Gehen uns die Ärzte aus?
Der europaweit zunehmende Ärztemangel macht auch vor Südtirol nicht Halt. Doch Martha Stocker sieht Licht am Ende des Tunnels.
Von Matthias Kofler
„Noch vor einigen Jahren sprachen wir von einer Ärzteschwemme“, erinnert sich Paul Köllensperger, „heute ist Medizin das interessanteste Studium, weil du hundertprozentig einen Arbeitsplatz bekommst.“
Im abgelaufenen Studienjahr bewarben sich 186 Südtiroler Maturanten um einen Studienplatz an der Uni Innsbruck – 60 davon wurden aufgenommen. An der Medizinischen Universität Wien erhielten 16 von 52 Südtiroler Bewerbern einen Studienplatz in Humanmedizin, in Graz setzten sich drei von 23 Bewerbern durch.
„Die Studentenzahlen sind nicht das Problem“, stellt Gesundheitslandesrätin Martha Stocker klar.
Trotz der hohen Anzahl an Studierenden und Absolventen macht der europaweit zunehmende Ärztemangel auch vor Südtirol nicht halt.
Wo liegen die Ursachen?
Längst nicht alle Medizinstudenten arbeiten nach ihrem Studium als Ärzte. Die Anzahl der Absolventen, die entweder nie in den Beruf einsteigen oder kurz danach wieder aussteigen steigt von Jahrgang zu Jahrgang. Laut Michael Jonas, dem Präsidenten der österreichischen Ärztekammer, arbeiten 37 Prozent der Absolventen des Medizinstudiums nicht mehr als Ärzte in Österreich. Von den Absolventen geht über ein Drittel ins Ausland, zunehmend werden wissenschaftliche Karrieren eingeschlagen, für Hausarztstellen besteht kaum mehr Interesse.
Aber gerade Hausärzte und eben solche Ärzte, die in direkten Kontakt den Menschen helfen, werden in Zukunft dringend benötigt werden. Das European Health Forum beziffert die Zahl der fehlenden Ärzte im Jahr 2020 in Europa mit 230.000. In einer Landtagsanfrage konnte Paul Köllensperger in Erfahrung bringen, dass bis 2025 die Hälfte der heute in Südtirol tätigen 285 Hausärzte und 62 hausärztlich tätigen Pädiater wegbrechen werden – unter der Voraussetzung, dass diese Ärzte bis zum 70. Lebensjahr arbeiten werden. „Was dann kommen wird, wissen wir nicht“, sagt der Abgeordnete des Movimento 5 Stelle.
Die zuständige Landesrätin Martha Stocker will das Problem nicht kleinreden. „Uns stehen nicht genügend Ärzte zur Verfügung“, sagt die SVP-Politikerin und nennt die neue EU-Arbeitszeitregelung, die Unterschiede in der Berufstätigkeit von Frauen und Männern sowie die zunehmende Mobilität der Absolventen als Ursachen.
Den größten Ärztebedarf hat Südtirol in den Bereichen Gynäkologie, Pädiatrie und Anästhesie. „Hier geht es anderen italienischen Regionen wie Friaul-Julisch Venetien und dem Trentino aber nicht anders“, erklärt die Gesundheitslandesrätin. Die Gründe seien evident: Südtirols Absolventen seien nicht nur im italienischen, sondern auch im gesamten deutschsprachigen Raum interessant. Für Südtirol sei es hingegen schwierig, Absolventen etwa aus Bayern anzulocken, sagt Martha Stocker und führt dies auf Probleme bei der Zweisprachigkeit und der Anerkennung von Studientiteln und Studienjahren zurück.
Trotzdem sieht die Gesundheitslandesrätin Licht am Ende des Tunnels. „Es wird Bereiche geben, in denen wir die Probleme kaum lösen können“, verweist Martha Stocker auf den ärztlichen Engpass bei den Geburtenstationen. In anderen Bereichen wie Innere Medizin, Orthopädie, Chirurgie und Radiologie hingegen habe es bei der jüngsten Ausschreibung überraschend viele Bewerbungen gegeben. „Ich bin guter Hoffnung, dass wir in diesen Bereichen Schritt für Schritt den Ärztebedarf abdecken können“, sagt Martha Stocker.
Die Landesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des Ärztemangels gesetzt – und diese tragen nun offenbar erste Früchte. Im kürzlich beschlossenen Sozial-Omnibus vorgesehen ist eine Zusatzentschädigung für Jungärzte, die ihre Ausbildung in Südtirol absolvieren. Zudem wurde die Möglichkeit einer Teilzeit geschaffen, damit auszubildende Fachärzte Familie und Beruf besser vereinen können und der Arztberuf für junge Südtiroler attraktiver wird. Darüber hinaus erhalten Allgemeinmediziner eine Unterstützung für den Umbau und die Ausstattung ihrer Praxis, wenn sie diese in unterversorgten und benachteiligten Gebieten Südtirols eröffnen. Und weitere Projekte wie der Aufbau einer Medical School stehen bereits in den Startlöchern.
Schwierigkeiten gibt es laut der Landesrätin bei der Facharztausbildung. Zwar liege eine Verbalnote seitens Österreichs vor. „Italien fordert aber noch Garantien, zum Beispiel bei der Anerkennung der Dienstjahre“, sagt Martha Stocker und spricht von einem „holprigen Weg“.
Die Behauptung, wonach Ärzte in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr verdienten als in Südtirol, will die SVP-Politikerin nicht stehen lassen. Zwar sei das Anfangsgehalt in Südtirol etwas niedriger als im Ausland – „als Oberarzt oder Primar verdient man bei uns mindestens gleich gut, wenn nicht sogar besser“. Martha Stocker will stattdessen eine Debatte über die nebenberuflichen Zusatzverdienstmöglichkeiten in Gang setzen. „Das wäre sicherlich ein Anreiz für Ärzte, um nach Südtirol zu kommen“, glaubt die Landesrätin.
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