Die Rückkehr des Geiers
100 Jahre nach seiner Ausrottung in den Alpen ist im Martelltal die zweite Freilandbrut eines Bartgeiers geglückt. Das Wiederansiedelungs-Projekt zeigt Erfolge.
Durch menschliche Verfolgung war der Bartgeier mit dem Abschuss des letzten Vogels 1930 in den Alpen restlos ausgerottet worden.
Er war im Volksmund als „Lämmergeier“ verschrien und wurde deswegen verfolgt, ist jedoch ein reiner Aasfresser. „Die Wiederansiedelung des Bartgeiers in den Alpen ist bisher erfolgreich verlaufen, braucht aber seine Zeit“, erklärte Landesrat Richard Theiner vor kurzem bei der Bartgeier-Pressekonferenz im Martelltal.
„Die Fortsetzung des extensiven Monitorings und der Schutzmaßnahmen macht also durchaus Sinn“, so Theiner.
Der Nationalpark Stilfserjoch ist am internationalen Gemeinschaftsprojekt von Zoos und Schutzgebieten, mit dem Ziel der Wiederansiedlung des Bartgeiers in den Alpen, beteiligt. Vor 30 Jahren hatte man ausgehend vom Alpenzoo Innsbruck mit der Vermehrung dieses besonderen Greifvogels in Zoos und Zuchtstationen begonnen.
Die ersten Freilassungen von jungen Bartgeiern aus diesen Aufzuchten waren 1986 erfolgt. 1997 kam es zur ersten erfolgreichen Natur-Brut eines Bartgeier-Paares in den französischen Seealpen, 1998 brütete das Paar „Braulio“ im Nationalpark Stilfserjoch.
Zwischen 2000 und 2008 wurden im Nationalpark Stilfserjoch in fünf Freilassungsaktionen insgesamt elf junge Bartgeier aus Zuchtstationen in einer künstlichen Horstnische im Marteller Schludertal ausgewildert. „Die wirkliche Sensation entdeckten unsere Parkförster aber im Winter 2014/15, als ein Bartgeier-Paar im Hintermartell brütete.
Der „Hintermartell’ benannte Junggeier flog am 20. Juli 2015 erstmals aus seinem Horst aus und war der erste Südtiroler Bartgeier aus einer Naturbrut seit circa 100 Jahren“, berichtet Hanspeter Gunsch, Direktor des Landesamtes für den Nationalpark Stilfserjoch.
Auch im vergangenen Winter gab es wieder Grund zur Freude: 2016 ist wieder das Jungtier eines Bartgeier-Pärchens im Martelltal geschlüpft. Es ist die zweite geglückte Freilandbrut eines Bartgeiers in Südtirol.
Geeigneter Lebensraum im Nationalpark
„Im Nationalpark fühlen sich die Bartgeier wohl. Hier findet der Greifvogel ideale Lebensraumbedingungen: weite Hochflächen oberhalb der Waldgrenze, eine gute Thermik und ein reichliches Angebot an Huftierkadavern“, unterstreicht Gunsch.
Die heutige Population von Bartgeiern im gesamten Alpenbogen zwischen den französischen Seealpen und Kärnten wird auf circa 230 Einzelvögel geschätzt. Die Täler rund um das Stilfserjoch und im Engadin bilden ein wichtiges Zentrum der Wiederansiedelung des Bartgeiers in seinem ursprünglichen Lebensraum.
Der derzeitige Bestand alpenweit ist jedoch noch keine Garantie für die dauerhafte Wiederbesiedelung durch diese attraktive Vogelart. Denn die Geschlechtsreife tritt erst nach fünf bis sieben Jahren ein, der Bruterfolg ist etwa durch Eisbildung im Horst gefährdet und viele Junggeier kommen bereits vor ihrer Fortpflanzungsfähigkeit zu Tode.
In diesem Zusammenhang kam auch das Thema Bleivergiftungen zur Sprache.
„Die Verwendung von Jagdmunition auf Kupferbasis anstelle von Bleimunition ist ein Beitrag zum Schutz der Bartgeier-Population“, informierte Hanspeter Gunsch. Denn wenn bei der Jagd bleihaltige Munition verwendet wird, kann der Bartgeier als Aasfresser das Blei im Körper von erlegten Tieren über die Nahrungskette aufnehmen.
„Das führt bei stärkerer Anreicherung zum Tod der Geier“, so Gunsch. Daher sei es lobenswert, dass sich über 50 Prozent der Jäger in den Jagdrevieren Latsch, Schlanders und Laas dafür entschieden haben, bei der Jagd bleifreie Munition zu verwenden.
„Die Begegnung mit einem frei fliegenden Bartgeier ist ein eindrückliches Erlebnis und nun auch im Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch wieder möglich“, freut sich Landesrat Richard Theiner. Er begrüßt es auch, dass die Nationalparkförster in der Sommersaison geführte Wanderungen in Hintermartell durchführen, wo man den Bartgeier Jungvogel beobachten und mehr über diesen Greifvogel erfahren kann. „Natürlich mit gebührender Distanz und Respekt vor den Tieren, um die Bartgeier nicht zu stören“, so der Landesrat, der den Einheimischen und Gästen für die Sensibilität, die sie diesem Projekt entgegenbringen, dankte.
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus)
Mit einer Flügelspannweite von bis zu drei Metern zählt der Bartgeier zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt und ist gleichzeitig einer der seltensten Greifvögel Europas. Der junge Bartgeier ist im Flug an seinem rautenförmigen Schwanz und seiner dunklen Kopffärbung zu erkennen.
Nach circa drei Jahren wechseln die Flügel- und Schwanzfedern des Jungendgefieders: Charakteristisch für den ausgewachsenen Bartgeier sind helle Federn an Kopf, Brust, Nacken und Flügelunterseite. Bartgeier sind erst im 5. bis 7. Lebensjahr geschlechtsreif. Sie sind Winterbrüter, legen zwei Eier je Brut, ziehen aber nur ein einziges Jungtier in einem Jahr auf. Sie ernähren sich ausschließlich von Aas und Knochen.
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