Das große Tabu
Abtreibung? Kommt fürs Kino nie in Frage. Zu heikel, zu wenig publikumsfreundlich, zu riskant, ein Tabu.
von Renate Mumelter
1971 haben sich 374 Frauen getraut, in der Wochenzeitschrift „Stern“ mit Foto und Namen dazu zu stehen, dass sie abgetrieben haben, und das obwohl Abtreibung zu der Zeit illegal war. Heute wäre es schwieriger, so viele die Namen und Gesichter zusammenzubekommen. In Südtirol sowieso. Denn obwohl Abtreibung längst legal ist, zählt sie zu den großen Tabus unserer Gesellschaft. Am liebsten redet man nicht darüber, tut auch seine Meinung nicht kund. Wer einen Film dreht oder einen Roman schreibt, stürzt sich lieber auf die x-te Nazigeschichte als so ein heißes Eisen anzufassen.
Anne Zohra Berrached hat sich getraut und mit „24 Wochen“ einen Film über das Thema Spätabtreibung gemacht. Denn ja, es kann auch vorkommen, dass sich erst spät in der Schwangerschaft herausstellt, dass ein Kind mit schweren Beeinträchtigungen zur Welt kommen wird. Genau mit dieser Problematik haben Astrid und Markus und ihre Tochter Nele zu kämpfen. Der kleine Bruder wird nicht nur am Downsyndorm leiden sondern auch an einem schweren Herzfehler. Astrid und Markus müssen sich fragen, was sie können und was nicht, und sie müssen versuchen, dazu zu stehen. Der Film begleitet diese Entscheidungsfindung, und ich gestehe, dass ich mir den ganzen Film hindurch ein mutiges Ende gewünscht habe, kein verlogenes, das von einer heilen Welt kündet, die es so nicht gibt.
Fakt ist nämlich, dass Frauen abtreiben, dass sie es in keinem Fall gerne tun und dass sie nicht darüber reden können, öffentlich schon gar nicht. Da tun sich Akoholiker mit ihren Outings wesentlich leichter, dafür gibt es Verständnis und manchmal Applaus.
„24 Wochen“ ist naturgemäß kein heiterer Film aber ein sehenswerter. Nur die Bilder hätte ich mir etwas weniger bleich und kalt gewünscht, etwas alltäglicher eben.
24 Wochen (D 2016), 103 Min., Regie: Anne Zohra Berrached, mit Julia Jentsch. Bewertung: Ein mutiger Film
Was es sonst noch gibt: Im Lauf der Zeit (Wim Wenders, MI), Nick Cave – One More Time with Feeling (DO), König Laurin
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