Flor im Ministerium
Der Abgeordnete Florian Kronbichler hat am Montag im Wirtschaftsministerium die TTIP-Papiere einsehen können. Ein Stimmungsbericht.
Der Abgeordnete Florian Kronbichler hat am Montag im Wirtschaftsministerium die TTIP-Papiere einsehen können.
Lesen Sie seinen Bericht:
„Heute vormittag um 10 Uhr hat die italienische Regierung am Sitz des Wirtschaftsministeriums den so genannten „Reading Room“ eröffnet. Es ist jener „Leseraum“, in dem Parlamentarier zu genau festgelegten Bedingungen Einsicht nehmen können in die Verhandlungspapiere zum umstrittenen Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen, bekannt unter dem Kürzel TTIP. Ich war als erster Leser vorgemerkt und betrat pünktlich um 10 Uhr den Leseraum.
Die Umstände, unter denen die Parlamentarier ihr Informationsrecht wahrnehmen können, sind für sich selber schon ein Anschlag auf Information und Transparenz. Es begann schon mit der Erkämpfung des Rechts auf Einsicht in die Vertragsakten. Sie geht zurück auf den vergangenen Herbst.
In einer interparlamentarischen Anhörung (Kammer und Senat) fragte ich EU-Kommissarin Cecilia Malmström, warum nicht auch den italienischen Parlamentariern die Form eines „Reading-Room“, eines Leseraums, eröffnet werde, so wie Bundestagspräsident Norbert Lammert einen für die deutschen Parlamentarier einen erstritten hat. Malmström sicherte es zu.
Seither habe ich das Anliegen in Form einer parlamentarischen Anfrage, eines Beschlussantrags, mit Vorsprachen beim Staatssekretär für Europaangelegenheiten Sandro Gozi und in insgesamt drei Debattenbeiträgen in der Vollversammlung der Kammer betrieben.
Mit diesem Montag ist es dem Versprechen nach Information über das TTIP endlich Genüge getan. Die Art der Information ist freilich eher eine Karikatur auf Information. So wie man das vom deutschen Beispiel her kennt.
Die TTIP-Verhandlungspapiere sind durch die Enthüllungen durch Greenpeace und große amerikanische und deutsche Zeitungen bereits seit einem Monat weitgehend bekannt. Allein dieser Umstand lässt die Geheimnistuerei rund um sie lächerlich erscheinen: Ich betrete das Wirtschaftsministerium, am Eingang werden meine persönlichen Daten mit denen der Anmeldung abgeglichen. Ein Carabinieri begleitet mich in den 4. Stock. Hier erwarten mich Mitarbeiter des Ministeriums, nehmen mir alle elektronischen Geräte ab, klären mich über Zeit und Art der Einsichtnahme auf: eine Stunde, kopieren und abschreiben längerer Textpassagen verboten, handschriftlich Notizen nehmen erlaubt.
Von wegen „weitersagen verboten“, wie in Deutschland der Fall, höre ich nichts.
Ich wüsste auch nicht, was weitersagen. Vorgelegt bekomme ich einen Karton mit insgesamt acht Ordnern. Seiten zählen unmöglich, weil nicht durchnummeriert.
Der Packen dürfte zwischen drei und vier Kilo wiegen. Geschrieben alles auf Englisch. Inhaltsverzeichnisse systematisch keine. Um manche weniger englisch-fitte Kollegen besorgt, frage ich, ob es eine Übersetzung gibt. Gibt es nicht. Es gibt als einzige Lesehilfe im Raum ein Englisch-Italienisch-Wörterbuch. Sonst nichts.
Was den Inhalt betrifft: Er bestätigt die herrschenden Vorurteile. Was als Verhandlungspapiere vorgelegt wird, ist weitgehend Papiermüll. „Informiert“ wird nach dem Prinzip: je größer der Heuhaufen, desto schwerer, darin die Nadeln zu finden. Die Texte stammen zudem alle aus der vor-„TTIP-leaks“-Zeit, dürften somit überholt sein. Statistiken und Diagramme zur Wirtschaftsentwicklung reichen durchwegs nur bis 2012. Es gibt Entwicklungsprognosen bis 2015, und sie sind so peinlich falsch, wie Prognosen es halt einmal sein können.
Fazit: Der parlamentarische “Leseraum“ ist ein weiterer Akt aus dem Stück „Heimlichtuerei namens TTIP“ und wird die Öffentlichkeit in ihren Vorbehalten bestätigen. Das Abkommen zwischen den zwei größten Wirtschaftsmächten der Erde verdiente sich mehr Offenheit und mehr Diskussion.
Denn es geht darin nicht nur um Wirtschaft und den Abbau von Handelsbarrieren. Es geht darum, ob die Politik der Wirtschaft noch Schranken setzen kann. Das TTIP, so wie es von seinen Geheimverhandlern gedacht ist, möchte es lieber umgekehrt haben.“
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