Bozner Intrigen
Während Renzo Caramaschi an der neuen Stadtregierung für Bozen bastelt, zirkulieren bereits die kühnsten Spekulationen: Dieter Steger soll sich im Vorfeld der Wahlen in Arcore mit Silvio Berlusconi getroffen haben, um heimlich einen Frontenwechsel vorzubereiten.
Von Matthias Kofler
Renzo Caramaschi hat unmittelbar nach seiner Wahl zum Bozner Bürgermeister die Gespräche zur Bildung einer neuen Stadtregierung aufgenommen. Während der PD-Politiker die Grünen ins Boot holen will, beharrt SVP-Stadtobmann Steger auf der Forderung nach einer Großen Koalition, in der auch der Verlierer der Stichwahlen, Mario Tagnin, Platz finden soll. Auch wenn Tagnin mehrmals klarstellte, an einer Regierungsbeteiligung nicht interessiert zu sein, lässt sich Steger nicht beirren: Der SVP-Politiker und der designierte Vizebürgermeister Christoph Baur sind felsenfest davon überzeugt, dass Tagnin an Ende Ja sagen werde.
In dieser komplizierten Verhandlungsphase platzte am Mittwoch die Nachricht von einem Geheimtreffen einer SVP-Delegation mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in den Raum.
In den Chefetagen der Brennerstraße und im Palais Widmann war Feuer am Dach: Sowohl aus dem Umfeld von Landeshauptmann Arno Kompatscher als auch aus dem Umfeld von Parteiobmann Philipp Achammer hieß es am Mittwoch, man sei über den Alleingang nicht informiert worden. Die Spitze der Volkspartei ließ keinen Zweifel offen: Man habe mit der Geheimdiplomatie von Dieter Steger und Co. nichts zu tun.
Was ist passiert?
Wie die TAGESZEITUNG aus gut informierter Quelle in Erfahrung bringen konnte, haben SVP-Stadtobmann Dieter Steger, sein Wunschkandidat Christoph Baur und Ex-Landtagspräsidenten Thomas Widmann im Geheimen auf einen Koalitions-Wechsel in Bozen hingearbeitet.
Christoph Baur hatte bereits nach seiner Nominierung zum SVP-Bürgermeisterkandidaten Anfang März wissen lassen, dass es ihm darum gehe, die Regierungsmehrheit der Stadt mit gemäßigten Kräften zu erweitern. Dazu wiederholte Dieter Steger gebetsmühlenartig die Unmöglichkeit einer weiteren Verwaltungsperiode mit den Grünen.
Die Einbeziehung der Liste von Mario Tagnin, die von der Forza-Italia-Europaparlamentarierin Elisabetta Gardini koordiniert wurde, war also Gebot der Stunde, auch wenn es hierzu parteiintern große Bedenken gab. So ist es im März zum offenen Streit zwischen Gardini und der Bozner Parlamentarierin Michaela Biancofiore gekommen, die den Rechtsanwalt Igor Janes als Bürgermeisterkandidaten für Bozen favorisierte – dies in der festen Überzeugung, dass Janes auch die Chancen gehabt hätte, im ersten Wahlgang den Kandidaten von Mitte-Links zu besiegen. Auch Giorgio Holzmann hatte sich gegen Tagnin ausgesprochen und für die Gemeinderatswahlen eine eigene Liste ins Leben rief.
In dieser politisch aufgeheizten Phase entwarfen Dieter Steger und Co. ihre Wahlstrategie. Es sollte faktisch ein Kurswechsel Richtung Mitte-Rechts vorbereitet werden.
Um sich eine Allianz mit Uniti per Bolzano von Alessandro Urzì und Elisabetta Gardini auch von oben absegnen zu lassen, soll es Indiskretionen aus dem römischen Parlament zufolge im März dieses Jahres in der Villa von Ex-Ministerpräsident und FI-Chef Silvio Berlusconi in Arcore zu einem Geheimtreffen gekommen sein, an dem – so wurde kolportiert – neben Elisabetta Gardini und dem Trentiner Landtagsabgeordneten Giacomo Bezzi drei Vertreter der Bozner Stadt-SVP teilgenommen haben sollen: Dieter Steger, Christoph Baur und Thomas Widmann.
Auf Nachfrage der TAGESZEITUNG haben jedoch alle am Hofe Berlusconis „gesichteten“ Volkspartei-Exponenten die Spekulationen dementiert. „Sie machen einen Witz – oder Sie wissen mehr über mich, als ich selber“, sagte BM-Kandidat Christoph Baur. Berlusconi kenne er „nur aus dem Fernsehen“. Ob Dieter Steger im Frühjahr bei Silvio Berlusconi gewesen sei, wisse er nicht: „Ich kenne Steger erst seit März – mir persönlich hat er aber nie etwas von einem Treffen mit Berlusconi erzählt.“
Auch Landtagsvizepräsident Thomas Widmann zeigte sich verwundert: Von einem Treffen einer SVP-Delegation mit dem FI-Chef habe er „nie etwas gehört“. Aus dem Umfeld des SVP-Politikers war auch zu vernehmen, dass das Verhältnis zwischen Steger und Widmann auf gegenseitiger Abneigung beruhe. Eine gemeinsame Reise der beiden nach Mailand könne man sich nicht vorstellen.
Dieter Steger kommentierte die Nachricht so: „Ich habe Silvio Berlusconi nur einmal gesehen – nämlich bei einem Vortrag der Handelstreibenden, den ich aus der vorletzten Reihe verfolgt habe.“ Es ehre ihn aber, „dass mir solche politischen Kontakte nachgesagt werden“.
Auch aus dem Mitte-Rechs-Lager erreichten die TAGESZEITUNG ausnahmslos Dementis. „Davon weiß ich nichts“, sagte der Wahlverlierer Mario Tagnin. Giacomo Bezzi sprach von einer „unwahren Information“. Und Alessandro Urzì winkte lachend ab: „Ich kann mir gut vorstellen, woher diese Informationen stammen.“
Elisabetta Gardini, die seit Dezember des letzten Jahres die kommissarische Verwaltung von Forza Italia innehat, bedauerte, dass sie Dieter Steger persönlich noch nicht kennengelernt habe. Sie wolle dies aber gerne nachholen. „Ich kenne seinen Namen, bin aber meistens in Straßburg und hatte noch nie die Gelegenheit dazu“, sagte die FI-Kommissarin gegenüber der TAGESZEITUNG und fügte ergänzend hinzu: „Wenn sich Berlusconi mit der SVP getroffen hat, dann hätte er mir das sicher mitgeteilt – wir hören uns fast täglich.“
Wahr ist, dass es in Arcore ein Treffen zwischen Mario Tagnin, Alessandro Urzì, Giacomo Bezzi und Elisabetta Gardini gegeben hat, bei dem die Kandidatur von Mario Tagin von Silvio Berlusconi abgesegnet wurde. Dies jedoch sehr zum Leidwesen der Kammerabgeordneten Michaela Biancofiore, die sich für Igor Janes als stark gemacht hatte.
Die Nachricht vom Geheimtreffen in Arcore, die sich als unwahr herausstellen sollte, hat trotzdem in der Volkspartei für Verärgerung gesorgt, vor allem in jenen Kreisen, die auf den Pakt mit dem PD und Matteo Renzo setzten.
Die Mitglieder des Renzi-Lagers in der SVP glauben, dass Dieter Steger dem Mitte-Rechts-Lager die Blockfreiheit bei den Gemeinderatswahlen angeboten hat: Im Gegenzug soll Steger von den Berlusconi-Getreuen verlangt haben, dass Mario Tagnin Spitzenkandidat wird. Tagnin gehört zum gemäßigten Flügel von Forza Italia gehörte und dem man nicht recht extreme und antiautonomistische Positionen nachsagen kann.
Die SVP hätte mit der Person Janes ihre Schwierigkeiten gehabt.
Das Szenenbild, das durch das kolportierte Geheimtreffen in Arcore entstehen sollte, ist politisch brisant: Die offizielle SVP verhandelt in Rom mit Premier Matteo Renzi und versucht, die Autonomie-Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die inoffizielle SVP (mit Dieter Steger, Christoph Baur und Thomas Widmann) verhandelt mit Berlusconi über die Blockfreiheit.
Bei dem Geheimgespräch in Arcore soll es – immer laut den Indiskretionen aus Rom – auch um eine Zusammenarbeit der SVP mit Forza Italia bei den nächsten Parlamentswahlen und bei den Gemeinderatswahlen in vier Jahren gegangen sein.
In der „Operation Tagnin“ hat Elisabetta Gardini die Forza-Italia-Partisanin Michaela Biancofiore geopfert, die seither mit ihrer Partei auf Kriegsfuß steht und von Berlusconi sehr enttäuscht ist.
Es schien alles perfekt vorbeireitet. Ende März wurde die Kür von Mitte-Rechs-Kandidat Tagnin offiziell bekanntgegeben, während die Volkspartei mit Christoph Baur einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickte – mit dem Hintergedanken, nach der Wahl mit Tagnin koalieren zu können.
Jetzt versteht man auch die geharnischten Reaktionen von Thomas Widmann und Dieter Steger auf die Warnrufe von Karl Zeller und Gianclaudio Bressa, die im Vorfeld der Stichwahl auf die Einhaltung des SVP-PD-Abkommens gepocht hatten.
Bressa und Zeller wussten offenbar nichts von Dieter Stegers Geheimdiplomatie mit Mitte-Rechts.
Dass es anders kam, als Widmann, Steger und Baur erhofften, ist darauf zurückzuführen, dass sich nach dem ersten Wahlgang eine reine Mitte-Rechts-Koalition mit Tagnin, Holzmann und der Lega nicht ausgegangen wäre. Tagnins Bündnis kam auf lediglich 18 Prozent der Wählerstimmen. Die Stadt-SVP musste sich nach langen Diskussionen und schweren Herzens für Renzo Caramaschi aussprechen.? Gegen die Variante, sich bei der Stichwahl neutral zu verhalten, legte Landeshauptmann Arno Kompatscher sein Veto ein.
Doch nun ist Dieter Steger in der Bredouille: „Den Mitte-Rechts-Vertretern wurden Sachen versprochen, die Steger und Co. jetzt nicht halten können“, heißt es aus SVP-Kreisen.
So wird auch verständlich, warum der SVP-Stadtobmann jetzt so krampfhaft an der Forderung nach einer Großen Koalition festhält.
Steger und Baur hoffen, Tagnin irgendwie doch noch zum Umdenken zu bewegen und ihn mit in die Regierung zu holen. Damit sollen die Grünen, gegen die bereits ein Veto ausgesprochen wurde, nicht Teil der Mehrheit werden.
Der Ärger in der SVP ist nach dem Bekanntwerden der Geheimstrategie entsprechend groß.
„Ausgerechnet jetzt, wo der PD so rechts wie nie ist und man die Kommunisten mit der Lupe suchen muss, gehen Leute wie Steger her und wollen einen Schwenk zu Mitte-Rechts“, schimpft ein hochrangiger Vertreter der SVP-Leitung. Seiner Meinung nach hat Steger mit seiner Strategie sogar bewusst einen Bruch der Landeskoalition aus SVP und PD in Kauf genommen.
Auch bei Forza Italia ist Dieter Steger nun ein rotes Tuch: „Er hat uns alle an der Nase herumgeführt und Mitte-Rechts in Südtirol zerstört“, ärgert sich Michaela Biancofiore. „Und wir haben im völligen Irrglauben an eine Blockfreiheit der SVP auf Igor Janes verzichtet, der die Wahlen gewonnen hätte.“
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.