Südtirol künftig vier Senatoren und der Provinz Trient weitere zwei Senatoren zustehen. Dann käme die Region auf insgesamt sechs Senatoren. Bislang war nur von deren vier die Rede.
Karl Zeller widerspricht seinem Senatskollegen aufs Schärfste: Dies sei „eine abstruse Interpretation“, die Calderoli hier vornehme. Der SVP-Politiker unterstreicht, dass die Wahl der neuen Senatoren noch in einem eigenen Wahlgesetz geregelt werden müsse. Laut Verfassung ist das neue Wahlgesetz innerhalb von sechs Monaten nach der Wahl der Abgeordnetenkammer zu verabschieden.
Dass die Region sechs Senatoren erhält, schließt Zeller aber kategorisch aus: „Um Gottes Willen. Es war schon schwierig, dass man uns vier Senatoren zugesprochen hat, wodurch wir im neuen Senat überproportional vertreten sein werden. Was glauben Sie, wie man in Rom reagieren wird, wenn wir jetzt sechs Senatoren einfordern?“ Der SVP-Senator vergleicht die Aussagen Calderolis mit „den immer wieder vom Abgeordneten Andreas Pöder aufgeworfenen Kritiken“: „Diese Vorwürfe sind allesamt nicht mehr als Fußnoten“, meint Zeller.
Dass der Verfassungstext widersprüchlich verfasst ist, lässt sich aber nicht ganz von der Hand weisen. Denn während Südtirol unter Artikel 39 nicht aufscheint, heißt es unter dem folgenden Artikel 40 des Verfassungstextes: „Die Wahl der Senatoren der Provinz Bozen hat sich an der Zusammensetzung der Sprachgruppen zu orientieren.“
Auch Artikel 57 führt die Provinzen Bozen und Trient eigens an: Dort heißt es, dass beiden Ländern jeweils zwei Senatoren zustehen.
Unklar bleibt, wie die Senatoren nach der von Artikel 39 geregelten Übergangsphase bestimmt werden. Es ist auch nicht festgelegt, nach welchen Kriterien ein Bürgermeister für den Senat ausgewählt werden soll. Die Regierung hat sich bislang nie hinsichtlich des neuen Wahlgesetzes für den Senat geäußert. Die von Roberto Calderoli aufgeworfenen Zweifel lassen sich also bis zur Verabschiedung des Wahlgesetzes nicht vom Tisch fegen.
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