Der Gutachten-Krimi
Im Vorfeld der Entscheidung zur Geburtenstation in Sterzing ist es hinter den Kulissen zu fragwürdigen politischen Manövern gekommen. Wer spielt mit falschen Karten?
von Matthias Kofler
Als Albrecht Plangger am Montagvormittag sein E-Mail-Postfach öffnet, fällt er aus allen Wolken. In einem Schreiben von Parteiobmann Philipp Achammer werden die Bezirksobleute zur Teilnahme an der Sitzung des Parteipräsidiums am Nachmittag eingeladen.
Obwohl der Einladung keine Tagesordnung beigelegt ist, wird der Vinschger SVP-Kammerabgeordneten stutzig: Es könne in der Sitzung nur um die Geburtenstationen zu gehen. Er vermutet eine Nacht-und Nebel-Aktion.
Plangger kontaktiert umgehend seine Kollegen Oswald Schiefer (Unterland) und Meinhard Durnwalder (Pustertal). Die drei Bezirksobleute verfassen ein gemeinsames Schreiben, in dem sie die Landesregierung auffordern, noch keine Entscheidung zu den Geburtenstationen zu treffen. „In Sachen Geburtenstationen wurden noch nicht alle Mittel ausgeschöpft“, schreiben Plangger, Durnwalder und Schiefer und erklären sich mit dem Wipptaler Bezirksobmann Karl Polig solidarisch.
Der Sprecher der Bezirksobleute, Christoph Perathoner, bringt das Schreiben am Nachmittag in der Sitzung des SVP-Präsidiums vor. Plangger selbst kann aus terminlichen Gründen nicht an der Sitzung teilnehmen. Dem Wunsch der drei Bezirksobleute auf eine Aufschiebung des Landesregierungsbeschlusses wird nicht stattgegeben. Stattdessen werden Hans Berger und Albrecht Plangger von der Parteiführung gerügt: Die beiden Parlamentarier sollten endlich damit aufhören, „in Rom gegen die Landesregierung zu arbeiten“.
Die Teilnehmer der Präsidiumssitzung werden darüber in Kenntnis gesetzt, dass zur selben Stunde das technische Komitee zu den Geburtenstationen tagt und ein Gutachten verfasst. Die Landesregierung werde auf Grundlage dieses Beschlusses am Dienstag ihren Beschluss zur Schließung der Geburtenstation von Sterzing verabschieden.
Es beginnt in der Folge ein wahrer Polit-Krimi, den die TAGESZEITUNG auf der Grundlage von Hintergrundinformationen rekonstruieren kann. Dabei kommt heraus: Es gab im Fall des Sterzinger Krankenhauses kein „einstimmiges Gutachten“. Das Gutachten war bestellt.
DIE SITZUNG DES TECHNISCHEN KOMITEES
Am Montag um 17:54 Uhr versendet das Landespresseamt eine Aussendung mit dem Titel „Betreuung rund um die Geburt: Technisches Komitee analysiert Daten“.
Der Sprecher des Komitees, Horand Meier, teilt der TAGESZEITUNG auf Nachfrage mit, dass der Inhalt des angefertigten Gutachtens „von allen Mitgliedern des Komitees geteilt“ werde und „einstimmig verabschiedet worden“ sei. Das Gutachten biete ein ausgewogenes und breit gefächertes Bild zur Situation in den Geburtenstationen in Südtirol. Die Entscheidung über die Zukunft der Geburtenstationen obliege aber allein der Landesregierung, stellt Horand Meier klar.
Das Gutachten liegt der TAGESZEITUNG vor.
Darin wird der Landesregierung empfohlen, in Rom eine Ausnahmeregelung für die Geburtenstation von Schlanders zu beantragen, und zwar aufgrund ihrer Entfernung zum Krankenhaus von Meran. Weiters wird die Landesregierung dazu aufgefordert, in allen Krankenhäusern die staatlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards einzuhalten.
Martha Stocker erklärt im Anschluss an die Sitzung des Komitees: Das Gutachten sei „inhaltlich deckungsgleich“ mit dem, was die Landesregierung vor zwei Wochen auf einer Pressekonferenz verkündet hatte. Es enthalte „nichts Überraschendes“.
DIE ZWEIFEL AM GUTACHTEN
Am Dienstag beschließt die Landesregierung, die Geburtenstation von Sterzing mit 31. Oktober zu schließen. Für Schlanders wird eine Ausnahmegenehmigung beantragt.
Der Freiheitliche Pius Leitner äußerst Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Expertengutachtens der technischen Kommission. Aus dem zweiseitigen Protokoll der Sitzung geht nämlich hervor, dass drei Mitglieder des achtköpfigen technischen Komitees entschuldigt abwesend waren: der Primar der Abteilung Pädiatrie des Krankenhauses Brixen und Sanitätskoordinator des Gesundheitsbezirkes Brixen, Markus Markart, der ärztliche Leiter, Anästhesist und Arzt für Notfallmedizin am Krankenhaus Bruneck, Werner Beikircher sowie der Regionalsekretär von „Cittadinanzattiva“ Südtirol, Stefano Mascheroni.
Die TAGESZEITUNG weiß: Anwesend waren neben Horand Meier der Sanitätsdirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Oswald Mayr, der Primar für Neonatologie und neonatale Intensivtherapie am Krankenhaus Bozen, Hubert Messner, der stellvertretende Primar der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhauses Schlanders Heinrich Stecher sowie die Pflegekoordinatorin und Hebamme der Geburtshilfe/Gynäkologie am Krankenhaus Sterzing, Sabine Nitz.
DAS VORGEFERTIGTE PROTOKOLL
Sabine Nitz erklärt auf Anfrage der TAGESZEITUNG: „Wir haben in der Sitzung ein vorgefertigtes Protokoll vorgelegt bekommen. Drei Mitglieder waren abwesend. Ich habe in der Sitzung meine Einwände zum Inhalt des Protokolls klar zum Ausdruck gebracht. Doch diese Einwände wurden nicht zu Protokoll gebracht. Es gab auch keine Abstimmung. Eine Bewertung darüber, warum der Leiter der technischen Komitees etwas anderes behauptet, überlasse ich Ihnen. Mehr will ich dazu auch nicht sagen.“
Gesundheitslandesrätin Martha Stocker schiebt den Schwarzen Peter weiter und verweist auf den Leiter der technischen Kommission: „Horand Mair hat mir gesagt, dass die Entscheidung einstimmig war“, erklärt die SVP-Politikerin. „Aber es gab von unserer Seite keine Vorgaben, wie dieses Komitee zu arbeiten hat. Ob das Gutachten am Montag in der Partei besprochen wurde, weiß ich nicht. Ich war nicht anwesend.“
DER ZORN DES SENATORS
SVP-Senator Hans Berger übt Kritik an der Vorgangsweise der Landesregierung. „Ich schließe daraus, dass es der Landesregierung von Anfang an ausschließlich darum ging, die Geburtenstation von Sterzing zu schließen.“ Der Beschluss sei „nicht nachvollziehbar“ und widerspreche einer von der Parteileitung verabschiedeten Resolution: Demnach hätte die Landesregierung alle rechtlichen und medizinischen Mittel ausschöpfen müssen, um eine Schließung noch abzuwenden. „Wenige Zeit nach der Verabschiedung dieser Resolution und ohne ersichtlichen Grund trifft die Landesregierung nun diese bedauerliche Entscheidung“, kritisiert der Senator.
Hans Berger beschreibt seine persönliche Situation als „deprimierend“. „Albrecht Plangger und ich sind in Rom herumgerannt, um unsere autonomen Spielräume voll auszunutzen. Wir haben erreicht, dass die Entscheidung über die Zukunft der Geburtenstation von Sterzing ausschließlich in die Hände der Landesregierung gefallen ist. Sie hätte sich also dafür entscheiden können, Sterzing offen zu lassen. Jetzt macht sie das genaue Gegenteil. Das ist nicht nachvollziehbar.“
Sein Bezirk, das Pustertal, habe sich in der Parteileitungssitzung enthalten, als die Resolution von Philipp Achammer zur Abstimmung kam: „Wir hatten befürchtet, dass es so kommen könnte. Unsere Befürchtung hat sich nun leider bewahrheitet“, so Berger.
DER REKURS BEI GERICHT
Pius Leitner will den Beschluss der Landesregierung vor dem Verwaltungsgericht zu Fall bringen. Die Prozesskosten muss der Abgeordnete aus der eigenen Tasche bezahlen: „Die Landesregierung hat die Menschen angelogen und den eigenen Willen durchgezogen, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Das „bestellte Gutachten“ sei „ein weiterer Mosaikstein eines Verwirrspiels“, sagt der Freiheitliche.
Pius Leitner zitiert den frühneuzeitlichen Philosophen Niccolò Machiavelli: „Das gegebene Versprechen war ein Bedürfnis der Vergangenheit; das gebrochene Wort ist ein Bedürfnis der Gegenwart.“ Oder: „Der Zweck heiligt die Mittel.“
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