Extra-Erstling
Seit 2007 gibt es diese Rubrik, und noch nie habe ich eine Besprechung ausfallen lassen oder gar wiederholt. „Mustang“ ist diese Premiere wert.
von Renate Mumelter
Der Erstlingsfilm der türkischen Regisseurin Ergüven hat bereits im Frühjehr in Cannes für Überraschung gesorgt. Jetzt ist er in deutscher Fassung zu sehen und besticht nach wie vor durch seine positive Grundhaltung.
Die fünf Schwestern Lale, Nur, Ece, Selma, Sonay sind wie Mustangs, jene wild lebenden Pferde, langbeinig und ungebändigt, ihre Haare fliegen im Wind. Das ist Freiheit, Leichtigkeit, Lebensfreude. Aber es dauert nur einen Wimpernschlag, und alles ist vorbei. Damit beginnt eine Geschichte, die in der Türkei spielt. Die fünf Schwestern haben vor zehn Jahren ihre Eltern verloren und werden von der Großmutter aufgezogen. Ihr zur Seite steht ein zwielichtiger Onkel. Solange die Mädchen Kinder sind, geht alles gut, sobald sie aber zu jungen Frauen werden, wird alles anders. Die Gesellschaft fordert ihren Tribut. Die Mädchen dürfen keine Shorts mehr tragen, sich nicht mit Buben balgen, die Familie muss auf deren Jungfernhaut aufpassen. Die Großmutter versucht, die Regeln mit liebevoller Strenge durchzusetzen. Auch sie steht unter Druck, möchte ihre Enkelinnen vor Schlimmerem bewahren. Das morbide Verhalten des Onkels den Nichten gegenüber zeigt die Verlogenheit des Systems. Hintereinander werden die Mädchen verheiratet, angefangen bei der Ältesten. Jede von ihnen geht mit ihrem Schicksal anders um.
Erzählt wird aus der Sicht der Jüngsten. Sie schaut zu, macht sich ihre Gedanken, sucht eine Perspektive, zieht Konsequenzen. Das ist das Schöne an Deniz Gamse Ergüvens Film. Er zeigt zwar, wie schlimm es jungen Frauen in der Türkei ergehen kann, und das ist für unsereins ebenso unerträglich wie unverständlich, aber der Film bleibt nicht im Jammern stecken. Er zeigt auch, dass Alternativen möglich sind. Dazu braucht es allerdings Mut und viel Glück.
Mustang (F, T, D 2015), 94 Min., Regie: Deniz Gamse Ergüven. Mit: Güne? ?ensoy, Do?a Do?u?lu, Elit ??can, Tu?ba Sunguro?lu, ?layda Akdo?an, Nihal Kolda?. Bewertung: Ernst und heiter
Was es sonst noch gibt: „Raum“ mit Brie Larson, „Brooklyn“ mit Saoirse Ronan, Pasolinis „Accattone“ (nur Mittwoch)
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