Fataler Kunstfehler
Wie eine Frau aus Bozen nach einer Venen-Operation, einem Routineeingriff, völlig aus der Lebensbahn geworfen wurde.
Der Namen des Arztes spielt in den Gedanken der blassen Frau keine große Rolle. Sehr viel präsenter ist für sie das Datum, an dem sie von ihm operiert wurde. Der 14. August 2009, ein Tag vor Ferragosto. „Vielleicht war der Termin nicht günstig, vor einem Feiertag“, hadert Rosa Maria Cagol weiter mit ihrem Schicksal.
Und das war ihr tatsächlich nicht hold. Die 48-jährige Boznerin bezeichnet sich selbst als „psychisches Wrack“. Den größten Teil ihres Tages verbringt sie im Bett, am Abend arbeitet sie für einige Stunden als Schulwartin. Bis zur Operation am 14. August 2009 war sie Geschäftsführerin eines Brotstandes in Bozen.
„Mein Leben hat sich komplett zum Schlechten gewendet“, klagt Frau Cagol. „Ich habe meine Frau verloren“, fügt ihr Ehemann Mathias Kutzler hinzu.
Was hat die vierfache Mutter derart aus der Bahn geworfen? Damit beschäftigte sich auch das Bozner Zivilgericht, Richter Thomas Weissteiner hat jüngst dazu ein erstinstanzliches Urteil erlassen. Darin wird festgestellt, dass die Boznerin infolge eines chirurgischen Eingriffs am Krankenhaus Bozen Folgeschäden davongetragen hat.
Es handelte sich, medizinisch gesprochen, um einen Routineeingriff. Anna Maria Cagol fühlte sich gesund, hatte aber Probleme mit den Krampfadern. Sie unterzog sich deswegen im Bozner Spital mehreren chirurgischen Eingriffen, jener am Tag vor Ferragosto war der insgesamt sechste.
Amtsgutachterin Antonia Tessadri kam im Rahmen des Zivilverfahrens gegen den Sanitätsbetriebs zum Schluss, dass bei der Operation ein Nerv an Cagols Knie durchtrennt wurde. Die behandelten Ärzte hätten „sich nicht vergewissert, den Oberschenkelnerv sichtlich zu machen, und so seine Integrität zu schützen. Die Verletzung des Urteils sei vermeidbar gewesen durch eine korrekte Durchführung des Eingriffs“, wie Richter Weissteiner im Urteil schreibt. Ein Arztfehler.
Die Anwälte des Sanitätsbetriebs bestreiten dies im Zivilverfahren. Das Angebot auf finanzielle Entschädigung, das Frau Cagol unterbreitet worden war, sei lediglich ein Vergleichsangebot der Versicherung und kein Schuldeingeständnis.
14.000 Euro Schmerzensgeld bot die Versicherung des Sanitätsbetriebs der Patientin. „Angesichts der Folgeschäden völlig inakzeptabel“, sagt ihr Mann Matthias Kutzler.
Nach der Operation klagte seine Frau über Schmerzen am Knie. Schmerzen, die sie, wie sie betont, seitdem nicht mehr verlassen haben. „Ich nehme am Tag bis zu 18 Tabletten – gegen die Schmerzen und gegen die Depressionen“, berichtet Cagol. Sie wird im Zentrum für psychische Gesundheit betreut und war mehrmals zur Entgiftung in Bad Bachgart.
Am 4. Juli 2011 wurde das Knie der Frau noch einmal von einem Arzt in Brixen geöffnet. Ergebnis: Eine traumatische Durchtrennung des Nervs. Nicht mehr sanierbar. Gegen die Schmerzen helfen, jedenfalls bisher, allein die Tabletten.
Richter Weissteiner erhöhte die Schadenssumme in seinem Urteil von den schließlich vom Sanitätsbetrieb angebotenen 15.000 Euro auf knapp 22.000 Euro. Dass der Arbeitswechsel von Frau Cagol eine Folge des von der Gutachterin festgestellten Arztfehlers ist, konnte offenbar nicht bewiesen werden.
„Der Betrag ist inakzeptabel“, sagt auch hier Ehemann Matthias Kutzler. Über den Anwalt Ehrenfried Falk hat er das Urteil nun anfechten lassen.
Abseits vom Ausgang des Rechtsstreits kämpft die 48-jährige Boznerin weiter darum, ihr Leben halbwegs in den Griff zu bekommen – angesichts ihres Tablettenkonsums keine leichte Aufgabe.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.