„Kein Mars-Mensch“
Senator Karl Zeller über ein „dummes“ (SVP)-Wahlgesetz, einen aussterbenden Politikertypus – und über Christoph Baur als bestmöglichen Bürgermeisterkandidaten für Bozen.
TAGESZEITUNG Online: Herr Zeller, wie analysieren Sie den Ausgang der PD-Vorwahlen in Italien?
Karl Zeller: Wir sehen hier die alten Leiden der italienischen Parteien, vor allem der Parteien aus dem Süden. Der Ausgang der Vorwahlen steht symptomatisch für einen Klientelismus, für ein System von Gefälligkeiten, in dem sich die Kandidaten zu behaupten haben. Es gibt gewisse Leute, die Stimmen kaufen. Das ist ein kulturelles Problem und eine schlimme Sache für den PD, weil das Instrument der Vorwahlen durch den Stimmenkauf schwer beschädigt wird. Noch bedenklicher ist aber die Art und Weise, wie die Politik auf die Vorkommnisse reagiert: Sie sagt, es sei alles in Ordnung. Wenn keine Konsequenzen gezogen werden, wird es sehr schwer für den PD, die Gemeindewahlen zu gewinnen.
Was heißt das für Ministerpräsident Matteo Renzi?
Er geht ein großes Risiko ein: Es ist nicht sicher, dass der PD in Mailand gewinnen wird, in Rom ist es noch schwerer und in Neapel ziemlich unwahrscheinlich.
Was würden Sie Renzi raten?
Das große Problem des PD sehen wir derzeit auch in Bozen: Renzi distanziert sich von den lästigen Mitte-Links-Kräften und den Grünen, um damit neue Wähler in der Mitte anzusprechen. Nur: Bei den Wahlen werden ihm dadurch jene zehn Prozent fehlen, die Mitte-Links dem PD in der Vergangenheit immer gesichert hat. Renzi sieht die Grünen und die Ökosozialen als Klotz am Bein und setzt auf ein mobiles Wählerpotential. Das ist gefährlich, weil sich die italienische Parteienlandschaft, also das klassische Schema, verändert hat. Renzi vergrault mit dieser Strategie den harten Kern der Stammwähler. Immer dann, wenn er nicht selbst zur Wahl steht, wird es für den PD sehr schwer.
Sie glauben, der PD hat sich verzettelt?
Das werden wir sehen. Ich bin kein Hellseher.
Wie schätzen Sie die Situation des PD in Bozen ein?
In Bozen ist es für den PD noch schwieriger. Hier ist der PD keine Partei, die 35 Prozent erreichen kann. Er kann sich also nicht leisten, auf die Mitte-Links-Kräfte zu verzichten. Renzo Caramaschi macht deshalb das einzig Richtige und versucht, diese Parteien mit ins Boot zu holen.
Ist die Entscheidung der SVP, einen eigenen BM-Kandidaten ins Rennen zu schicken, die richtige – oder verringert man dadurch nicht die Chancen von Renzo Caramaschi?
Renzo Caramaschi wird – unabhängig von uns – in die Stichwahlen kommen. Das Problem ist das kuriose Wahlgesetz, das dem siegreichen Kandidaten keinen Mehrheitsbonus zusichert. Damit unterscheiden wir uns vom restlichen Italien: Wir haben zwar die Direktwahl des Bürgermeisters, aber auch das Verhältniswahlrecht. Dieses Wahlgesetz ist eine dumme Sache.
Das Wahlgesetz wurde von Ihren Parteikollegen unter Federführung von Assessor Sepp Noggler ausgearbeitet!
Ich habe schon unmittelbar nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 1993 gesagt, dass wir nicht gezwungen werden können, die Direktwahl des Bürgermeisters einzuführen. Doch in Südtirol hat man sich gefreut, dass der Bürgermeister nicht mehr von den Parteien, sondern vom Volk gewählt wird. Das ist auch lange Zeit gut gegangen – nämlich so lange, wie es eine fixe Parteienstruktur gegeben hat. Seit aber die großen Parteien zusammenbröseln, werden die großen Städte nach und nach unregierbar. In Bozen kann es passieren, dass der Bürgermeister wegen seines Programmes gewählt wird, er sich aber danach mit anderen Parteien zusammenschließen muss, die ein völlig anderes Programm vertreten. Das ist eine Frotzelei des Wählerwillens. Nicht überall wird der Bürgermeister so ein großes Glück haben wie in Meran, wo sich seine Partei mit der stimmenmäßig stärkeren Verliererpartei zusammenschließen kann.
Die SVP tritt blockfrei an. Damit nimmt sie doch dem Mitte-Links-Bündnis Stimmen weg?
Nach dem Ausgang der letzten Wahlen haben alle verstanden, dass wir nicht noch einmal so vorgehen können. Wenn wir keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten präsentieren, haben wir dadurch auch weniger Stimmen für den Gemeinderat. Wollen wir etwa noch einmal den Kommissar rufen?
Matteo Renzi wird mit dem Alleingang seines Bündnispartners keine Freude haben?
Wir müssen schon auf uns schauen.
Geht die SVP blockfrei ins Rennen, um nach den Wahlen eventuell auch einen rechten Bürgermeister zu unterstützen?
Das hängt vom Bürgermeister ab. Es gilt dann die Benussi-Frage: Wir wollen schauen, wer der Bürgermeister ist. Das ist eine sehr schwierige Frage für die SVP, weil sie zu Spannungen mit dem PD führen kann.
Wenn der PD Bozen verlieren sollte, inwieweit wird das Ihre Arbeit in Rom beeinflussen?
Einfacher wird sie sicher nicht (lacht). Aber die SVP kann nicht für alles verantwortlich gemacht werden. Wir setzen uns logisch für einen PD-Bürgermeister ein und hoffen darauf. Die Entscheidung trifft aber der Wähler.
Herr Zeller, wie zufrieden sind Sie mit dem SVP-Bürgermeisterkandidaten Christoph Baur?
Christoph Baur ist ein super Kandidat. Ich kenne ihn schon lange, er ist ja ein Anwaltskollege. Einen besseren Kandidaten als ihn hätte die SVP nicht finden können. Er steht vor einer schwierigen Aufgabe, wird sie aber sicher gut meistern.
Beim BM-Kandidaten selbst scheint sich die Begeisterung aber noch in Grenzen zu halten …
Er ist ein sehr ausgewogener Typ, ein Techniker – so wie ihn sich die Wähler wünschen.
Baur entspricht aber so gar nicht dem Bild eines typischen Politikers ….
Was verstehen Sie denn unter einem typischen Politiker?
Jemand, der sich gerne in Szene setzt, leidenschaftlich Reden schwingt, die Leute mitreißt!
Sicher, diese Vorstellung von einem Politiker, der viel redet, wird es sicher noch geben. Diesen Typ sehen wir auch zum Teil im Landtag (lacht). Der klassische Politiker ist aber nicht mehr zeitgemäß. Dieser Typus Politiker wird von den Wählern nicht mehr gewünscht, er ist ausgestorben.
Die Wähler wünschen sich einen Quereinsteiger?
Das mit dem Quereinstieg ist so eine Sache. In der Politik ist es wie beim Autofahren: Jeder meint, es zu können. Doch die Politik ist kein Event, sondern eine äußerst komplizierte und belastende Knochenarbeit. Das beste Beispiel ist der Bürgermeister von Meran, der einer auffallend langen Eingewöhnungsphase bedurfte und meinte, ohne Programm arbeiten zu können. Aber irgendwann gab es dann ein schmerzliches Erwachen.
Sie sind überzeugt, dass Baur die Erwartungen erfüllen wird?
Absolut. Er weiß, wie die Stadtverwaltung funktioniert und ist kein Mars-Mensch. Er ist ein Techniker und wie gemacht für diese Aufgabe.
Interview: Matthias Kofler
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