Kopf der Woche: Alex Schwazer
Nach seinem tiefen Fall, der Beichte, der Reue und den leidvollen Jahren hat er gezeigt, was er auch ohne Doping kann: Alex Schwazer. Ein Porträt von Arnold Tribus.
Während wir da in Bozen am Sonntag gewählt haben, hat er sich im fernen Rom, in dem er seit rund einem Jahr lebt, einer für ihn wohl wichtigeren Wahl gestellt. In Rom musste Alex Schwazer bei der Weltmeisterschaft der Geher sich selbst, der Nation und der ganzen Welt beweisen, dass er wieder da ist, dass er die alte Kondition zurückerlangt hat, dass er wieder in der Weltelite mitspielen und mithalten kann, dass er sich ein Ticket für die Olympiade in Rio verdient hat.
Und er hat nicht enttäuscht und mit einer überragenden Leistung ein großartiges Comeback feiern können. Er hat seine Wahl gewonnen, ohne Stichwahl. Es war geradezu rührend, wie er in den Straßen des historischen Rom von zahlreichen Fans angefeuert wurde, der große Alex, dem man seinen Sündenfall verziehen hat und auf den man wieder stolz ist, weil er ezeigt hat, dass er auch ohne Doping was wert ist, dass er seine erste Olympiade ohne Doping gewonnen hat, obwohl man ihm ja auch diese streitig machen wollte.
Er hat in Sandro Donati, den gefürchteten Anti-Doping-Kämpfer, der ihn auch angezeigt hat, nun einen kongenialen Partner gefunden, der ihn auf dem langen Weg der Wiederauferstehung begleitete, wie einen verlorenen Sohn. Er wurde uns in einem tränenreichen Schuldbekenntnis vorgeführt, die Wahrheit kam dann zizerlweise an den Tag. Auf keinem Sportler, der des Dopings überführt wurde, wurde so gemein und böse herumgetrampelt wie auf dem schönen Blonden aus Kalch, gegen niemanden ist mit der Verbissenheit vorgegangen worden, wie gegen ihn. Noch nie hat es in Sachen Doping eine so lange anhaltende Ermittlung gegeben wie gegen Schwazer. Eine Ermittlung ohne Ende, zuerst von der Bozner Gerichtsbarkeit, bei der herauskam, dass hohe Funktionäre von der Sünde Schwazers wussten, dass er gedeckt wurde, überhaupt, dass es ein regelrechtes Doping-System gibt, für das Alex Schwazer die Alleinschuld übernehmen sollte. Nach der ordentlichen Justiz ermittelte die römische Sportjustiz.
Man hatte den Eindruck, dass man ihn fertig machen will, mürbe, in seiner Existenz zerstören. Dabei würde ein Blick auf den Fahrradsport genügen, wer erwischt wird, wird zwei Jahre gesperrt, dann sind sie alle wieder da und gewinnen den Giro. Schwazer wurde gedemütigt, vom Star zum Verbrecher, dalle stelle alle stalle. Nur weil es sich um einen Südtiroler handelt, sind sie so hart, sagte mir einer, der von einer Südtiroler Sportnation träumt.
Nach all den Demütigungen, den Bosheiten, den Schmähungen und dem Hohn, den Verleumdungen, den Verunglimpfungen, den Diffamierungen, denen er ausgeliefert war, den Bosheiten, den Gemeinheiten, die er erdulden musste, hat er wieder zu sich gefunden und nach einigen Irrungen – er hat auch in Innsbruck studiert – erkannt, dass der Sport, das Gehen, seine Welt ist und er hat den Mut gehabt, bescheiden und demütig von vorne zu beginnen, allein, aber mit der selben Energie, dem selben Einsatz, dem selben Engagement, der selben Mühe und Plage. Er, der goldene Carabiniere, dem alle Ehren zuteil geworden waren und der im Quirinal empfangen wurde, wurde mit Schimpf und Schande entlassen, des Korps unwürdig.
Und als es endlich soweit war und er geläutert in die Arena zurückkehren wollte, begann die Hetze von vorne: „Vergogna d’Italia“, rief ein empörter Hochspringer Gianmarco Timberi, non lo vogliamo in azzurro“. Aber auch hiesige Sportler rümpften die Nase, regelrecht entsetzt hat mich die Härte des VSS-Präsidenten Günther Andergassen, der eine lebenslange Sperre für Schwazer forderte. Andergassen, einst treuer Genosse an der Seite von Otto Saurer, hat wohl vergessen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und dass jeder Bürger, der seine Rechnung mit der Justiz bezahlt hat, wieder voll in die Gesellschaft integriert werden muss.
Lebenslänglich gibt es nicht, Herr Andergassen, kein Mörder erhält lebenslänglich.
Bei uns herrscht nicht die Scharia, die Sündern oder Verbrechern die Hände abschneidet, den Kopf, die Füße oder den Schwanz, je nachdem, mit welchem Organ sie gesündigt haben. Diese khomeinistische Justizidee ist einfach schrecklich und eines Präsidenten unwürdig. Treten Sie zurück, Herr Andergassen! Wer eine zweite Chance verwehrt, ist einfach unmenschlich und gegen das Gesetz. Aber er hat sich von allen Polemiken vor dem Wettkampf, die nur darauf zielten, ihn mürbe zu machen, nicht drausbringen lassen.
Er war in Rom, der alte Alex: ein flatterndes Nervenspiel ist sein Gehen, Hals und Statur recken sich zu kühner Geste. Er biss sich vehement auf die Lippen, um beim ersten Interview die Tränen zu unterdrücken, aber sie quollen über und kullerten sein abgequältes Gesicht herunter, Tränen der Freude, Tränen des Glücks, der Genugtuung, der Befriedigung. Tränen der Wonne.
So, schien er uns zu sagen, da bin ich wieder, ich hab es geschafft, ich habe es gewusst, ich habe es versprochen, ich habe es gepackt.
Sein verbissener Blick galt allen, die an ihm zweifelten, die über seine Disziplin lächelten. Sein Erfolg überwältigte ihn so sehr, froh, sich der Welt als Sieger zu zeigen, seiner Sportnation, die ihm die Tricolore umhüllte und mit ihm jubelte, den gefallenen und wieder auferstandenen, zähen Goldjungen aus den Bergen, der zum Römer wurde. Er hat jahrelang auf dieses Ziel hingearbeitet und allen weltlichen Genüssen widersagt. Ernst, Nüchternheit, Zucht und Strenge haben ihn zum Erfolg geführt. Man wird nicht der schnellste Geher der Welt, wenn man nicht imstande ist, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Und das ist wohl das Geheimnis diesen reservierten und intelligenten Athleten mit festen Wurzeln in seinem Kalch.
Sein Traum von Olympia möge sich erfüllen, wir gönnen und wünschen ihm das! Großer Alex!
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