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Die Schwazer-Dossier

schwazer1Der TAGESZEITUNG liegt das knapp 100 Seiten starke Dossier zum mysteriösen Dopingfall Alex Schwazer vor. Die Chronik eines Krimis mit ungewissem Ausgang.

von Artur Oberhofer

Die dreiseitige E-Mail mit dem Vermerk „Strictly Confidential“ („Streng vertraulich“) ging am 21. Juni dieses Jahres aus dem Büro des Anti-Doping-Managers des Internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF) am Quai Antoine 6-8 in Monaco ab. Und zwar an die Adresse: schwoz@…it.

Es ist dies die E-Mail-Anschrift des Südtiroler Leichtathleten Alex Schwazer.

Der Anti-Doping-Administrator des IAAF, Thomas Capdevielle, teilte dem „Dear Mr Schwazer“ mit, dass eine am 1. Jänner dieses Jahres genommene Harnprobe mit dem Code 39599325 positiv auf anabole Steroide getestet worden sei.

Mit dieser E-Mail beginnt ein Dopingfall, in dem es mehr Fragezeichen als Gewissheiten gibt. Ein wahrer Krimi.

Die E-Mail von Thomas Capdevielle an Alex Schwazer

Die E-Mail von Thomas Capdevielle an Alex Schwazer

Der TAGESZEITUNG liegt exklusiv das knapp 100 Seiten starke Dossier zum Fall Schwazer vor. Die Dokumente ergeben ein beklemmendes Gesamtbild: Die Art und Weise wie es zu der positiven Dopingprobe gekommen ist und wie sich der Internationale Leichtathletikverband im Fall Schwazer verhalten hat, legen die Vermutung nahe, dass der Geher aus Kalch das Bauernopfer in einer großen Intrige geworden ist, deren Hintergründe erst noch ausgeleuchtet werden müssen.

Die Dokumente belegen außerdem ganz klar: Alex Schwazer war vor und nach der Probe vom 1. Jänner 2016 absolut „sauber“. Mit über 60 Bluttests war der ehemalige Olympiasieger einer der meistgetesteten Athleten.

Die Kernfrage ist: Wie kam das Testosteron in den Harn, den Alex Schwazer am 1. Jänner abgegeben hat? Und: Warum wurde diese Probe fast vier Monate lang im Dopinglabor aufbewahrt, ehe von höchster (IAAF-)Stelle die Weisung kam, diese Probe noch einmal zu analysieren?

Wusste jemand, dass der Harn kontaminiert ist?

Und hinzu kommt: Warum wurde Alex Schwazer vom positiven Testergebnis, das am 13. Mai feststand, erst am 21. Juni informiert? Wollten finstere Kräfte sicherstellen, dass der Athlet sich nicht mehr verteidigen kann?

Der Reihe nach.

Am Neujahrstag 2016 um 07.00 Uhr tauchen zwei Männer in der Fraktion Kalch in der Gemeinde Ratschings auf.

Ihr Ziel: Das Haus Nr. 3/A. Das Wohnhaus, in dem Alex Schwazer mit seiner Familie lebt.

Die beiden Männer sind Dennis Jenkel und Fabian Hirtinger, zwei Dopingkontrolleure der Firma „Global Quality Sports“ (GQS) mit Sitz am Weichwiesenring 10 in Stuttgart. QGS führt im Auftrag nationaler und internationaler Verbände Dopingkontrollen durch – so auch für den Internationalen Leichtathletikverband IAAF.

Um 07.25 Uhr nimmt Fabian Hirtinger eine Blutprobe von Alex Schwazer. Und eine Harnprobe. Um 08.31 Uhr schließen die Kontrolleure laut Protokoll ihre Arbeit im Haus Schwazers in Kalch ab.

Bereits in dieser Phase kommt es zu schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten.

01-schwazer dossier dokument 11Der Harnprobe Alex Schwazers wird der Code 3959325 zugewiesen. Obwohl laut den einschlägigen Bestimmungen der Internationalen Dopingagentur WADA die absolute Anonymität gewährleistet sein muss, trägt der GQS-Mitarbeiter Dennis Jenkel den Ort, wo er die Dopingprobe genommen, im Formular ein: „Racines, ITA.“

Da in dem Formular auch geschrieben steht, dass es sich bei dem getesteten Sportler um einen Langstreckenathleten („+ 3000 m“) handelt und dass die Probe nicht während eines Wettkampfes („out of competition“) genommen wurde, ist klar, dass es sich nur um den Geher Alex Schwazer handeln kann, der zu Weihnachten ein paar Tage zu Hause ausspannt.

Es gibt in der 4.000-Einwohner-Gemeinde Ratschings keinen anderen Weltklasse- Langstreckensportler.

Somit war die Anonymität nicht gegeben.

Auch in weiterer Folge halten sich die Mitarbeiter der „Global Quality Sports“ nicht an die strikten Vorgaben von IAAF und WADA. Im Gegenteil. Es ist bis heute nicht geklärt, wie die Proben von Kalch (über Stuttgart?) nach Köln in das Biochemische Institut gelangt sind.

Aus den Aufzeichnungen Dennis Jenkels geht hervor, dass der Kontrolleur die Schwazer-Probe am 1. Jänner zwischen 08.35 bis 15.00 Uhr verwahrt hat. Es ist dies die Zeitspanne, innerhalb der Jenkel und sein Mitarbeiter von Kalch nach Stuttgart zurückgereist ist – mit Mittagspause irgendwo auf Halbweg.

Laut IAAF und WADA muss es bei Dopingproben eine „absolute Nachverfolgbarkeit“ geben. Das bedeutet: Jeder Arbeitsschritt muss protokolliert werden, selbst wenn die Probe im Labor vom Raum A in Raum gebracht wird. Und von wem.

Nun geht aber aus den Dokumenten nicht hervor, wie Dennis Jenkel die Probe nach Deutschland transportiert hat. In einem Auto? Wenn ja, in welchem? Wo hat er die Proben aufbewahrt, als er mit seinem Kollegen zu Mittag gegessen hat? Im Auto?

01-schwazer dossier dokument 12Mit anderen Worten: Aus den Unterlagen geht nicht hervor, ob die beiden Dopingkontrolleure aus Stuttgart – so wie von der WADA vorgeschrieben – alle Vorkehrungen getroffen haben, um sicherzustellen, dass die Probe nicht in die Hände Dritter gelangen kann.

Von 15.00 bis 06.00 Uhr früh am 2. Jänner wird die Probe angeblich am Sitz der GQS zwischengelagert. Keine Angaben darüber, wo genau und wie die Probe aufbewahrt worden ist.

Die nächste Merkwürdigkeit: Am 2. Jänner um 06.00 übergibt – laut Protokoll – der Kontrolleur Dennis Jenkel die Probe einem gewissen Herrn Wolfram Jablonski – „by Hand“, so heißt es im Protokoll.

Und dieser Herr Jablonski, von dem nicht angegeben ist, in welcher Funktion er handelt, übergibt dann am 2. Jänner um 10.20 Uhr das Paket mit „1 x Blut und 1 x Urin“ im Institut für Biochemie am Sportpark Müngersdorf in Köln einem gewissen Herrn Kretschmer. Um 15.20 Uhr werden die Proben im Raum R7 eingelagert.

Wer ist dieser Herr Wolfram Jablonski?

Auf der Firmenseite der GQS scheint ein Michael Jablonski auf – es ist dies der Geschäftsführer des Unternehmens.

Das entsprechende Übergabeprotokoll ist von Wolfram Jablonski nicht unterschrieben worden.

All diese Formfehler und noch weitere, teils haarsträubende prozeduralen Unregelmäßigkeiten sind auch Bestandteil des Rekurses, mit dem die Anwälte Gerhard Brandstätter und Tommaso Marchese eine Aussetzung der Sperre Alex Schwazers erwirken wollen.

Wie geht es weiter?

Am (renommierten) Institut für Biochemie in Köln wird die Urinprobe Alex Schwazers am 5. Jänner 2016 untersucht. Das Ergebnis: ein negativer Dopingtest. Das Ergebnis des Tests wird auf der sogenannten Adams-Plattform veröffentlicht, wo ihn auch der Athlet einsehen kann.

Nach 90 Tagen werden die negativen Proben in der Regel vernichtet. Nicht so im Fall Alex Schwazer.

LESEN SIE MORGEN AUF TAGESZEITUNG ONLINE:

Die fragwürdige Rolle des IAAF-Antidoping-Managers Thomas Capdevielle

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