„Am Anfang wurden wir lächerlich gemacht“
Seit 5 Jahren leitet der Pustertaler Neurologe Peter Pramstaller das EURAC-Zentrum für Biomedizin. 60 Wissenschaftler arbeiten dort im Verbund mit großen Forschungskonsortien an der Entwicklung der klassischen Medizin hin zu einer molekularen Präzisionsmedizin.
Tageszeitung: Herr Pramstaller, was ist Biomedizin?
Peter Pramstaller: Biomedizin ist der Versuch, Erkenntnisse aus der Medizin, Biologie und Technologie zusammenzuführen, während in der klassischen Medizin alle drei Bereiche getrennt in ihrer Welt vor sich hin arbeiten. Im Mittelpunkt steht die Erforschung der molekularen und zellbiologischen Grundlagen von Gesundheit und Krankheit, mit dem Ziel, Krankheiten früher zu erkennen und effektiver zu behandeln. Das hat die Medizin revolutionär verändert und die Entwicklung verläuft rasant. Während es zur Zeit des „Humanes Genom Projekt“ (1990-2000) noch 10 Jahre gebraucht hat und Hunderte Millionen Dollar ausgegeben wurden, um ein menschliches Genom zu sequenzieren, ist dies durch den enormen technologischen Fortschritt der letzten Jahre in wenigen Tagen und für wenige tausend Dollar möglich. Das ermöglicht Genforschung auf einer ganz anderen Ebene.
Was bedeutet diese Revolution konkret im Krankenhaus?
Biomedizin ist der erste konkrete Schritt hin zu einer molekularen Präzisionsmedizin und einer personalisierten Behandlung. Im Gegensatz zur Medizin von vor 20 Jahren können wir heute viel tiefer in den menschlichen Organismus hineinschauen. Durch das Sequenzieren des „Krebsgenoms“ erkennt man immer mehr, dass jeder Krebs sein eigenes genetisches Profil hat. Dieses Verständnis der genetischen Unterschiede beziehungsweise Veränderungen erlaubt es dem Arzt, basierend auf diesem speziellen genetischen Profil, die zielführendste und effektivste Therapie einzusetzen. Das ist das Prinzip der Präzisions- und personalisierten Medizin, die von der Onkologie sehr bald auch auf andere große Gebiete, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Probleme, angewandt werden wird. Bislang ist man dabei nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vorgegangen, wissend, dass ein Medikament bei einem Patienten anschlagen kann, beim nächsten jedoch überhaupt nicht. Klinische Medizin ohne molekulare Grundlagenforschung ist nicht mehr denkbar.
Waren diese revolutionären Veränderungen der Auslöser für die Gründung des Instituts für Biomedizin an der Eurac?
In Südtirol gab es bis 2002 keine medizinisch-biologische Grundlagenforschung. Unsere Vision war, ein Institut aufzubauen, das uns die Möglichkeit gibt, mit der Entwicklung der Medizin Schritt zu halten. Immer in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Sanitätseinheit.
Werden diese neuen Methoden in den Südtiroler Spitälern schon angewandt?
Die Onkologen machen das sicher. Den jüngeren Medizinern ist klar, dass die Entwicklung in diese Richtung geht. Wir betreiben Forschung ja nicht um ihrer selbst willen, sondern um den Menschen zu helfen. Das rasante Tempo lässt einen das leider manchmal vergessen.
Sie haben ein klassisches Medizinstudium absolviert. Wie kamen Sie zur Forschung?
Bei mir war es eine Häufung von Glücksfällen. Ich wollte gar nicht Medizin studieren sondern Literatur. Das Interesse für Medizin kam erst, als mein Vater gestorben ist. Während meines Studiums in Innsbruck wollte ich so schnell wie möglich zurück nach Bozen, doch als ich meinen Facharzt in Neurologie gemacht habe, hatte ich die Möglichkeit für zwei Jahre nach England zu gehen. Dort hatte ich einen Lehrer, der mir vermittelt hat, dass noch etwas mehr in mir steckt. Das war die Zeit, als die Forschung erstmals herausgefunden hat, dass bestimmte Gene für mein Spezialgebiet Parkinson verantwortlich sind. Damit hat sich mir die Tür zur Forschung aufgetan.
Ist Genforschung der momentan faszinierendste Teil der Forschung?
Wenn man den Wissenszuwachs als Parameter hernimmt, ist sie der spannendste Bereich. Andererseits verspricht man sich davon oft auch zu viel. Als das humane Genomprojekt startete, hieß es, in ein paar Jahren werden Krebs oder Diabetes heilbar sein. Davon sind wir noch weit entfernt. Letztendlich aber machen die Gene den Menschen aus.
Kann man das so sagen, dass die Gene den Menschen ausmachen?
Man kann. Die Gene machen die Veranlagung eines Menschen aus, aber natürlich spielen die Umwelt und die Lebensweise eine große Rolle. Wer wie ein Schlot raucht, lebt riskant. Genforschung hilft, Krankheiten besser zu verstehen. Zum Beispiel weiß man durch vergleichende Untersuchungen an Hundertjährigen mittlerweile, dass es auch protektive Gene gibt, die vor dem Ausbruch einer Krankheit schützen.
Wie erklärt sich aus genetischer Perspektive, dass ein Mensch, der ein Leben lang gesund gelebt hat, plötzlich an Krebs erkrankt? Trägt der das krankmachende Gen in sich?
Darüber weiß man noch relativ wenig. Sicher ist: Je jünger jemand erkrankt, desto größer ist der genetische Anteil. Bei älteren Personen spielt die Umwelt die größere Rolle, auch wenn eine gewisse genetische Veranlagung dabei ebenfalls eine Rolle spielt.
Welche Rolle spielen psychische Probleme?
Keiner wird bestreiten, dass psychologische Faktoren bei Krankheiten eine Rolle spielen. Ob die allerdings so tief gehen, dass sie die Gene verändern, würde ich eher bezweifeln. Wissenschaftlich gesehen, wissen wir darüber noch sehr wenig. Vielleicht in zehn Jahren.
Der weltweite Konkurrenzdruck in der Forschung ist enorm. Welche Chancen hat das kleine Eurac-Institut in diesem Haifischbecken?
Die Chance besteht darin, etwas anderes als alle anderen zu machen. Als wir das Institut gegründet haben, haben alle gesagt: Was wollt ihr denn in dieser Pampa Grundlagenforschung betreiben? So etwas passiert in Mailand oder München, aber doch nicht in Südtirol. Das stimmt nicht, denn Forschung wird heutzutage in Konsortien betrieben, in die man sich einklinken kann. Es geht heute in der Forschung nicht mehr darum, wo man etwas macht, sondern was man macht, wie sich das von anderen unterscheidet und wer die besten Idee dazu hat. Diese Ideen kommen nicht mehr von einzelnen, sondern von vielen Forschern aus unterschiedlichsten Disziplinen, die sich alle über eine große und wichtige Fragestellung den Kopf zerbrechen. Wir sind zwischen 50 und 60 Leute am Institut, das ist wenig im Vergleich zu anderen Instituten, die mindestens zehnmal so viele Forscher beschäftigen. Aber wir können zum Beispiel einen Teil in der Erforschung von Herzkreislauf-Erkrankungen übernehmen.
Südtirol soll, siehe das GenNova-Projekt im Vinschgau, für Genforscher ein Paradies sein.
Ja, aber nicht weil wir genetisch anders als alle anderen Mitteleuropäer sind, sondern weil es sehr abgeschlossene Dörfer gibt, in denen viele Leute von den gleichen Vorfahren abstammen. Der Genpool ist im Vergleich zu genetisch vielfach durchmischten Orten sehr einheitlich und auch die Umwelt ist einheitlich. Diese Homogenität ist ein Vorteil, wenn es um das Verständnis von genetischen Veränderungen und ihre Interkation mit Umweltfaktoren geht.
Woran misst sich der Erfolg eines Instituts?
Wenn man verstehen will, was ein Gen in einer Zelle bewirkt, muss man es abschalten. Das nennt man in der Wissenschaft Deletionstest. Wenn man einen Deletionstest für ein wissenschaftliches Institut durchführt, lautet die Frage: Was wäre anders, wenn es das Institut nicht gäbe?
Was wäre anders, wenn es das Eurac Biomedizin-Institut nicht gäbe?
Es gäbe einige wichtige und für die Medizin der Zukunft essentielle Forschungsbereiche nicht, dazu gehört ganz besonders auch die Grundlagenforschung. Diese Synergie ist wichtig, um die Entwicklungen in der Medizin hautnah mitzuerleben und auch umzusetzen. Ich habe 2002 im Keller der Eurac mit einem bulgarischen Kollegen angefangen, mittlerweile sind hier bis zu 60 Wissenschaftler aus aller Welt tätig. Am Institut arbeiten neben Südtirolern auch Kollegen aus Italien, Deutschland, Österreich, aus England, Island, Portugal, Griechenland und Argentinien. Englisch ist Umgangssprache. Wir haben zusammen mit großen Konsortien bei einer Reihe von Forschungen mitgewirkt, die konkrete Erfolge erbracht haben. In diesem Punkt spielen wir ganz oben mit. Lokal wirken wir durch die groß angelegten Studien sicher als Katalysator für ein höheres Gesundheitsbewusstsein. Nicht zu vergessen: Wir bieten Südtiroler Forschern die Möglichkeit in ihrer Heimat zu arbeiten.
Welche Forscher kommen nach Südtirol?
Zwei Kategorien. Manche kommen, weil sie Interesse daran haben, etwas Neues aufzubauen und Teil einer größeren und langfristigen Vision sein möchten. Die sorgen für Konstanz im Institut. Dann gibt es junge Forscher, die einige Jahre bleiben, um intensiv an einem Projekt zu arbeiten und danach ziehen sie wieder weiter. Das sind meist sehr ambitionierte und zielstrebige junge Forscher, die die Arbeit bei uns als wichtigen Baustein für ihre persönliche Forscherkarriere betrachten … und in der Zeit höchst engagiert und produktiv sind. Es braucht beide.
Warum sind Sie zurückgekommen?
Weil ich etwas schaffen wollte, was größer ist als ich. Das ist der Antrieb. Ich hätte in England oder in Innsbruck bleiben können, aber ich wollte selbst etwas aufbauen, ein Spur, ein Vermächtnis hinterlassen. Ob es gelingt oder nicht, weiß man ja nicht im voraus, aber ich wollte es probieren. Die Mission war von Anfang an, ein biomedizinisches Zentrum aufzubauen, in dem auf hoher Ebene geforscht werden kann.
Wie waren die Anfänge?
Schwierig. Ich hatte einen Computer im Keller der Eurac, mehr war nicht da. Das Hauptproblem war, wie man überhaupt Forscher nach Südtirol bringen soll. Wir waren zuerst ein zusammen gewürfelter Haufen, der sich so allmählich selbst gereinigt hat. Jetzt sind wir wirklich ein Team, das weiß, wohin die Reise gehen soll. Und wenn man bedenkt, dass es das Zentrum erst seit 5 Jahren gibt, ist der Aufbau rasch erfolgt. Wir sind mittlerweile international sichtbar, wir arbeiten mit großen Konsortien zusammen, sind gut vernetzt und wir sind so attraktiv, dass die Forscher uns suchen.
Gibt es den politischen Willen zur Forschung in Südtirol?
Ganz am Anfang wurden wir lächerlich gemacht. Vergiss es, das kannst du in Mailand oder München machen, das geht in Südtirol nie! Dann wird man bekämpft und irgendwann sagen alle: Eh klar, das hat es gebraucht! Der politische Wille hat sich über die Jahre entwickelt und ist jetzt deutlich zu spüren.
Wie gehen Sie damit um, wenn man Ihre Bemühungen ins Lächerliche zieht? Lassen Sie das an sich abprallen?
Ich kann verstehen, dass die Menschen an Mailand oder München und nicht an Südtirol denken, wenn sie Genforschung hören. Südtirol hat keine Forschungstradition, es dauert, bis so etwas im Bewusstsein der Öffentlichkeit ankommt. Mindestens eine Generation. Insofern habe ich mit Lächerlichmachung kein Problem, ich nehme das nicht persönlich. Und wir Forscher haben auch die Pflicht zu erklären, warum wir tun, was wir tun und welchen Nutzen das letztendlich für die Gesellschaft hat Das ist unsere Bringschuld.
Ihr persönliches Forschungsgebiet ist die Schreckenskrankheit Parkinson. Wir steht es um die Heilungschancen?
Von den neurologischen Krankheiten ist Parkinson sicher die Erkrankung mit den besten Chancen, gut behandelt zu werden. Es gibt Therapien, sowohl pharmakologisch als auch neurochirurgisch, die es beispielsweise für Alzheimer oder Multiple Sklerose nicht gibt. Viele Patienten können damit gut leben. Ein Versprechen, dass die Krankheit in zehn Jahren geheilt werden kann, wäre aber nicht seriös. Das humane Genomprojekt, das mit riesigen Versprechungen begonnen wurde, hat uns gelehrt, dass alles viel komplexer ist als ursprünglich angenommen. Hat man ein Problem gelöst, taucht das nächste auf. Das Leben ist eben viel komplexer als eine Gensequenz.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Peter Paul Pramstaller, geboren 1960 in Bruneck, ist Neurologe am Zentralkrankenhaus Bozen und Gründungsdirektor des Zentrums für Biomedizin der Europäischen Akademie Bozen. Nach seinem Medizinstudium in Innsbruck und der Facharztausbildung in Verona mit Aufenthalten in Heidelberg und London hat er sich 2003 an der Medizinischen Universität zu Lübeck habilitiert, wo er seit 2009 apl. Professor ist. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Untersuchung von molekulargenetischen Ursachen von Bewegungsstörungen, Populationsgenetik und Rückführung dieser Forschungsergebnisse in die Klinik (Translationale Medizin). Weiter beschäftigt er sich mit der Entwicklung und Anwendung von neuen Leadership- und Managementmodellen in Wissenschaft und Gesundheitswesen. Pramstaller ist Autor von über 270 Artikeln in internationalen Zeitschriften und Kapitel in mehreren Büchern, und Mitglied von nationalen und internationalen Fachorganisationen.
EURAC Zentrum für Biomedizin
Das Zentrum für Biomedizin der EURAC wurde 2009 gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen Forschung und dem Gesundheitswesen zu institutionalisieren. Ein Team aus Molekularbiologen, Medizinern, Bioinformatikern und Statistikern befasst sich mit der Frage, wie genetische Veranlagung, Umwelt und individueller Lebensstil der Menschen die Entstehung und die Entwicklung von Krankheiten beeinflussen. Schwerpunktmäßig erforscht das Institut Krankheiten aus den Bereichen Neuromedizin, Herz-Kreislauf und Stoffwechsel-Krankheiten, aber auch methodologische Aspekte aus der Biostatistik, der Epidemiologie oder der Bioinformatik spielen eine zentrale Rolle. Im Rahmen der CHRIS-Studie beobachtet das Zentrum über einen längeren Zeitraum hinweg den Gesundheitszustand der Südtiroler Bevölkerung, um die Ursachen für besonders häufige Erkrankungen zu identifizieren. Am Zentrum für Biomedizin tätige Forscher haben in Zusammenarbeit mit internationalen Forschungspartnern bislang hunderte von Genen identifiziert, die Merkmale wie Lipide, Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Nierenfunktion beeinflussen. Einige davon sind Zielgene für einen besseren Schutz vor aber auch eine bessere Behandlung von Krankheiten. Zum Beispiel kann ein Gen, das die Funktion der Nieren beeinflusst, helfen vorherzusagen, ob bestimmte Bluthochdruckmedikamente bei einer Person wirken oder nicht. Ebenso gibt es vier Gene, welche den Fetthaushalt beeinflussen, die zur Entwicklung von neuen Medikamenten genutzt werden, welche das „gute“ Cholesterol (HDL) erhöhen oder das „schlechtes“ Cholesterol (LDL) senken, beide bekannt als Verursacher von Herzkrankheiten. Diese ersten Beispiele zeigen, wie sich die neuesten Erkenntnisse aus der Genforschung in nicht allzu ferner Zukunft auch nützlich für die klinische Anwendung erweisen können.
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