„Schämt euch“
Der Sitz des Tourismusvereins Brixen wird nach einem Projekt von Matteo Scagnol neu errichtet, der Bau von Othmar Barth wird abgerissen. Walter Angonese, Architekt und Professor an der „Accademia di architettura der Università della Svizzera italian in Mendrisio, erhebt schwere Vorwürfe.
Tageszeitung: Herr Angonese, Sie haben an Bürgermeister Peter Brunner und an den Architekten Matteo Scagnol ein harsches E-Mail geschrieben….
Walter Angonese: Das trifft zu. Ich hoffe, dass ich damit noch zum Umdenken bewegen kann.
Der derzeitige Sitz vom Tourismusverein wurde von Othmar Barth entworfen. Sie üben harsche Kritik am geplanten Abriss des heutigen Sitzes und am Projekt des Neubaus…
Man kann als Architekt wirklich viel bewegen und die Angst vor der Vergangenheit behindert so manchen Kollegen, aber es gibt auch Grenzen! Diese Grenze wurde mit diesem Projekt eindeutig überschritten. Von Kommerzarchitekten erwartet man sich ja sehr viel, aber wenn ich sehe, wie diese sich bemühen, überregionale Anerkennung zu finden, dann muss ich diesen, als sozusagen älterer Kollege, sagen: Ihr schießt euch da eindeutig und definitiv ins Bein. Ich würde mich in Grund und Boden schämen, Barth so unkritisch zu verscherbeln.
Sie bringen dem Werk von Barth große Wertschätzung entgegen…
Das Werk von Othmar Barth ist für das südliche Tirol im Speziellen und für die Architektur des späten 20. Jahrhunderts im Allgemeinen eine enorme Bereicherung. Eine ganze Generation hat und zehrt immer noch von seinem Erbe – und ich sage das, obwohl ich nie bei Barth studiert habe. Es gibt kaum Arbeiten von Barth, über die man so einfach hinwegfahren könnte. Barth hat für seine Stadt Brixen, die er, wie viele Architekten, heiß geliebt hat, mehrere wunderbare Bauten errichtet. Viele von diesen Bauten sind bis dato viel zu wenig auf ihre Tragweite und ihre nachhaltige architektonische Resonanz aufgearbeitet worden.
Das Projekt hat die einstimmige Zustimmung der Jury erhalten, in der auch Architekten vertreten waren…
Die Jury hatte keine Wahl, der Abbruch war bereits beschlossen. Sie konnte sich nur mehr mit den neuen Projekten befassen und hatte keine Alternative. Wer maßt sich an, den Tourismuspavillon links liegen zu lassen, ihn abzubrechen und nicht an ihm weiterzubauen? Denn ein Weiterbauen wäre möglich – wie bei allen Bauten von Othmar Barth! Weiterbauen ist generell ein Diskussionsthema zeitgenössischer Architektur. Ich finde es anmaßend, wenn man so undifferenziert über Sachen hinwegfährt, noch dazu wenn die architektonische Qualität so augenscheinlich ist. Nehmen wir mal an, dass in Italien, wo wir uns nun mal befinden, nicht diese, für die internationale Welt kaum nachvollziehbaren Bestimmungen in Hinblick auf den Denkmalschutz der architektonischen Moderne existieren würden – dann wäre der Pavillon von Othmar Barth in Brixen schon lange unter Denkmalschutz! Es ist ein Meisterwerk der Einfachheit und Einfachheit ist ein Schlüsselthema der Architektur. Komplexe Einfachheit im Sinne von Johann Joachim Winckelmann: „Edle Einfalt wahre Größe“.
Was sagen Sie zum Projekt von Matteo Scagnol?
Ich will ja gar nicht den Beitrag kommentieren. Der fatale Fehler entsteht im Vorfeld, wenn man beschließt, den Pavillon abzureißen. Architekten müssten bei einer Figur von Barth ein solches Vorhaben kritischer angehen, die Sinnhaftigkeit von Abbrüchen mehr hinterfragen und Alternativen aufzeigen.
Wozu rufen Sie auf?
Macht einen Vorschlag für ein Weiterbauen, macht einen Gegenvorschlag, wie man mit Barth in Brixen weiterleben kann. Es gibt diese Chance. Es gibt einen Beirat, der euch notfalls beraten kann, springt über euren Schatten. Es gibt auch eine andere Dimension, wie der lange Schatten von Othmar Barth. Versucht diesen zu erreichen, die kulturelle Welt wird euch danken, die pragmatische Welt kann damit leben, das Endprodukt wird sich sehen lassen können. Ich fordere die jungen Kollegen auf, nicht zu vergessen und einzugestehen, dass Barth einfach besser war, als wir alle.
Harte Worte…
Bei eklatanten Fehlentscheidungen sind harte Worte angemessen.
Interview: Erna Egger
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