„Kämpfen müssen wir immer“
Im Forum der 100 ging es um die Arbeit im Konvent der 33, um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gremien sowie um die Vertiefung einzelner Themen mit Francesco Palermo, Peter Hilpold, Heinrich Zanon, Karl Tragust und Stephan Lausch.
Das Forum der 100 und der Konvent der 33 müssen auf Augenhöhe miteinander arbeiten, und was im Forum besprochen wird, soll auf jeden Fall Eingang in die Arbeiten des Konvents finden, erklärte Christian Tschurtschenthaler, Vorsitzender des Konvents, den über 70 Teilnehmern an der heutigen Sitzung des Forums der 100. Er gab einen Bericht über die bisherigen Arbeiten, über die Themen, die bisher besprochen wurden, über die Kontakte mit der „Consulta“ des Trentino und kündigte die nächste Sitzung am 21. Oktober an, bei der es um Europa gehen wird:
„Bei der Streitbeilegung zum Paket war das kein Thema, umso wichtiger ist es, dieses nun in die Überlegungen einzubinden.“ Er stellte fest, dass Gesetzesinitiativen von Südtiroler Parlamentariern, die LH Kompatscher dem Konvent übrigens angekündigt hatte, keine Einschränkung für die Arbeiten des Konvents bedeuten würden. Auch die Mitglieder, die das Forum in den Konvent entsandt hatte, gingen in ihren Berichten über die Arbeiten auf einige Themen ein, die bei den vergangenen Sitzungen für Schlagzeilen gesorgt hatten, so etwa die Frage, ob man über Selbstbestimmung überhaupt diskutieren dürfe oder solle.
Auch im Forum wurde über diese Frage gesprochen: Einige sprachen sich dafür aus, solche Themen auszuklammern, unter den Stellungnahmen schien jedoch die Meinung vorherrschend, dass Selbstbestimmung kein Tabuthema sei, ob man sie nun für sinnvoll halte oder nicht. Aus demselben Grund gab es auch Unmut über Zeitungsberichte, die den Konvent als Nutzlos oder sogar gefährlich hinstellten.
Das Forum der 100 hat sich in verschiedene Arbeitsgruppen geteilt, die einzelne Themen – Ausbau der Autonomie, Rolle der Region, Sprachgruppenerklärung, Proporz, direkte Demokratie, Soziales und Gesundheitswesen u.a. – vertiefen. Einige dieser Arbeitsgruppen haben heute dazu Experten ihres Fachs angehört, denen sie vorab einige Fragen übermittelt haben. So sprach Prof. Peter Hilpold darüber, was man unter Vollautonomie verstehen könne. Diese müsse in einer Zeit, in der Staaten Souveränität an Europa abtreten, nicht so sehr in einer Abgrenzung zum Staat, sondern mehr in einer Integration in Europa gesehen werden, das betreffe die Wirtschaft genauso wie die Schule und ihre Anbindung an das Schulsystem im deutschen Sprachraum. Eine doppelte Staatsbürgerschaft, auf der Grundlage einer direkten Abstammung von österreichischen Staatsbürgern, sieht Hilpold als zusätzlichen Schutz für die sprachliche Minderheit.
„Kämpfen müssen wir immer, aber mit der Schutzklausel haben wir bessere Bedingungen“, meinte Senator Prof. Francesco Palermo, der über die italienische Verfassungsreform referierte. Es sei wahr, dass der Staat damit den Regionen mit Normalstatut Kompetenzen wieder entziehe, aber es seien meist Kompetenzen, die sie gar nicht ausgeübt hätten. Für die Sonderregionen gelte gemäß Schutzklausel die Reform erst, wenn das Statut im Einvernehmen mit der betroffenen Region geändert wurde. Für Südtirol und das Trentino bedeute dieses Einvernehmen wegen der internationalen Ansicherung de facto ein Vetorecht. Palermo mahnte aber, die Schutzklausel auch im neuen Statut zu verankern und auszubauen.
Karl Tragust, Experte im Sozialbereich, sah eine Verankerung der sozialen Gerechtigkeit im Statut als notwendig, gerade in einer Zeit, in der das Soziale immer mehr aus dem öffentlichen Raum in den privaten und individuellen zurückgedrängt wird. So könnte festgeschrieben werden, dass ein Teil der Einnahmen von öffentlichen Betrieben für soziale Bedürfnisse verwendet werden, und eine Garantieklausel sollte bei Steuerreduzierungen die Finanzierung sozialer Grundbedürfnisse sichern. Tragust plädierte auch für die Übertragung der Gesetzgebungsbefugnisse von der Region an die Ländern und für die primäre Zuständigkeit des Landes im Gesundheitswesen.
Eine Bezugnahme im Statut auf die ladinischen Gemeinden im Veneto (Cortina u.a.) wäre nur als behutsame Erwähnung der historischen Gemeinsamkeiten in der Präambel möglich, meinte Heinrich Zanon, ehemaliger Präsident des Landesgerichts, der über Zweisprachigkeit, Proporz, Sprachgruppenzugehörigkeit und Ladinervertretung referierte. Die Festschreibung einer ladinischen Einheitssprache wäre zwar möglich, sollte aber nicht über die Köpfe der Ladiner hinweg beschlossen werden. Eine Zulassung der Ladiner zu Stellenwettbewerben, die der deutschen oder ladinischen Sprachgruppe vorbehalten sind, sah er als mögliche positive Diskriminierung. Ebenso hielt er es für machbar, dass Wettbewerbsprüfungen in der amtlich erklärten Muttersprache des Kandidaten oder aber in beiden Sprachen abgehalten werden. Letzteres wäre besser geeignet, „opportunistische“ Zugehörigkeitserklärungen zu vermeiden, könnte aber auch die Zweisprachigkeitsprüfung und mittelfristig sogar den Proporz erübrigen.
Indirekte und direkte Demokratie gehörten zusammen und sollten sich gegenseitig respektieren, erklärte Stephan Lausch von der Initiative für mehr Demokratie. Derzeit werde die direkte Demokratie von der Politik leider noch als Störfaktor empfunden. Lausch empfahl eine Anpassung des Statuts in dem Sinne, dass grundlegende Gesetze wie jenes über direkte Demokratie oder das Wahlgesetz auch vom Volk vorgeschlagen und abgestimmt werden können. Ebenso sollte die Verfassungssouveränität festgeschrieben werden: Das Statut sei kein Ersatz für eine Landesverfassung, und die Südtiroler und ihre politischen Vertreter könnten darüber nicht abstimmen. Berücksicht werden sollte laut Lausch auch eine Pflicht zur ausgewogenen Information vor Volksabstimmungen.
Nach den Expertenanhörungen berichteten Vertreter der acht Arbeitsgruppen über den Stand der Dinge bei den von ihnen diskutierten Themen. Diese reichen von Wirtschaft bis Schule und Kultur, von Selbstbestimmung über Autonomieaufbau und Region bis zu Zusammenleben, Integration und Mehrsprachigkeit, von Proporz und Sprachgruppenzugehörigkeit bis zu Sozialwesen und Gesundheit sowie direkte Demokratie. Dabei konnten auch einige Zwischenergebnisse vermeldet werden.
Die Arbeitsgruppe Selbstbestimmung wünscht einen Verweis auf diese in der Präambel zum Statut, die Arbeitsgruppe Direkte Demokratie regt eine öffentliche Diskussionsveranstaltung und ein Informationsheft zum Verfassungsreferendum am 4. Dezember an, bei denen Pro und Contra zu Wort kommen sollen. Auch die Arbeitsgruppe Autonomie hat Anregungen fürs Statut, darunter einen erweiterten Grundrechtekatalog, der weiter gefasst sein soll als jener der Verfassung.
Das Forum der 100 trifft sich wieder am 10. Dezember.
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