Die Kirche muss cooler werden!
Don Paolo Renner ist Professor für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft in Brixen, gilt als Königsmacher bei den Bozner Bürgermeisterwahlen, hält mit seiner Meinung nie hinter dem Berg und wünscht sich eine coole Kirche.
Tageszeitung: Don Renner, die Tiroler Landesregierung hat Sie mit dem Ehrenzeichen des Landes Tirols ausgezeichnet. Was bedeuten Ihnen weltliche Ehrungen?
Don Paolo Renner: Die Auszeichnung hat man mir für meinen Brückenschlag zwischen Kirche und Welt verliehen. Das ehrt mich, denn genau das ist mein großes Anliegen. Ich wollte immer vermitteln, dass das Christentum, die Kirche, das Evangelium nichts Weltfremdes sind, sondern Werte enthalten, die auch für Laien von Interesse sein können.
Weltfremdheit ist Ihnen fremd.
Ich fremdle nicht mit der Welt, im Gegenteil. Ich engagiere mich auf der Ebene der Solidarität, im Ehrenamt, in außerkirchlichen und weltlichen Vereinen, ich bin in der Kulturszene sehr präsent und bringe mich ein, wenn es um politische Fragen geht. Hemmungen kenne ich nicht. Ich bin Bürger, ich zahle Steuer, ich gehe jedes mal zur Wahl und ich nehme das Recht in Anspruch, meine Meinung zu sagen, ohne diese sofort als Meinung der Kirche verkaufen zu wollen. Das Thema der Bewahrung der Schöpfung liegt mir als Direktor des Instituts „De pace fidei Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ sehr am Herzen. Das sind alles Schaltflächen zwischen Welt und Kirche, für die es fleißige Brückenbauer braucht und ich habe mich immer als einen solchen verstanden.
Die Arbeitsteilung zwischen Diesseits und Jenseits ist nichts für Sie?
Die Kirche ist eine Gemeinde, die in der Welt lebt. Seit dem II. Vatikanum wurde immer wieder deutlich formuliert, dass die Kirche auch für die Welt da sein soll. Denken sie an die christliche Soziallehre oder an die letzte Enzyklika von Papst Franziskus „Laudato si“. Der Papst kritisiert darin unsere Wirtschaftsform mit deutlichen Worten: Diese Wirtschaft tötet. Er kritisiert auch das technokratische Paradigma, das unsere Köpfe und Wünsche beherrscht, er kritisiert die Demütigung der Politik durch die Wirtschaft, das Verschwinden der Kultur angesichts der Übermacht der Wirtschaft. Die Kirche soll nicht nur sagen, wie man in den Himmel kommt, sondern auch wie man die Erde regieren sollte im Sinne der Bewahrung der Menschenwürde, der Achtung vor der Schöpfung. In diesem Sinne hat sich die Kirche immer auch als innerweltliche Instanz verstandenen, die etwas für die Welt zu geben hat.
Nach der weltlichen Ehrung fehlt Ihnen jetzt nur noch die Bischofswürde.
Ich fühle mich nicht zum Bischof berufen. Ein Bischof braucht viel mehr Geduld, als ich aufbringen kann und er muss diplomatisch sein. Das kann ich nicht, mein Charakter ist anders, ich muss Klartext reden und das mögen nicht alle. Ein Bischof muss für Ruhe und Ordnung sorgen, ich fühle mich eher dazu berufen, Unruhe zu stiften und Bewegung zu fördern.
So wie Jesus.
Ja, Jesus ist gekommen, um uns zu beunruhigen. Roberto Benigni hat jüngst bei der Vorstellung des neuen Buches von Papst Franziskus „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“ in Rom daran erinnert dass Papst Franziskus die Kirche zu Christus zurückführen will.
Ist die Kirche nicht bei Christus?
Es mag paradox klingen, aber es ist eine Tatsache, dass auch die Kirche sich von Christus entfernen kann. Jesus war weder Priester, noch Bischof, er war ein Laie, der ein priesterliches Lebens geführt hat, indem er sich für andere geopfert hat.
Jesus war das schrecklichste Kind der Weltgeschichte, wie der Philosoph Peter Sloterdjik sagt.
L’enfant terrible der Weltgeschichte ja. Ich bin jetzt bald 60 und halte mich immer noch für ein enfant terrible. Nach der Auszeichnung mit dem Ehrenzeichen habe ich zu meinen Freunden gesagt: mit dem Adler auf der Medaille ist nun öffentlich sichtbar, dass ich einen Vogel habe und dass ich ein bunter Vogel bin. Genau das, was man mir immer wieder vorwirft. Im Ernst, ich glaube, ich kann als Freelance-Theologe mehr bewirken, weil es mir gesellschaftliche Bereiche eröffnet, die für andere unzugänglich sind: , Gewerkschaften, Umweltschutzvereine und so weiter. Als Bischof wäre ich gehemmter, ich wäre in einen institutionellen Panzer eingeschlossen, Vor Jahren hat die Tageszeitung mich als Schattenbischof bezeichnet, ich bin mit dieser Rolle mehr als zufrieden.
Sie waren papabile. Haben Sie es sich vielleicht mit Papst Ratzinger verscherzt?
Bei der Bischofskongregation in Rom, wo die Bischöfe gebacken werden, gibt es verschiedene Karteien. Ich werde in der Kartei: Würdig, aber noch nicht geeignet, geführt. Wahrscheinlich werde ich nie ganz geeignet sein, weil ich eine andere Berufung habe. Ich fühle mich wohler als Dorfprophet denn als Landesbischof.
Von der vatikanischen Politik zur Lokalpolitik. Es heißt, dass Sie der Königsmacher bei den Bozner Bürgermeisterwahlen seien.
Es stimmt, dass ich Salghetti-Drioli und Luigi Spagnolli unterstützt habe. In dieser derzeitigen Vorwahlphase habe ich versucht, ein paar Damen zur Kandidatur zu bewegen. Das ist mir leider nicht gelungen.
Warum leider?
Weil ich der Meinung bin, dass es an der Zeit wäre, eine Frau auf dem Bozner Bürgermeistersessel zu haben. Ich habe noch einen anderen Kandidaten vorgeschlagen, aber der hat den Parteien nicht gepasst. Von den Kandidaten, die eine Chance haben, kennt Renzo Caramaschi sicher die Arbeit am besten. Er war in der Verwaltung und er war Citymanager, als Übergangsbürgermeister würde er taugen. Noch viel wichtiger wäre es, dass die Parteien endlich anfangen würden, politischen Nachwuchs auszubilden. Momentan herrscht die reine Not. Bei jeder Wahl muss irgendjemand aus dem Hut gezaubert werden und das sind nicht immer die überzeugenden Kandidaten. Das gilt sowohl für die italienischen Parteien als auch für die deutschen.
Vielleicht weil Politik als schmutziges Geschäft gilt.
Die Politik ist keine schmutzige Sache, sie ist etwas Nobles, eine Errungenschaft der modernen Kultur – vorausgesetzt, man achtet darauf, dass die Politiker nicht schmutzig arbeiten. Ein Hauptproblem ist die mangelnde Transparenz der Entscheidungen und leider auch der mangelnden Information.
Das Thema, das Europa gegenwärtig die Seele auffrisst, ist die Flüchtlingskrise. Manche fürchten durch den Zustrom muslimischer Flüchtlinge gar eine Islamisierung Europas.
Die Menschen, die nach Europa kommen, sind verzweifelte Menschen und nicht Missionare. Missionare kommen mit einem Plan, mit einer Strategie, diese Menschen jedoch sind Verzweifelte auf der Flucht, die in ihren Ländern keine Überlebenschancen haben. Es ist unsere Pflicht, die internationalen Regeln zu respektieren: Menschen, die vor einem Krieg fliehen, haben das Recht aufgenommen zu werden. Schauen sie: Italien stöhnt wegen einiger 10.000 Flüchtlinge, im Libanon leben 1,5 Millionen Flüchtlinge und in Jordanien über 2 Millionen. Dort wird das Wasser wegen der Flüchtlinge knapp und trotzdem leistet das Land Hilfe ohne viel zu jammern. Wir Europäer müssen heruntersteigen von unserem Elfenbeinturm aus künstlichen Ängsten. Diese Menschen haben reale Angst um ihr Leben.
Aber die Angst kann den Europäern nicht ausgeredet werden.
Ich glaube nicht, dass diese Menschen Europa umstürzen werden, im Gegenteil: Wir haben immer weniger Kinder, wir sind auf Einwanderer angewiesen und viele dieser Flüchtlinge sind hochgebildete Menschen. Die ganz Armen schaffen es gar nicht bis zu uns. Ich habe ein wirklich ungutes Gefühl am Abend vor dem Schlafengehen, wenn ich an diese Menschen denke, die so bedürftig sind. Was die Menschenrechte und die Menschlichkeit betrifft, erleben wir, ich zitiere Papst Franziskus, eine Globalisierung der Gleichgültigkeit. Ich würde es eine Globalisierung der Unmenschlichkeit nennen.
Die Rechtsparteien behaupten, dass es sich nicht um Kriegs- sondern um Wirtschaftsflüchtlinge handle.
Das gibt es überall und auch hier. Ich kenne echte Arme und ich kenne falsche Arme. Es gibt falsche Arme, die mit dem Mercedes zur Caritas fahren, das sind raffinierte Schauspieler. Ich kenne aber auch echte Arme, die nicht den Mut haben, die Hand auszustrecken. Asylanten muss man eine Hand reichen, sie zurück zu stoßen, ist unmenschlich, nicht nur aus christlicher Perspektive. Auch in laizistischer Hinsicht ist es empörend, es ist eine Verschmutzung des europäischen Ideals.
Das Problem ist, dass die Rechtsparteien von diesen Ängsten profitieren.
Die Rechtsparteien betreiben eine systematische Angstkampagne, der die Moderaten nichts entgegensetzen. Dabei sagen alle Zahlen, dass die Immigranten für Italien eine Wohltat sind, sie lassen mehr Geld hier, als sie mitnehmen.
Zu den Ängsten gehört auch die reale Furcht vor einem extrem gewaltbereiten Islam, wie ihn der „Islamische Staat“ repräsentiert.
Der Islam ist keine gewaltsame Religion, wohl aber eine kämpferische, sagte vor Jahren der Präsident des Islamischen Rates in Deutschland. Im Koran steht, wer Gläubige umbringt, wird ewig in der Geenna brennen. Ungläubige soll man versuchen zu bekehren, aber nicht mit Gewalt. Der Islam ist die Religion des Friedens, der Prophet sieht vor, alle zu bekehren, aber ohne Zwang. Auch die katholische Kirche hatte ihre Gewaltgeschichte, denken sie an die Kreuzzüge, aber danach ist man zur Überzeugung gelangt, dass man im Namen Gottes niemand unterwerfen oder gar töten darf. Derzeit erleben wir, dass die Falschen das Zepter in die Hand nehmen und sich als Vertreter der Religionen ausgeben. Der Ku-Klux-Klan ist wegen seiner rassistischen Haltung aus der Kirche ausgeschlossen worden, aber seine Vertreter geben sich nach wie vor als legitime Vertreter der Kirche aus. Die Leghisti hierzulande missbrauchen oft christliche Symbole und schütten Schweineurin aus, um den Bau von Moscheen zu verhindern.
Eines der größten Probleme der Kirche ist der Priestermangel, Warum importiert die Kirche nicht Pfarrer aus dem Osten wie die Gastronomie Kellner importiert?
Man versucht es, aber die Erfahrungen damit reichen von positiv bis sehr negativ. Ich weiß von Pfarreien, wo die ausländischen Priester nicht den richtigen Ton gefunden haben, deshalb ist man sehr vorsichtig damit. Ich denke, man sollte viel mehr Arbeit in die Ausbildung der Laien investieren, denn gute Laien können bis zu einem gewissen Punkt auch Priester ersetzen. Aber selbstverständlich ist der Priestermangel ein großes Problem, denn jährlich sterben zwischen 15 und 20 Priester und wenn es gut geht kommt einer hinzu.
Welche Kirche schwebt Ihnen für die Zukunft vor?
Eine Kirche, die mehr Mut zeigen sollte, sich nach einem Wort von Johann Baptist Metz als eine Kontrastgesellschaft zu profilieren, eine, die sich nicht immer zahm wie ein Lamm fügt, sondern sich auch ab und zu erhebt. Für die jungen Menschen könnte die Kirche wieder interessant werden, wenn sie etwas cooler wird, wenn sie Brisanz zeigt und nicht immer nur nach dem Maß der älteren Damen zugeschnitten ist.
Sie möchten eine coolere Kirche.
Das sehe ich als meine Aufgabe. Nicht allen gefällt das, aber bei jungen Menschen komme ich damit sehr gut an.
In der Auslage eines Reisebüros habe ich gesehen, dass Sie als Reiseleiter in Amerika fungieren.
Reisen ist Entspannung, kulturelle Bereicherung und pastorale Tätigkeit. Ich nehme mir, statt einen wöchentlichen freien Tag, ca. alle drei Monate Zeit für eine (einwöchige) Reise. Die Westküste Amerikas wird uns mit ganz anderen Weltanschauungen konfrontieren.
Unter anderem mit der Existenz von Teufelsgläubigen. Gibt es Satan für Sie?
Natürlich. Der Teufel – ich bevorzuge ihn „Das Teufel“ so wie „Das Böse“ zu nennen – ist keine Person, er ist wie ein Computervirus, der sein Werk nur vollbringen kann, wenn er auf fruchtbaren Boden fällt. Sie machen eine Datei auf ihrem Computer auf und alles ist weg. Die Versuchung ist immer da, es kommt darauf an, ein gutes Antivirus-Programm zu haben.
Wer ist Ihr Lieblingsheiliger?
Philipp Neri verehre ich sehr. Ich habe neun Jahre in Rom studiert, um Papst zu werden und bin mittlerweile froh, dass der Posten besser besetzt ist als mit mir. Aus dem Collegio Capranica wurde ich nach sieben Jahren vom Rektor mit einer scheinheiligen Begründung hinausgeschmissen. Danach war ich im deutschen „Anima-Kolleg“ hinter der Piazza Navona. Ein buntes Viertel, wo ich Freundschaft geschlossen habe mit Dieben, Drogendealern und ehemaligen Prostituierten, die ich versucht habe zu betreuen. Die Leute haben zu mir gesagt: „Ma tu sei come don Pippo“. Philipp Neri wurde nämlich don Pippo genannt und die Leute erinnern sich noch daran, dass er 500 Jahre vor mir in diesem Viertel gewirkt hat. Was ich nicht mag, sind traurige Heilige. Traurigkeit reimt sich nicht auf Heiligkeit.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Don Paolo Renner, 1958 in Meran geboren, studierte zunächst Agrarwissenschaften, danach Theologie an der Gregoriana in Roma (Collegio Capranica, Anima-Kolleg). 1985 wurde er zum Priester geweiht, seit 1988 ist er Professor an der Phil.-Theol. Hochschule Brixen für Fundamentaltheologie, Religionswissenschaften und Theologie der Religionen, seit 1994 Direktor des Istituto di Scienze Religiose in Bozen.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.