Gefakte Spätgotik
Das Ergebnis ist ein Hammer: Das Holz der von Helmuth Stampfer und der Abteilungsdirektorin des Denkmalamtes Waltraud Kofler-Engl als spätgotisch bestimmten Balkendecke vom Freihof Raminges stammt aus dem Jahr 1793. Die Spätgotik reicht aber nur bis zum Jahr 1525.
von Heinrich Schwazer
In nüchtern wissenschaftlichem Ton fassen Kurt Nicolussi und Thomas Pichler ihre Untersuchung zusammen: „Die Fichtenhölzer konnten eindeutig datiert werden, das Endjahr der Mittelkurve ist 1793. Mit dem Datierungsergebnis kann ein diskutiertes gotisches Alter der untersuchten Bohlenbalkendecke ausgeschlossen werden. Solche Deckenkonstruktionen sind zwar typisch für die Gotik, hier liegt aber offensichtlich ein Beispiel aus deutlich späterer Zeit vor.“
Im Streit um die Datierung der Balkendecke des Freihofes in Raminges ist das Ergebnis des dendrochronologischen Gutachtens ein Hammer. 5 Hölzer der vom ehemaligen Landeskonservator Helmuth Stampfer und der Abteilungsdirektorin des Denkmalamtes Waltraud Kofler-Engl als spätgotisch bestimmten Balkendecke vom Freihof Raminges haben die Wissenschaftler der Universität Innsbruck auf ihr Alter hin analysiert, 3 Fichten und 2 Zirben. Die Methode der Jahrringuntersuchungen erlaubt jahrgenaue Datierungen von Fälldaten und, da in früheren Zeiten Holzmaterial vor der Verwendung nicht oder kaum gelagert wurde, auch des Baudatums.
Deutlich später – das bedeutet gut 250 Jahre später, denn die Tiroler Spätgotik umfasst den Zeitraum von ca. 1450 bis 1525. Es handelt sich, neudeutsch gesprochen, um gefakte Spätgotik. Wie also kommt die Abteilungsdirektorin des Denkmalamtes Waltraud Kofler-Engl zu der Behauptung: „Die Balkendecke der Stube ist nachweislich spätgotisch.“ Stilistisch mag es sie recht haben, aber korrekterweise müsste die Klassifizierung lauten: Die Balkendecke der Stube ist im spätgotischen Stil errichtet, stammt jedoch aus einer deutlich späteren Zeit. Hätte sie, da es sich um einen Streitfall handelt, nicht selbst ein dendrochronologisches Gutachten einholen können und müssen?
Hat sie nicht. Stattdessen werden dem Besitzer des Freihofes Klaus Gschnitzer seit Jahren Prügel vor die Beine geworfen. Gschnitzer will den seit 1985 unbewohnten Hof sanieren und als Struktur für Urlaub auf dem Bauernhof nutzen. Etwa 22 Meter daneben plant er einen Neubau zu errichten, den er selber bewohnen will: „Ich möchte den Hof bearbeiten, Tiere halten und ein Gästehaus für Urlaub auf dem Bauernhof betreiben“, sagt er in einem Gespräch mit der Tageszeitung. Weil er daneben einen Neubau mit Flachdach errichten will, schritt das Denkmalamt ein. Für den Hofbesitzer war klar, dass der Denkmalschutz für den historischen Hof nur als Vorwand diente, um das Flachdach am Neubau zu verhindern.
Jüngst hat die Landesregierung auf Antrag des Besitzers – und nicht auf Vorschlag von Landesrat Mussner – eine Entscheidung in der Causa gefällt und den Denkmalschutz für den Freihof aufgehoben. Gschnitzer darf bauen, einzige Auflage: Die spätgotische Balkendecke und die seitliche Wandtäfelung aus der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts muss, wie bereits Stampfer in seinem Gutachten gefordert hatte, erhalten bleiben.
Eine Niederlage für Kofler-Engl, die die Entscheidung in der Wochenzeitung ff scharf kritisierte. Ihr Fachgutachten sei übergangen worden, stattdessen habe man sich an das Gutachten von Ressortdirektor Valentino Pagani und einer Mitarbeiterin gehalten, denen Kofler Engl die fachliche Kompetenz abspricht. Auch das 2006 verfasste Gutachten der Innsbrucker Kunsthistorikerin Hildegard Schmid, die die Balkendecke nicht als spätgotisch klassifiziert hatte, wischt sie vom Tisch: „Die Behauptung, dass es sich bei der Stubendecke nicht um eine gotische handle, ist laut neueren Erkenntnissen noch eindeutiger widerlegbar als 2006.“
Das von Gschnitzer in Auftrag gegebene dendrochronologische Gutachten widerlegt die Behauptung der Abteilungsdirektorin. Gschnitzer hatte seinem Antrag auf Löschung der Denkmalschutzbindung ein Gutachten beigelegt, aus welchen hervorgeht, dass die Stube im Freihof nicht als spätgotisch zu klassifizieren sei – und war abgeschmettert worden.
3 Jahre sind seither verstrichen, Gschnitzer konnte weder mit den Neubau noch mit der Sanierung beginnen, musste hohe Kosten (Prozesspesen, Gutachterkosten, usw.) auf sich nehmen, mehreren Personen wurde die Fachkompetenz abgesprochen, ein angeblich politischer Druck wurde unterstellt und jetzt steht die Frage im Raum, ob die 1986 auferlegte Denkmalschutzbindung möglicherweise gar nicht gerechtfertigt war. Mehr als Kulissengotik hat die Stube nicht zu bieten.
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