Zaun am Brenner
Es klingt nach einem Faschingsscherz: Die Handelskammer hat aus inoffiziellen Quellen erfahren, dass in vier Wochen ein Zaun am Brenner errichtet werden soll. Nun liegt eine offizielle Stellungnahme der Polizei in Innsbruck vor.
Die Polizei im Bundesland Tirol trifft, wie die Handelskammer am Freitagvormittag inoffiziell erfahren haben will, derzeit Vorbereitungen zur Errichtung eines Zaunes am Brenner.
Ein Aufschrei kommt deshalb von der Südtiroler Wirtschaft.
Die Handelskammer Bozen geht – wie es in einer Aussendung vom Freitag heißt – von „erheblichen Erschwernissen für den Warenverkehr“ aus und erwartet sich große Nachteile für die einheimische Bevölkerung und den Tourismus.
„Anscheinend wurden bereits Flyer und Informationsmaterial in Auftrag gegeben“, erklärte Handelskammer-Generalsekretär Alfred Aberer auf Anfrage von TAGESZEITUNG Online am Freitagvormittag, auch das Zaunmaterial sei bereits geordert worden.
Aberer versicherte, dass es sich „um keinen verspäteten Faschingsscherz“ handle. „Wir haben die Information aus seriösen Quellen“, so der HK-„General“.
Die Tiroler Polizei erhofft sich – immer laut Handelskammer Bozen – eine Reduktion der Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, durch ihre Kontrolle und Registrierung bei der Einreise. Die österreichische Polizei in Tirol plant deshalb schon in vier Wochen die Sperrung der Grenzen Richtung Süden.
Dies betreffe in erster Linie den Brenner, aber auch den Reschenpass, Winnebach und im Sommer den Staller Sattel und sicher auch das Timmelsjoch.
Dieses Vorgehen, so schreibt die Handelskammer, stoße auf „größtes Unverständnis der Wirtschaftstreibenden südlich des Brenners“.
Die Einschränkung des freien Warenaustausches beeinträchtige die Wirtschaft erheblich und sei ein gewaltiger Rückschritt für die gesamte Europaregion. Vor allem würde der Tourismus unter den erneuten Grenzkontrollen leiden. Nicht absehbar wären auch die direkten Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung, deren Bewegungsfreiheit unmittelbar eingeschränkt wird, so die Handelskammer.
„Wir appellieren an die Tiroler Exekutive, dass sie von ihrem Vorhaben absieht und die geplante Sperre der Grenzen nach Südtirol nicht umsetzt“, fordert Handelskammerpräsident Michl Ebner.
Alfred Aberer lieferte TAGESZEITUNG Online gegenüber auch Zahlen:
Jährlich passierten 41 Millionen Tonnen Lieferungen, 8,5 Millionen Fahrzeuge und 3,2 Millionen LKW die Brennergrenze, so der HK-Generalsekretär. Alfred Aberer erklärte weiters, die Handelskammer Bozen wolle auch nationale Wirtschaftsverbände mobilisieren.
Die große Frage ist: Wie seriös und wie gut sind die Quellen der Handelskammer?
+++ UPDATE 11.37 Uhr +++
Die Aussendung der Handelskammer hat viel Staub aufgewirbelt.
Nach der Eilmeldung von TAGESZEITUNG Online haben sich auch führende Südtiroler Politiker in Innsbruck erkundigt, was an der Meldung der Handelskammer und den Aussagen von HK-Präsident Michl Ebner dran ist.
Nach Informationen von TAGESZEITUNG Online wird die Tiroler Polizei in den nächsten Minuten eine „Klarstellung“ veröffentlichen.
+++ UPDATE 11.40 Uhr +++
Ein Sprecher der Tiroler Landesregierung dementiert gegenüber TAGESZEITUNG Online, dass es einen wie auch immer gearteten Zaun-Beschluss der Tiroler Landesregierung gebe. Diese Sache sei aber in erster Linie Zuständigkeit des Bundes, dem die Landespolizeidirektionen juridisch unterstellt sind.
Dementieren oder bestätigen will man die Meldung vonseiten der Landesregierung jedoch nicht. Ein Pressesprecher: „Wir haben in dieser Sache vereinbart, dass die Polizei den Medien Auskunft erteilt.“
+++ UPDATE 11:55 Uhr +++
Auch Soziallandesrätin Martha Stocker zeigt sich in einer ersten Stellungnahme überrascht:
„Erst vor kurzem hat eine Sitzung der Taskforce zur Flüchtlingskrise stattgefunden, von einem Zaun am Brenner habe ich da nichts gelesen.“, erklärt Martha Stocker am Freitag gegenüber TAGESZEITUNG Online.
Und weiter: „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das geplant ist.“
Mit verstärkten Kontrollen, so Stocker, sei durchaus zu rechnen – ein Zaun wäre aber noch einmal ganz etwas anderes.
+++ 14.50 UHR +++
Die Stellungnahme der Tiroler Polizei liegt nun vor.
Soviel vorweg: Zur Klärung dieser heiklen Angelegenheit trägt diese „Klarstellung“ nicht bei – im Gegenteil.
Lesen Sie selbst:
„Im September 2015 wurden Grenzkontrollen bei der Einreise nach Österreich temporär wieder eingeführt. Diese Kontrollen finden nicht lückenlos statt, sondern werden nach Bedarf aktiviert.
Zunächst war das bei der Einreise aus Ungarn der Fall, aktuell betrifft dies Einreisen aus Slowenien.
Für die kommenden Wochen muss einerseits mit einer Erhöhung der Ankünfte auf der Balkanroute gerechnet werden, andererseits gehen Maßnahmen der österreichischen Sicherheitsbehörden in Umsetzung, die eine Reduktion der Ankunftszahlen in Österreich zum Ziel haben. In diesem Sinne und in Zusammenhang mit einer möglichen Verlagerung der Route über Italien sowie verstärkten Anlandungen in Italien wäre eine Aktivierung von Grenzkontrollen an der österreichisch/italienischen Grenze unumgänglich.
Die vorbereitenden Planungsarbeiten zu allfälligen Grenzkontrollen entlang der südlichen Bundesgrenzen orientieren sich einheitlich an den Erkenntnissen zu Spielfeld. Von einer Sperre kann keine Rede sein.
Die Konzeption sieht stichprobenartige Kontrollen auf der Autobahn, auf dem sekundären Straßennetz und im Bereich des Bahnverkehrs vor. Ziel ist es, unter möglichster Schonung des täglichen Personen- und Güterverkehrs sowie der wirtschaftlichen und touristischen Interessen die Einreisen nach Österreich unter Wahrung der rechtlichen Rahmenbedingungen in einem geordneten Grenzmanagement zu ermöglichen.
Dazu ist es notwendig, dass sich die Behörden auf beiden Seiten der Grenze auf diesen Eventualfall vorbereiten. Dementsprechend wurden und werden geplante Maßnahmen sowohl mit Vertretern der Länder (Nordtirol/Südtirol/Trentino) als auch mit Vertretern der Ministerien in Wien und Rom besprochen. Zweifellos bedarf es zur Wahrung humanitärer wie wirtschaftlicher Interessen im Falle von Grenzkontrollen ergänzender, koordinierender Maßnahmen auch auf italienischer Seite.
Derzeit liegt weder eine konkrete Anordnung zur Durchführung von Grenzkontrollen am Brenner vor noch kann von einer beabsichtigten „Sperre“ der Grenze gesprochen werden. Auch der behauptete Zeitraum von vier Wochen entbehrt nachvollziehbarer Grundlagen.
Die Darstellung der Handelskammer Bozen entspricht mithin nicht den Tatsachen und ist zudem an den falschen Adressaten gerichtet – denn die Anordnung von Grenzkontrollen obliegt nicht der Exekutive in Tirol.“
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