Der Kurpfuscher
Ein Mann aus dem Wipptal lässt sich in einem Sterzinger Hotel von einem vermeintlichen Natur- und Wunderheiler behandeln. Und erkrankt kurz darauf an einer bakteriellen Meningitis. Was mit dem Arzt aus Österreich nun passiert ist.
Von Thomas Vikoler
Es geschah, daran erinnert sich der Patient genau, am späten Nachmittag des 1. August 2006 in einem Wellness-Center eines Hotels in der Fuggerstadt Sterzing. Er litt an starken Rückenschmerzen und wandte sich an den Arzt, der aus Innsbruck angereist war. Ein vermeintlicher Wunder- und Naturheiler.
„Nach der Injektion habe ich mich gefühlt, wie wenn aus einer Gießkanne Wasser über meinen Hintern geschüttet wurde“, gab der Patient, ein Unternehmer aus dem Wipptal, später im Strafverfahren zu Protokoll. Er hatte sich bald darauf fiebrig gefühlt („wie Grippe“) und wandte sich tags darauf mit starken Kopfschmerzen an die Erste Hilfe des Krankenhauses Sterzing, wo ein „postpunktionelles Syndrom“ festgestellt wurde. Also die Folge einer Injektion.
Die eigentliche Krankheit: Eine fulminante bakterielle Meningitis, deren Auswirkungen den Unternehmer bis heute plagen. Er hat, so sagt er, bleibende Schäden davongetragen. 70 Tage verbrachte er im Krankenstand.
Zehn Jahre nach dem Besuch im Wellness-Center hat die Strafjustiz ihr endgültiges Urteil zu diesem unglaublichen Fall gefällt: Die römische Kassation hat das Verfahren gegen den behandelnden Arzt, M.W., 65, aus Innsbruck, wegen Verjährung eingestellt. „Da wurde in einer Gerichtskanzlei langsam gearbeitet“, bemängelt Nicola Canestrini, der Anwalt des Wipptaler Unternehmers.
Doch wichtig ist für Canestrini der zivilrechtliche Aspekt der Geschichte, und dieser ist für ihn positiv ausgefallen. Die Kassation hat nämlich festgestellt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Injektion im Wellness-Center und der Menengitis gibt. Und dass M.W. den Arztberuf in Italien rechtswidrig ausgeübt hat.
„Wir werden nun in einem Zivilverfahren mehrere hunderttausend Euro Schadenersatz fordern“, kündigt Zivilpartei-Anwalt Canesterini an.
Unbestritten ist, dass M.W. tatsächlich Arzt ist, er hat im fernen Jahr 1968 in Österreich ein Medizinstudium abgeschlossen. 2003 wurde ihm vom österreichischen Gesundheitsminister sogar der Titel Medizinalrat zuerkannt. Wie aus dem erstinstanzlichen Strafurteil aus dem Jahre 2013 hervorgeht (Brixner Außensektion des Landesgerichts, Richter Oswald Leitner), war der Patient bei Dr. W. wegen seines Rückenleidens bereits früher in Behandlung. Um seinen Patienten die Reise nach Innsbruck zu ersparen, habe der Arzt sie in einem Sterzinger Hotel behandelt. Seine Spezialität: Neuraltherapie mit Injektionen von Kochsalzlösungen (mit einem Anteil Cortison, wie sich später herausstellte).
Der Medizinalrat spritzte dem Unternehmer an jenem 1. August sechs Injektionen in den Rücken, drei links, drei rechts. Laut Zeugenaussagen ohne besondere hygienische Vorkehrungen: Eine Einwegspritze und kein Mundschutz, wahrscheinlich keine Handschuhe. In Leitners Urteil heißt es: „Die an sich sterile Einwegspritze ist zum Trägervehikel des für die Krankheit verantwortlichen Bakteriums geworden, was im Falle eines weitgehendst sterilen Behandlungsumfeldes wohl ausgeschlossen hätte werden können“.
Dr. W wurde in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 309 Euro und zur Zahlung der Prozessspesen in der Höhe von 4.500 Euro verurteilt. Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil, die Kassation stellte das Verfahren, wie erwähnt, wegen Verjährung mit 2. März 2015 ein. Die Einschätzung der Sachlage durch die beiden Gerichte teilen die römischen Richter aber vollends. Auch jene, dass der österreichische Arzt in Italien nicht hätte arbeiten dürfen. Er hatte zwar eine Genehmigung des römischen Gesundheitsministeriums eingeholt, sich aber nicht in die hiesige Ärztekammer eintragen lassen. Auch für eine sogenannte „reservierte“ ärztliche Tätigkeit sei dies notwendig, heißt es im Urteil der Kassation.
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