„Lasst die Kitze in Ruhe“
Das Amt für Jagd und Fischerei appelliert: Hände weg von Rehkitzen. Jährlich verenden in Südtirol rund 1.000 Bambis, weil sie bei Mäharbeiten schwer verletzt werden. Aber auch schon das Berühren der Tiere kann für sie verheerende Folgen haben.
von Erna Egger
„Ich kann keine Zahlen nennen. Es passiert nicht häufig, aber immer wieder“, bestätigt Johann Rungaldier, Jagdaufseher in der Gemeinde Jenesien.
In diesen Wochen kommen die ersten Rehkitze zur Welt. Mitte Juni hat der Großteil der Rehgeißen seinen Nachwuchs geboren. In den ersten 14 Tagen liegen die Rehkitze oft ruhig im hohen Gras, die Mutter ist nicht immer in der Nähe.
Diese Bambis haben oft eine große Anziehungskraft: Spaziergänger und Wanderer können oft nicht widerstehen und fassen das Kitz an, streicheln es oder nehmen es – im Glauben, dass es von seiner Mutter verlassen wurde – sogar mit.
„Vor allem Stadtmenschen denken oft, dass das Kitz verwaist ist. Zumeist melden sie dann diese Leute bei uns. Wir versuchen, das Tier wieder zurückzubringen und freizulassen. Aber es besteht die Gefahr, dass die Rehgeiß ihr Junges wegen dem fremden Geruch nicht mehr gern annimmt“, weiß Rungaldier.
Das Amt für Jagd und Fischerei startet deshalb einen Aufruf: „Wildtiere gehören in die Natur und nicht in menschliche Obhut.“
Diese Berührungen haben oft fatale Folgen. „Durch den veränderten Geruch erkennt die Mutter ihr Junges nicht mehr und das Kleine stirbt“, betont der Direktor des Landesamtes für Jagd und Fischerei, Luigi Spagnolli.
Auch vermeintliche Rettungsaktionen, die gut gemeint sind, bewirken das Gegenteil.
Das Amt für Jagd und Fischerei appelliert: Ein Rehkitz sollte es in Ruhe gelassen werden. „Denn meist entfernt sich die Mutter nur während der Nahrungssuche vom Kitz, kehrt dann aber wieder zurück, um es zu säugen. Rehkitze haben noch keinen Eigengeruch und können daher von Feinden nicht gerochen werden: Diese Eigenschaft schützt Rehkitze genauso wie ihre spezielle Färbung und ihr Instinkt, sich bei Gefahr fest an den Boden zu drücken“, klärt das Amt auf.
Beim Rehwild sei es völlig normal, dass Rehkitze allein im Gras liegen und die Mutter nicht in der Nähe ist: Diese vermeintlich „hilflosen“ Jungtiere brauchen also keine „Hilfe“ durch den Menschen, heißt es aus dem Amt für Jagd und Fischerei. Rehkitze sollen deshalb – wie andere junge Wildtiere – nicht mit nach Hause genommen werden. Sollte dies dennoch erfolgen, misslingt danach in den meisten Fällen die Auswilderung, da solche Tiere nicht mehr in der freien Natur zurechtkommen.
Natürlich könne es vorkommen, dass ein aufgefundenes Rehkitz wirklich mutterlos ist, weil das Muttertier vielleicht überfahren wurde. Solange dies aber nicht bestätigt ist, sollte das Kitz nicht berührt werden. „In offensichtlichen Situationen sollte sofort das zuständige Personal informiert werden. Denn um ein Wildtier aufzuziehen bzw. gesund zu pflegen, braucht es nicht nur Fachwissen, sondern auch eine entsprechende Infrastruktur“, so das Amt.
Außerdem: „Die Aufzucht von Rehtieren durch Privatpersonen ist verboten. Das Gesetz sieht Strafen vor“, warnt Rungaldier.
„Wildtiere sind keine Kuschel- oder Schmusetiere, sondern benötigen ihre Freiheit und die Natur, um sich wohlzufühlen“, betont das Amt. „Dasselbe gilt übrigens auch für kleine Hasen, Igel oder Vögel“, so Luigi Spagnolli.
Nach wie vor stellen jedoch die Mäharbeiten der Bauern die weit größere Gefahr für die Jungtiere dar. „Auf europäischer Ebene heißt es, dass das Mähen der Wiesen die häufigste Todesursache der Kitze ist“, so Spagnolli.
„Rund 1.000 Kitze fallen in Südtirol dem Mähtod zum Opfer fallen“, schätzt Paul Gassebner vom Jagdverband. „Gerade der Mähzeitpunkt, der vom Wetter abhängig ist, ist oft ausschlaggebend, ob es viele oder wenige Verluste gibt.“
„Der Fuchs holt sich dann sehr schnell diese toten oder verletzten Tiere. Es gibt Füchse, die haben sich rein auf Kitze spezialisiert“, weiß Rungaldier.
Zwei bis drei verletzte Tiere werden jährlich von Bauern ins Tierheim Sill gebracht. „Wenn die Verletzungen nicht so schwer sind, behandeln wir sie und setzen sie dann in der freien Wildbahn wieder aus oder geben sie an Wildgehege weiter“, so der Tierarzt Giovanni Lorenzi.
LESEN SIE MORGEN AUF TAGESZEITUNG ONLINE: IN ZWEI SÜDTIROLER JAGDREVIEREN KONNTEN IM VORJAHR 56 REHKITZE MITHILFE EINER DROHNE GERETTET WERDEN.
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