Die Folgen eines Brexit
Was EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann zu den Ursachen und Folgen eines möglichen EU-Austritts der Briten sagt. Und warum er rät, im Falle eines Brexit alle Brücken nach Großbritannien zu kappen.
Tageszeitung: Herr Dorfmann, wenn Sie Brite wären, würden Sie für den Austritt aus der EU stimmen?
Herbert Dorfmann: Nein, ich würde dafür stimmen, in der EU zu bleiben.
Laut Umfragen stimmt die Mehrheit der Briten für den Austritt…
Diese Umfragen muss man ja immer mit Vorsicht genießen. In Großbritannien glaube ich den Buchmachern grundsätzlich mehr, denn bei denen geht es ums eigene Geld. Und die Buchmacher sehen derzeit eine größere Chance für das „In“ als für das „Out“. Es scheint aber effektiv so zu sein, als ob es in den letzten Tagen noch in Richtung „Out“ geht.
Glauben Sie nicht, dass vor dem Referendum noch einmal Angst verbreitet wird und viele Briten doch für den Verbleib stimmen?
Man muss die Sache einfach rein rational betrachten. Bis heute ist mir noch kein einziger Grund eingefallen, der rein rational für einen Austritt sprechen würde. Die Befürworter sagen, dass man dann tun und lassen kann, was man will und die Souveränität zurückerlangt. Das hängt aber davon ab, ob man sich von der EU total abkoppeln will. In diesem Fall würde man in einer ähnlichen Situation landen wie die Schweiz. Und ich glaube kaum, dass Großbritannien den Binnenmarkt mit Europa kappen will. Die Briten werden bei den rechtlichen Dingen Zugeständnisse machen müssen. Auf der einen Seite gibt es jedenfalls eine emotionale Ablehnung der EU, die vor allem von starken populistischen Kräften gefördert wird. Auf der anderen Seite gibt es die rationale Sichtweise der Dinge. Zwischen diesen beiden Seiten müssen sich die Briten entscheiden.
Sie orten die große EU-Skepsis in Großbritannien also im Populismus?
Die Briten haben allgemein einen eigenartigen Zugang zu Europa. Sie fühlen sich eigentlich nicht als Europäer, sondern als Leader des Commonwealth und somit als Weltmacht. Die Probleme der britischen EU-Mitgliedschaft sind ja nicht neu, sondern kommen noch von der Zeit Margaret Thatchers. Wir im Parlament glauben immer noch, dass das europäische Projekt weitergehen soll in Richtung Staatengemeinschaft, die auf gemeinsamen Rechten und Werten beruht. Die Briten haben die EU hingegen immer als lockeren Staatenbund gesehen, wo es lediglich um den gemeinsamen Handel geht und um nichts anderes.
Was wären die wirtschaftlichen und politischen Folgen für Großbritannien im Falle eines Austritts aus der EU?
Das würde davon abhängen, wie sich die EU verhält. Viele hier im Parlament sagen, man müsse mit den Briten sofort über deren zukünftige Rolle gegenüber der EU verhandeln und ihnen Zugeständnisse machen. Eine ganz absurde Idee ist es aus meiner Sicht, den Briten so weit entgegenzukommen, dass sie den Austrittsantrag nicht einreicht. Ich bin eher der Meinung, dass die EU so schnell wie möglich alle Brücken nach Großbritannien kappen soll, wenn sie langfristig überleben will.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen klarmachen, dass dieses Verhalten – also nur die guten Sachen vom Kuchen herauszupicken – nicht funktioniert. Wenn wir sofort sagen, die Briten können weiterhin beim Binnenmarkt mittun, Zugang zum EU-Forschungsrahmenprogramm haben, Agrarförderungen erhalten oder – einer der wichtigsten Punkte für die Briten – weiterhin den Großteil des europäischen Finanzplatzes beherbergen, dann ist die Gefahr groß, dass man eine Lawine in Gang setzt, die letzten Endes dazu führt, dass mehrere Mitgliedsstaaten nur die guten Dinge nehmen und die Probleme den anderen überlassen. Das wären dann Länder wie die Schweiz oder Norwegen, die schon heute die Vorteile des Systems genießen. Wir sollten vom ersten Moment sagen, dass wir die demokratische Entscheidung akzeptieren – die Folgen aber von den Briten zu tragen sind. Sonst kommen wir in sehr kompliziertes Fahrwasser.
Was wären auf der anderen Seite die Folgen für die restlichen EU-Staaten?
Man darf nicht vergessen, dass Millionen von Europäern in Großbritannien arbeiten. Diese hätte nicht mehr das Recht, so behandelt zu werden wie die eigenen Bürger. Denn als Hauptproblem des Ganzen wird die geglaubte Invasion von Außen wahrgenommen. Für die Betroffenen wäre ein Austritt ein Problem. Ansonsten glaube ich, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen für Großbritannien weit höher wären als für die EU.
Interview: Heinrich Schwarz
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