„Keine Pufferzeit“
Wie lange darf ein provinzfremder Arbeiternehmer in Südtirol in einer konventionierten Wohnung bleiben, nachdem er seine Arbeit verloren hat? Die Gemeinde Pfalzen sagt: Er muss sie sofort verlassen – das Oberlandesgericht bestätigt nun diesen restriktiven Kurs.
Von Thomas Vikoler
Landesgesetze sind nicht selten – mit Absicht? – umständlich formuliert oder gar paradox, was insbesondere Richter zur Verzweiflung bringt: „Es erscheint widersprüchlich, wenn einerseits dem Eigentümer einer Wohnung eine Frist von sechs Monaten gewährt wird, um eine freie konventionierte Wohnung zu besetzen, und andererseits die Räumung einer bereits besetzten Wohnung zu verlangen, obwohl der Mieter nur vorübergehend die Voraussetzungen verloren hat. Das führte zur absurden Situation, dass dann, wenn der Mieter seine Arbeit verliert, der Eigentümer die Pflicht hätte, ihn umgehend aus der Wohnung zu entfernen“.
Das schreibt der Bozner Zivilrichter Morris Recla in einem 2013 ergangenen Urteil zu einem kuriosen Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Pfalzen und dem Eigentümer der genannten konventionierten Wohnung.
Die Gemeinde Pfalzen hatte nämlich mitbekommen, dass der dort zusammen mit Frau und Kind wohnende Mieter im Jahre 2009 seine Arbeit verloren hatte, die Partnerin war dagegen als arbeitslos gemeldet. Also verhängte die gestrenge Verwaltung zwei Jahre später gegen den Wohnungseigentümer ein stattliches Bußgeld von 5.840,87 Euro.
Die Vorhaltung: Der Mieter und seine Familie – sie waren kurz zuvor aus einer anderen Provinz nach Pfalzen gezogen – hätten nach de Verlust des Arbeitsplatzes weiterhin die konventionierte Wohnung besetzt. Dies sei aber laut Wohnbauförderungs-Gesetz (Nr. 17/1993) Personen, die nicht seit mindestens fünf Jahren in Südtirol ansässig sind, nicht gestattet.
Die Strafe: Der Vermieter muss der Gemeinde für den Zeitraum der unberechtigten Besetzung der Wohnung den zweifachen Landesmietzins zahlen. „Wird die widerrechtlich besetzte Wohnung nicht innerhalb von sechs Monaten ab Vorhaltung der widerrechtlichen Besetzung geräumt, wird eine Geldbuße in der Höhe des vierfachen Landesmietzinses verhängt“, heißt es weiter im entsprechenden Gesetzesartikel (Gesetz Nr. 13/1997).
Zivilrichter Morris Recla kam nach einer Klage des Vermieters aus Pfalzen zum Schluss, dass die Strafe nicht zu zahlen sei. In der neunseitigen Urteilsbegründung wird die Verwaltung der „irrigen Auslegung“ des Landesgesetzes bezichtigt. Dem Mieter müsse eine „sechsmonatige Pufferzeit“ eingeräumt werden, um sich eine neue Arbeit zu suchen.
Ein Urteil, das nun der Zivilsektion des Oberlandesgerichts unter Vorsitz von Johann Pichler (Urteilsverfasserin: Elisabeth Roilo) gänzlich umgekehrt worden ist. Der gekündigte provinzfremde Arbeitnehmer habe „kein Anrecht auf eine Pufferzeit“, er müsse die Wohnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sofort verlassen, heißt es in der 25-seitigen Urteilsbegründung.
Das Oberlandesgericht bestätigt also den restriktiven Kurs der Gemeinde Pfalzen, der hierzulande nicht üblich ist. Die meisten Südtiroler Gemeinden gewähren im Normalfall eine Sechsmonats-Frist – sofern sie überhaupt nachkontrollieren, ob ein Arbeitsvertrag beendet worden ist oder nicht.
In den zuständigen Landesämtern wird zumeist die Auskunft erteilt, dass die Frist für die Arbeitssuche gewährt werden kann.
Anders sieht es das Oberlandesgericht: „Sinn und Zweck des konventionierten Wohnbaus liegt augenscheinlich darin, die Wohnung allein den vorgegeben Zwecken zuzuführen, anderweitige kommerzielle Nutzungen haben aufgrund der öffentlichen Bezuschussung zu den Baukosten zu unterbleiben“, heißt es in der Urteilsbegründung zur Pfalzner Causa. Wohnungseigentümer hätten ja die rechtliche Möglichkeit, mit Zahlung des ausstehenden Betrags die Löschung der Bindung zu erwirken.
Da es sich bei der Möglichkeit für provinzfremde Arbeitnehmer, eine konventionierte Wohnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses zu besetzen, um eine Ausnahmeregelung im Gesetz 17/1997 handle, sei die Bestimmung „strikt“ zu interpretieren. Dem erstinstanzlichen Richter wirft das Kollegium des Oberlandesgerichts unumwunden vor, die sechsmonatige Pufferzeit schlichtweg „erfunden“ zu haben. Im Gesetz stehe sie jedenfalls nicht.
Und dem Wohnungseigentümer werfen sie eine„große Fahrlässigkeit“ vor: Er habe mit dem aus einer anderen Provinz zugewanderten Mieter einen 4+4-jährigen Mietvertrag abgeschlossen, obwohl dieser lediglich einen Arbeitsvertrag für die nächsten zwei Jahre vorweisen konnte. Die Position seiner Partnerin habe er gar nicht überprüft.
Das Urteil des Oberlandesgerichts, sofern es von der Kassation bestätigt werden sollte, ist dazu geeignet, ein Präzedenzfall für andere Gemeinden auf. Und es drängt sich einmal mehr die Frage auf, ob die strikten Ansässigkeitsbestimmungen zum Autonomiestatut noch zeitgemäß sind.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.