„Sehr verwundert“
SVP-Obmann Philipp Achammer kritisiert die Leichtfertigkeit der österreichischen Bundesregierung in der Zaun-Diskussion. Er sagt: „Hier wird eine alte Wunde neu aufgerissen.“
TAGESZEITUNG: Herr Achammer, es kommt selten vor, dass man in Rom interveniert, um Pläne aus Wien zu verhindern, oder?
Es ist so, dass wir uns bei allem Verständnis für notwendige Maßnahmen mehr Sensibilität für den Brenner wünschen. Der Brenner sollte für die österreichische Seite kein Grenzübergang wie jeder andere sein. Trotz einiger beunruhigender Aussagen bin ich aber noch immer zuversichtlich, dass man einen Weg findet, der dieser Situation gerecht wird.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagt offen, dass „Südtirol hier auf Italien einwirken soll.“ Normalerweise läuft Südtirol nach Wien, um auf Italien einzuwirken, oder?
Die Aussagen der Innenministerin haben mich schon sehr verwundert. Aus politischer Sicht appelliere ich, dass man sich darüber bewusst ist, was der Brenner bedeutet – allein schon für die innertirolerische Zusammenarbeit. Man sollte sehr vorsichtig sein, den Schengen-Vertrag in derart erheblichem Maße zu verletzen. Grenzen aufstellen ohne Schengen zu verletzen? Es ist schwierig, das gedanklich unter einen Hut zu bringen.
In Südtirol spricht man noch von Barrieren und Grenzübergängen – in Wien wird man schon deutlicher. „Natürlich sind auch weitere Grenzzäune an unserer Südgrenze möglich“ sagte Johanna Mikl Leitner vor wenigen Tagen, auch Günther Platter sieht den Grenzzaun mittlerweile als „letzten Weg“. Verhält sich so ein Vaterland?
Ein Grenzzaun ist für mich unvorstellbar und würde uns weit, weit zurückwerfen. In den kommenden Tagen werde ich das noch einmal gegenüber unseren österreichischen Partnern zum Ausdruck bringen. Jeder Mensch versteht, dass es keine einfache Situation ist – aber mich enttäuscht die Leichtfertigkeit, mit der man einen Grenzzaun in den Mund nimmt. Hier wird eine alte Wunde neu aufgerissen.
„Hundert Jahre österreichische Südtirol-Politik stehen auf dem Spiel“, sagt der EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann. Derart drastische Worte gegenüber Wien hat man schon lange nicht mehr gehört. Schützt sich Südtirols Schutzmacht lieber selbst?
Wir sind eine Minderheit, die von der europäischen Entwicklung enorm profitiert hat. Deswegen wird die europäische Einigung in Südtirol auch immer weit positiver assoziiert als in Österreich, daran klammert man sich eben. Dass diese Entwicklungen jetzt in Frage gestellt werden, beziehungsweise keine Rolle mehr spielen, ist wirklich erschreckend. Wenn es um Bankenrettungen ging, hat man nächtelang um Lösungen gerungen – dabei wäre es in dieser Frage noch viel notwendiger. Das schmerzt, man ist sich der Dimension dieser Vorschläge einfach nicht bewusst.
Die Landesregierung betont ständig ihre guten Kontakte nach Wien. Warum wusste dann die Handelskammer zuerst von den Zaun-Plänen?
Das Chaos der vergangenen Tage war ziemlich groß, zwischen „Nein, kein Grenzzaun“ bis zu „Selbstverständlich kommt der Zaun“ haben wir alles gehört. Es war schwierig, da noch gute, gesicherte Informationen zu erhalten. Bis zur endgültigen Entscheidung in den kommenden Tagen werden wir noch Gespräche mit der österreichischen Regierung führen. Wir werden darauf hinweisen, dass für den Brenner eine andere Lösung gefunden werden muss, da führt nichts daran vorbei.
In Tirol stehen Gemeinderats-, in Wien Bundespräsidentenwahlen an. Sind die geharnischten Aussagen Ihres Freundes und Außenministers Sebastian Kurz in diesem Zusammenhang zu sehen?
Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, ich werde in den nächsten Tagen versuchen, ihn diesbezüglich zu kontaktieren. Bis jetzt hat er eine große Sensibilität für Südtirol an den Tag gelegt, ich hoffe, dass er diese Überlegungen noch in die Diskussion einbringen wird.
Was würde es für die Beziehungen Bozen-Wien bedeuten, wenn tatsächlich eine Art Zaun mit Kontrollstelle aufgebaut wird?
Man kann es natürlich Realitätsverweigerung nennen, aber ich will mich mit diesem Gedanken gar nicht anfreunden. Ich glaube weiterhin an eine andere Lösung. Es wäre eine sehr große Belastung, wenn man den Grenzzaun tatsächlich zieht. Wir werden mit Sicherheit unseren Widerstand ausdrücken. Dieser Herausforderung wird man mit Zäunen nicht gerecht.
Interview: Anton Rainer
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