Die Anklage
Die Staatsanwaltschaft Bozen hat Anklage gegen fünf Personen wegen der Zugentgleisung am 6. Juni 2012 erhoben. Die ÖBB und die slowakische Wartungsfirma geben sich gegenseitig die Schuld an der Beinahe-Katastrophe.
Von Thomas Vikoler
Augenzeugen berichteten von einem lauten Knall und von einem Zugwaggon, der sich hinter der entgleisten Lokomotive auftürmte. Schauplatz des Zugunglücks am 6. Juni 2012 gegen Mittag: Das erste Gleis im nördlichen Teil des Brixner Zugbahnhofs. Die Lokomotive knallte auf den Bahnsteig, auf den sich zum Glück keine Personen aufhielten. Zwei Maschinisten wurden am Zug leicht verletzt.
Die Staatsanwaltschaft Bozen hat nun, nach dreijähriger Ermittlung zur Klärung des Unfallhergangs, Anklage gegen fünf Personen erhoben.
Der Vorwurf: Fahrlässiges Auslösen eines Zugunglücks. So wie im Strafverfahren zum Zugunglück an der Vinschger Bahn, der mit einem Freispruch endete. In diesem Fall gab es zwar keine Toten, aber – jedenfalls laut Anklageschrift – ein Zusammenspiel aus „Unvorsichtigkeit, Untüchtigkeit, Nichtbeachtung von Verordnungen, Gesetzen und Regeln“.
Angeklagt sind drei Verantwortliche der Gesellschaft ÖBB Technischer Service GmbH, Günther Hek, Engelbert Mayr und Heinz Weber, sowie Vladimir Poor, Geschäftsführer der slowakisch-polnische Firma Zos Trnava und deren Verantwortlicher für die Instandhaltung von Güterwagen, Adrian Majernik.
Der entgleiste Zug ist von einer Lokomotive der Bozner Firma Rail Traction Company AG gezogen worden – dahinter neun ÖBB-Waggons mit Alt-Metall. Insgesamt 1.500 Tonnen, die auf den Brixner Zugbahnhof zusteuerten. Was passiert wäre, wenn sich am Bahnsteig Personen aufgehalten hätten, lässt sich unschwer ausmalen.
Laut auf einem aufwändigen technischen Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft haben sich die Räder des ersten Waggons hinter der Lokomotive von der Achse gelöst. Sie sind wegen der großen Bremshitze bei der Abfahrt vom Brenner-Pass nach innen geschoben worden. Die Ursache für die Entgleisung.
Das Gutachten ergab auch, dass sich die Räder des ersten Waggons deshalb von der Achse gelöst haben, weil die sogenannte Aufpressung nicht mit dem notwendigen Druck erfolgt ist. Die Folge eines Instandhaltungsfehlers in der Remise der Firma ZOS im slowakischen Trnava. Aus den beschlagnahmten Instandhaltungsblättern geht hervor, dass ZOS sich nicht an vorgeschriebene technische Normen hielt.
Zu einem ähnlichen Schluss kam einige Monate nach der Beinahe-Katastrophe im Brixner Zugbahnhof auch die ÖBB-Leitung. Rund 2.000 Waggons, die zuvor von der Firma in der Slowakei gewartet worden waren, mussten erneut überprüft werden. Und es kam die Diskussion auf, ob die Österreichischen Staatsbahnen ihre Waggons nicht besser selbst warten sollten.
Inzwischen beschuldigen sich ÖBB und ZOT gegenseitig, für die Brixner Entgleisung verantwortlich zu sein. Bei ZOT behauptet man, die ÖBB-Zentrale sei über die Probleme beim Aufpress-Druck an den Rädern informiert worden. ÖBB gibt der tschechischen Instandhaltungsfirma die alleinige Schuld an dem Desaster, das auch zivilrechtliche Folgen hat.
Die Gleiseigentümerin Rete Ferroviaria Italiana macht gegen über ÖBB und ZOT einen Schaden von rund eine Million Euro geltend, Rail Traction Company fordert ebenfalls Schadenersatz.
Beide Firmen waren über ihre Anwälte bei der Vorverhandlung am Montag am Landesgericht Bozen vertreten. Sie wollen sich als Zivilpartei in ein etwaiges Hauptverfahren einlassen. Wegen bisher nicht übersetzter Gerichtsakten ins Deutsche (einige der Angeklagten haben Deutsch als Prozesssprache gewählt, andere Italienisch), vertagte Richter Emilio Schönsberg die Verhandlung. In einigen Wochen, sobald die Akten übersetzt sind, soll die Vorverhandlung fortgesetzt werden.
Dass es angesichts der komplexen technischen Thematik zu einem Hauptverfahren gegen die fünf Beschuldigten kommt, gilt als sicher.
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