„Kotzt euch mal aus!“
Der Südtiroler Regisseur Martin Gruber und sein aktionstheater Ensemble setzen sich radikal mit dem Jetzt auseinander und werden vom Feuilleton als „schnelle Eingreiftruppe des Theaters“ gefeiert. Am 31. Mai ist das Ensemble im Ufo Bruneck zu Gast. Ein Gespräch.
Tageszeitung: Herr Gruber, Sie sind in Vorarlberg geboren, haben aber auch Südtiroler Wurzeln. Wo genau liegen die?
Martin Gruber: In Bozen. Mein Vater ist Ende der 1960er Jahre nach Vorarlberg gekommen. Die Sommer meiner Kindheit und Jugend habe ich auf Kohlern verbracht. Meine halbe Verwandtschaft lebt in Südtirol.
Ihr Vater war Unternehmer, ihre Mutter Mundartdichterin. Ein poetisches und unternehmerisches Elternhaus – alles, was man für die Führung eines Theaters braucht.
Genau.
1989 haben Sie das aktionstheater ensemble gegründet. Was ist Aktionstheater?
Das könnte man leicht falsch verstehen. Wir machen kein aktionistisches Theater in der Tradition des Wiener Aktionismus. Wir wollten bei der Gründung den Begriff Aktion im Namen haben, um klar zu machen, dass es nicht um ein Hörspiel auf Stelzen geht. Es ist Sprechtheater und nicht reiner Aktionismus, wie man es etwa von La Fura dels Baus kennt. Ich arbeite mit Text, Musik und einer starken choreographischen Komponente. Diese Balance zwischen den Künsten ist uns wichtig.
Hat das Ensemble ein festes Haus?
Nein, wir haben feste Partnerhäuser in Wien und Vorarlberg, in denen wir immer wieder auftreten. Es war uns wichtig, uns der Herausforderung einer großen Theaterstadt wie Wien zu stellen, um inhaltlich und ästhetisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Wir sind kein Thespiskarren, der von Kaff zu Kaff zieht, sondern wir arbeiten mit Häusern zusammen, mit denen es inhaltliche Überschneidungen gibt. Das kann im Bregenzer Festspielhaus genauso wie bei Alternativveranstaltern sein.
Eine Avantgardekompanie?
Dieses Attribut heftet man uns an.
Aktionstheater – damit verbindet man politisches, provokatives, subversives, radikales Theater.
Provokation um ihrer selbst willen wäre mir zu pubertär, aber wenn man sich mit dem Jetzt und dem gegenwärtigen sozialen Umfeld auseinandersetzt, kann man gar nicht anders, als politisches Theater zu machen. Selbstverständlich immer in gebührender Distanz zu dem, was man Parteipolitik nennt. Theater ist wie jede Kunst ein Spiegel der Zeit, weshalb es wichtig ist, Themen auf der Höhe der Zeit zu behandeln. Shakespeare hat mit seinen Stücken direkt auf Ereignisse seiner Zeit reagiert. Genau das wollen wir auch. Natürlich kann es schön sein, 500 Mal Schnitzlers „Das weite Land“ zu spielen, aber wir versuchen Theater zu machen, das sich mit dem Jetzt auseinandersetzt.
Wer schreibt die Texte?
Die Stücke entwickle ich zusammen mit den Schauspielern. Was auf der Bühne erzählt wird, hat immer etwas mit dem Menschen zu tun, der auf der Bühne steht. Es steckt sehr viel Privates von den Schauspielern in den Texten, aber es ist kein Dokutheater. Es geht um eine gewisse Authentizität. Der Zuschauer soll nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen: Ist eh nur Theater.
Das Feuilleton nennt das aktionstheater die „schnelle Eingreiftruppe des Theaters“.
Das stammt von Elfriede Jelinek, die früher einmal eine „schnelle Eingreiftruppe des Theaters “ gefordert hat. Es schmeichelt der Eitelkeit, wenn das Feuilleton uns das attestiert, aber wichtiger ist, dass die Zuschauer das Gefühl haben, dass unser Theater etwas mit ihnen, mit ihrer Lebensrealität zu tun hat.
Gegenwärtig gibt es für eine „schnelle Eingreiftruppe“ viel zu tun.
Unglaublich viel. Ich hatte noch nie das Gefühl einer so massiven Spaltung und Politisierung der Gesellschaft. Dahinter steckt Wut und natürlich viel, viel Angst.
Wut und Angst, darum geht es auch in Ihrem Stück „angry young men“ über wütende junge Männer. Wie kam es zu diesem Stück.
Ich habe irgendwo gelesen, dass der junge Mann zwischen 17 und 35 das gefährlichste Wesen in unserer Gesellschaft ist. Diese radikalisierte Männergeneration hat mich interessiert, aus dieser Behauptung wollte ich ein Stück machen, aber nicht, indem ich Attentäter auf die Bühne stelle. Das glaubt eh niemand, weil jeder weiß, das ist ein Schauspieler, der einen Attentäter spielt. Ich wollte das schlummernde oder nicht so schlummernde Aggressionspotential bei jungen Männern in der Mitte der Gesellschaft erkunden. Welche Chauvinismen, Rassismen, was für Frauen- und Schwulenfeindlichkeit rumoren da und wie groß ist die Distanz dieser jungen Männer zu einer wirklichen Radikalisierung? IS-Mitglieder, aber auch Rechtsextreme kommen ja oft aus fast „normalen“ Verhältnissen. Normalität und Radikalisierung sind nicht so weit voneinander entfernt, die Übergänge sind fließend. Ich wollte der Frage nachgehen, warum die Gesellschaft diese jungen Männer allein lässt, warum sie sie nicht ernst nimmt.
Indem Sie den Schauspielern ihr Wutpotential entlocken?
Ich habe den Schauspielern gesagt: Kotzt euch mal aus! Es ist erstaunlich, was alles herauskommt, wenn man die Menschen einfach mal ohne Filter reden lässt. Im Arbeitsprozess treibe ich diese Aussagen natürlich hoch, um das zu erreichen, was die Griechen Katharsis genannt haben. Da kenne ich fast keine Grenzen.
Interview: Heinrich Schwazer
Angry Young Men im Ufo
Vor Wut über die herrschenden Verhältnisse gelähmt, steht er da. Schimpft über „die da oben“ und ergießt sich in Alltagsrassismen, Frauenfeindlichkeit und Homophobie. Wir kennen ihn. Wann wird dieser zornige junge Mann aktiv? Und wo ist der Übergang vom paralysierten Youngster, als Teil unserer Gesellschaft, zum Täter mit Allmachtfantasie. Regisseur Martin Gruber und 6 Darsteller des aktionstheater ensemble untersuchen eine radikalisierte Männergeneration die wahrgenommen werden will. Der junge Mann als das gefährlichste Wesen in unserer Gesellschaft. Pur, wütend, verzweifelt.
Termin: 31. Mai um 20.30 Uhr im Ufo Bruneck. Karten 0474-555770, [email protected]; http://ufobruneck.it Veranstalter: Stadtmuseum Bruneck in Zusammenarbeit mit Kulturzentrum UFO
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