Julias Interpretationen
Die angestrebte Beseitigung der Obstruktion wird zur Herkulesaufgabe. Ex-Präsidentin Julia Unterberger weiß, wie die SVP aus der verzwickten Situation herauskommen kann.
Von Matthias Kofler
Die SVP hat nach der Chaos-Sitzung im Regionalrat mit Konsequenzen gedroht: Es sei, so tönte Parteiobmann Philipp Achammer, „schlichtweg verantwortungslos, wenn einzelne Abgeordnete der Opposition tausende Abänderungsanträge vorlegen, die in der Sache wenig mit dem zur Behandlung stehenden Gesetz zu tun haben, und damit den gesamten Regionalrat blockieren.“ Die Geschäftsordnung des Regionalrates müsse daher schleunigst abgeändert werden, um einen derartigen „Missbrauch“ in Zukunft zu verhindern.
Auch Fraktionschef Dieter Steger zeigte sich entschlossen: „Wenn ein Fußballspieler die rote Karte gezeigt bekommt, dann muss er auch den Platz verlassen.“ Im Regionalrat sei es mit der aktuellen Geschäftsordnung aber kaum möglich, den Ausschluss eines Abgeordneten in die Tat umzusetzen, was Andreas Pöder und Claudio Civettini zuletzt eindrucksvoll zur Schau gestellt hätten.
Die angepeilte Abänderung der Geschäftsordnung gestaltet sich in der Praxis aber deutlich schwieriger, als die Aussagen der SVP-Granden vermuten lassen. Der Grund: Der neue Text muss zuerst die sogenannte Geschäftsordnungskommission im Regionalrat passieren – und diese wird von der Opposition seit Jahren komplett lahmgelegt. So liegt in der Kommission seit Mai ein Entwurf der Regierungsmehrheit vor, mit dem die sogenannte Telefonbuch-Obstruktion beseitigt werden soll. Demnach kann ein einzelner Abgeordnete künftig 24 Stunden vor Beginn der Generaldebatte nur mehr einen Tagesordnungsantrag zu dem in Behandlung stehenden Thema eines Gesetzentwurfs einbringen. Dieser Antrag dürfe „nicht mehr als sechs DIN A4-Seiten mit 3.000 Anschlägen pro Seite, Leerzeichen mit eingerechnet, umfassen“.
Bislang sah die Geschäftsordnung vor, dass Abgeordnete unbegrenzt Tagesordnungsanträge einreichen dürfen. Dies führte dazu, dass die Minderheit die Plenumsarbeiten mitunter komplett lahmlegen konnte.
Doch Papier ist bekanntlich geduldig. Der Entwurf liegt bis heute unbehandelt in der Geschäftsordnungskommission auf. Erst wenn die Kommission grünes Licht gibt, kommt der Text ins Plenum, wo er schließlich mit absoluter Mehrheit genehmigt werden muss.
Im Südtiroler Landtag wurde die Obstruktion im Jahr 2012 auf diese Weise beseitigt. Diesem Beispiel soll nun auch der Regionalrat folgen. Das Problem: Während der Bozner Geschäftsordungsausschuss nur aus sechs Mitgliedern – vier der Mehrheit und zwei der Opposition – besteht, sitzen im Trentiner Pendant alle Fraktionssprecher des Regionalrats, also auch Walter Blaas, Andreas Pöder, Alessandro Urzì und Co.
Im Landtag hatte die damalige Präsidentin Julia Unterberger den Beschluss gefasst, dass nur effektive Mitglieder der Kommission auch Anträge einreichen können. Dieses Prozedere ist im Regionalrat nicht möglich.
Das heißt: Ein Versuch, die Geschäftsordnung über die Kommission abzuändern, wäre reine Zeitverschwendung.
Was tun also?
Aus der Sicht von Julia Unterberger gibt es für die Mehrheit nur einen einzigen Ausweg aus der verzwickten Lage: Sie muss den Weg der sogenannten Präsidiumsinterpretationen einschlagen. „Nur mithilfe solcher Interpretation ist es möglich, die Geschäftsordnungskommission wieder funktionsfähig zu machen und die Blockade im Regionalrat zu eliminieren“, erklärt die SVP-Politikerin.
Die Strategie sieht so aus: Der Präsident bzw. die Präsidentin des Regionalrats muss die bestehende Geschäftsordnung so interpretieren, dass alle unklaren Stellen im Sinne einer funktionierenden Gesetzgebung – und gegen die Obstruktion ausgelegt werden.
Genau so, wie es Präsident Thomas Widmann im Zuge der letzten Regionalratssitzung vorgemacht hatte: Der SVP-Politiker wischte tausende Abänderungsanträge der Opposition mit einem Schlag vom Tisch und bezog sich dabei auf Artikel 46 der Geschäftsordnung, wonach der Präsident für den regulären Ablauf der Sitzung zu sorgen habe.
Auch Artikel 69 der Geschäftsordnung wurde nach einem Gutachten des Rechtsamts im Sinne der Mehrheit ausgelegt: Demnach sind all jene Anträge „nicht zulässig“, die im Widerspruch zu bereits gefällten Beschlüssen des Regionalrats stehen. Abgewiesen wurden auch jene Anträge, die vom Präsidenten für „unlogisch oder nicht zugehörig“ befunden wurden: Gemeint sind Anträge, die nicht fundiert sind und keinen normativen Bezug haben.
Auch Tagesordnungen, die nichts mit dem behandelten Thema zu tun haben, könnten mit der bestehenden Geschäftsordnung problemlos abgeschmettert werden: zum Beispiel die Tagesordnung des Freiheitlichen Walter Blaas, die sich aus Shakespeare, der Müllverarbeitung und anderen sinnlosen Inhalten speiste.
Die letzte Sitzung im Regionalrat ist insofern ein Präzedenzfall, auf dem das Präsidium nun in ihrem Kampf gegen die Obstruktion aufbauen kann. Dafür braucht es aber viel politisches Geschick, Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Ist Thomas Widmann, dessen Präsidentschaft von den Trentiner Parteien PATT und PD zuletzt in Zweifel gezogen wurde, überhaupt der richtige Mann dafür? Julia Unterberger meint Ja: „Er hat es wirklich gut gemacht.“
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