Unser täglich Gras
Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Sicherheitskräfte in Südtirol nicht eine Marihuana-Plantage entdecken. Peter Koler vom Forum Prävention über den Trend zur rauschmittelmäßigen Selbstversorgung.
TAGESZEITUNG Online: Herr Koler, es scheint so, als würde Südtirol zu einer riesengroße Cannabis-Plantage?
Peter Koler: Den Cannabis-Anbau hat es immer schon gegeben. Neu ist vielleicht, dass es heute leichter ist, zu Samen zu kommen.
Inwiefern?
Cannabis-Samen sind im Internet und in den Hanfshops erhältlich.
Ist der Eindruck richtig, dass in der Öffentlichkeit die Hemmschwellen in Bezug auf Cannabis gesunken sind?
Sagen wir es so: Die Haltung, dass es sich bei Cannabis um eine illegale Droge handelt, ist nicht mehr vorherrschend, viele Menschen sehen Cannabis nicht mehr als illegale Droge an.
Deswegen entdecken die Polizeikräfte in letzter Zeit so viele Marihuana-Plantagen?
Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass die Sicherheitskräfte Tipps von Wanderern, Pilzesammlern und Förstern bekommen. Diese erkennen das Kraut und zeigen an.
Ist Cannabis anbauen cool?
Unter den Konsumenten hat sich die Idee breitgemacht, dass man für sich und für Freunde Cannabis anbaut, weil das besser ist, als sich das Gras auf dem Schwarzmarkt zu besorgen.
Viele Jugendliche sagen sich: Ich will nichts kaufen, ich baue das Gras für mich und meine Freunde selbst an …
… so wie früher die Schnapsbrenner?
So ungefähr.
Es ist nicht so, dass Cannabis eine Art Renaissance erlebt?
Von den Zahlen her, also statistisch, gibt es in den letzten 20 Jahren keine großen Veränderungen. Die Zahl der Cannabis-Konsumenten liegt immer bei rund 10 Prozent. Dann gibt es noch eine kleine Gruppe, die viel konsumiert.
Finden Sie es richtig, dass die Sicherheitskräfte in Bezug auf Cannabis so viel Eifer an den Tag legen?
Das müssen Sie die Polizei selber fragen. Cannabis eignet sich sehr gut dazu, Erfolgsstatistiken zu erhöhen.
Sie sehen bei Cannabis keine großen Gefahren?
Was wir brauchen, ist eine Regulierung. Wir brauchen ein Regulierungsmodell, das beispielsweise den Eigenanbau erlaubt. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag liegt ja bereits im Parlament auf.
Das bisherige Modell der Kriminalisierung ist gescheitert?
Alle sind mit dem bisherigen Modell unzufrieden. Die Zahlen der Konsumenten gehen nicht runter. Es hat sich gezeigt, dass die Kriminalisierung nichts bringt. Es blüht der Schwarzmarkt, der Stoff ist unkontrolliert. Das jetzige Modell produziert nichts Gescheites.
Der Leiter von Bad Bachgart, Helmut Zingerle, ist ganz anderer Meinung als Sie …
Unterschiedliche Positionen hat es in der Drogen-Geschichte immer gegeben. Es kommt auf die Grundhaltung an. Ich bin für eine Freizeitkultur, in der man – so wie beim Wein – den Konsum gewisser Substanzen erlauben soll, weil dieser Konsum Teil der menschlichen Kultur und Geschichte ist. Aber damit es so wenige Probleme wie nur möglich gibt, braucht es einerseits ein Regulierungsmodell, und andererseits Hilfs- und Beratungsangebote. So wie beim Bergsteigen.
Helmut Zingerle sagt im Interview, er sehe die Folgen des Cannabis-Konsums jeden Tag …
Tatsache ist, dass man in Ländern, wo der Cannabis-Konsum reguliert wird, etwa in Colorado in den USA oder in Holland, weniger Probleme hat …
Zingerle sagt, ängstliche Personen oder Menschen, die psychisch labil sind, sollten nicht kiffen …
Ich war soeben auf einem Kongress. Auch dort wurde gesagt, dass Menschen mit einer Prädisposition für Schizophrenie nicht kiffen sollten, weil Cannabis diese Krankheit anfeuert. Aber in dieser Studie ging es um Personen, die 350 Gramm im Jahr verkiffen, also ein Gramm am Tag. Sicher kann es da zu Psychosen kommen. Und lassen Sie mich noch etwas in Richtung Helmut Zingerle sagen: Niemand will einen freien Markt so wie beim Alkohol, sondern einen regulierten Markt. Und für Leute, die in Schwierigkeiten geraten, braucht es Beratungsangebote.
Also eine Abkehr von der Repression?
Wenn wir alles beim Alten belassen, landen die Menschen ja auch in der Psychiatrie. Ich habe immer gesagt: Unter Legalisierung verstehe nicht Freigabe und freier Markt. Sondern es braucht eine staatliche Kontrolle darüber, wo und wie angebaut wird und an wen es abgegeben werden kann. Wenn wir in einem demokratischen System sagen, der Konsum ist nicht strafbar, dann muss es auch die Möglichkeit eines nicht strafbaren Erwerbs geben.
Was sagen Sie Eltern, die zu Ihnen kommen und besorgt sind, weil ihr Bub kifft?
Es kommt immer wieder vor, dass Eltern zu mir kommen, die mit ihren Kindern Schwierigkeiten haben. Wenn Kinder nur mehr das Kiffen im Kopf haben und eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten aufweisen oder wenn Phänomene wie soziale Isolation oder schulischer Misserfolg auftreten, dann ist es allerhöchste Zeit, Hilfe zu holen. Wichtig ist es, den Dialog aufrecht zu erhalten. Kontrolle und Strafe allein bringen nichts.
Und wenn Eltern eine Cannabis-Plantage entdecken?
Dann sollten sie mit aller Kraft erklären, dass eine Cannabis-Plantage keine Spielerei ist, sondern dass man wegen so einer Plantage jede Menge Eier kriegen kann.
Interview: Artur Oberhofer
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