Millionen im Eisschrank
Von wegen „gehorteter Schatz“: Südtirols Gemeinden kämpfen aufgrund der eingefrorenen Geldmittel um ihre Investitionen – und erheben schwere Vorwürfe gegen Land und Gemeindenverband.
Von Anton Rainer
Im Nachhinein kann sich Alfred Valentin glücklich schätzen: Der ruhige Weihnachtsabend wäre wohl wesentlich aufgeregter verlaufen, hätte der Brunecker Gemeindesekretär schon am 23. März die Verabschiedung des nationalen Stabilitätsgesetzes mitverfolgt.
So kam die böse Überraschung erst im neuen Jahr.
Ende Februar 2016 beschloss die Landesregierung, insgesamt 25 Absätze der entsprechenden staatlichen Norm anzufechten. Einer der wichtigsten Punkte betraf die buchhalterische Mehrjahresplanung der Südtiroler Gemeinden und Gebietskörperschaften (die TAGESZEITUNG berichtete.) Konkret bereitete denen nicht nur die seit längerem bekannte Umstellung auf neue Buchhaltungssysteme Schwierigkeiten, sondern auch der neue Umgang mit Überschüssen. Plötzlich, so sieht es ein laut Arno Kompatscher „dem Autonomiestatut widersprechender Fehler“ im Gesetz vor, durften die Gemeinden ihre Überschüsse nicht mehr in den neuen Haushalt einbauen – obwohl sie bereits durch entsprechende Beschlüsse in der einen oder anderen Form zweckgebunden waren.
Mit rund 500 Millionen Euro an Überschüssen rechnet man nun, nach einer außerordentlichen Revision, von Landesseite insgesamt. Ein regelrechter „Schatz“ sei das, den die Gemeinden da horten würden.
In den Körperschaften selbst sieht man die Sache erwartungsgemäß etwas anders. „Es gibt keinen Schatz“, sagt etwa Alfred Valentin, „es gibt ein Bilanzergebnis, das von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich ist. Nicht ausgegebene Geldbeträge bilden einen Überschuss, der aber in den allermeisten Fällen durch bereits gefasste Beschlüsse gebunden ist.“ Der tatsächliche „freie“ Überschuss sei auch nach einer außerordentlichen Revision kaum größer als in den Jahren zuvor – und liege bei rund 20 Prozent einer ohnehin zu hohen Summe. Der vermeintliche Schatz schrumpft damit auf gerade einmal ein Fünftel einer halben Milliarde zusammen. „Einen Schatz gibt es sicher nicht“, sagt auch Josef Fischnaller, Gemeindesekretär in Brixen.
Übersetzt heißt das: Statt eines weichen Finanzpolsters haben viele Gemeinden nun ein massives Problem mit laufenden Investitionsvorhaben, – was auch an der mangelnden Information vonseiten des Gemeindenverbands liege. „Die Komplexität der staatlichen Haushaltsreform wurde vom Südtiroler Gemeindenverband, Land und vielen Gemeinden mehr als unterschätzt“, sagt Alfred Valentin, „man hat so getan, als ob mit der Installation einer neuen Software alles laufen würde.“ Das Gegenteil sei der Fall gewesen: „Wir Gemeinden fordern seit langem kompetente Anlauf- und Beratungsstellen, die völlig fehlen. Ich habe den Eindruck, dass die Politik sich nur für das Weltbewegende interessiert, die Hilferufe von unten aber als lästig empfindet.“ Bis heute, so mehrere Beamte gegenüber der TAGESZEITUNG, wisse man in vielen Gemeinden nichts von den blockierten Ausgaben.
Tatsächlich scheint die Kommunikation zwischen Land und Gemeinden derzeit etwas schwierig: „Ich sehe mit Genugtuung, dass die Gemeinden nicht am Hungertuch nagen“, sagte Kompatscher dem Tagblatt der Südtiroler am Mittwoch – und: „Damit dürfte das ewige Gejammere ums Geld nun wohl beiseite geschoben sein.“ Eine Äußerung, die vor allem in größeren Gemeinden für Aufregung sorgt. „Arno Kompatscher weiß, dass das nicht stimmt“, sagt ein aufgebrachter Beamter gegenüber der TAGESZEITUNG, und meint: „Ich kann nicht glauben, dass der Landeshauptmann das so gesagt hat.“
Auch Landesrat Schuler sieht angesichts der jüngsten Polemik keinen Grund zur Sorge: „Bei allem Verständnis für die Probleme: Die Gemeinden haben für ihre Schlussrechnung ja bis Ende Juni Zeit.“ Bis dahin, so hofft Schuler, werde man auch mit dem Staat eine Lösung gefunden haben, damit die Gemeinden das Geld behalten dürfen – egal ob es sich dann um bereits „gebundene Überschüsse“ oder neue „Schätze“ handelt.
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