Der drohende Kollaps
Der Gsieser Basisarzt Gregor Moroder schlägt Alarm: Spätestens 2020 werde die Grundversorgung in Südtirol wegen des Ärztemangels kollabieren.
von Silke Hinterwaldner
Wenn es um die Gehälter von Ärzten geht, reagiert die Öffentlichkeit empfindlich. Vielleicht zu Recht, schließlich verdienen viele von ihnen wirklich viel.
Dabei vergisst man aber oft, dass Südtirol in den kommenden Jahren auf ein Problem zusteuert, für das es keine Lösung gibt: Die Hausärzte werden immer weniger. Um es mit den Worten von Gregor Moroder, Allgemeinmediziner in Gsies, zu sagen: „Südtirol steuert endgültig die Basismedizin an die Wand. Bis 2020 wird die ärztliche Grundversorgung kollabiert sein.“
Das klingt nach Horrorszenario für jeden Südtiroler. Momentan ist das Land ausgestattet mit rund 270 Ärzten für Allgemeinmedizin, über 100 davon sind auch als Amtsärzte tätig.
Die allermeisten von ihnen sind für viele Patienten wichtige Ansprechpersonen zu allen gesundheitlichen Fragen. Im besten Fall baut sich im Laufe der Jahre ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auf. Bei gesundheitlichen Problemen führt so der erste Weg des Patienten zu seinem Hausarzt, der dann darüber entscheidet, ob eine weiterführende Behandlung etwa in einem Krankenhaus notwendig ist.
Das Salär dieser Mediziner setzt sich zusammen aus einer Pro-Kopf-Quote, dem Dienstalter und den Aufgaben, die der Arzt übernimmt. Ein Rechenbeispiel: Der Hausarzt nach rund zehn Jahren Tätigkeit und mit 1.000 Patienten kommt auf ein Bruttogehalt von gut 60.000 Euro. Von diesem Geld muss ein Arzt die Spesen für die Eröffnung einer Praxis, die Einrichtung, das Werkzeug und die Fixausgaben wie Strom, Telefon, Heizung oder Reinigung bezahlen.
Arrivierte Mediziner verdienen wohl weit mehr, aber gerade junge Ärzte sind alles andere als zufrieden mit dem, was unterm Strich übrig bleibt.
So darf es nicht verwundern, dass Südtirol langsam aber sicher mit einem Mangel an Hausärzten zu kämpfen hat, der die Gesundheitsversorgung im Land verändern wird.
Freilich wurde immer wieder darüber nachgedacht, wie man dem drohenden Mangel an Hausärzten entgegenwirken könnte. Unter anderem will man in Zukunft verstärkt auf die Einrichtung von Gemeinschaftspraxen setzen.
„Wir aber“, erklärt Brigitte Innitzer von Lutterotti, „setzen vor allem auf das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient. Und das funktioniert nur, wenn der Patient immer dieselbe Ansprechperson hat.“ Sie ist Präsidentin der Gesellschaft für Allgemeinmedizin namens SüGAM und damit ständig mit der Entwicklung der Basismedizin in den nächsten Jahren befasst.
„Das Problem ist“, sagt sie, „dass wir nichts sagen können, was die Zukunft bringt. Deshalb müssen wir verschiedene Lösungen andenken.“ Sicher ist nur: In den kommenden fünf bis sechs Jahren werden zahlreiche Hausärzte in Südtirol in Pension gehen. Verglichen mit den Zahlen der Pensionierungen ist jene der Neuanmeldungen junger Hausärzte gering.
„Das Berufsbild des Hausarztes muss attraktiver werden“, sagt Innitzer. Heutzutage würden junge Mediziner es vorziehen, eine Facharztausbildung an das Studium anzuhängen anstatt als Allgemeinmediziner tätig zu werden. Aber Südtirol kämpft generell mit einem Mangel an Ärzten, der fast alle Sparten zu ergreifen scheint. Im Ausland ist das Jobangebot wohl weit besser.
Der Engpass kam schleichend. Unter Gesundheitslandesrat Otto Saurer wurde ein vorbildliches Sanitätswesen in Südtirol aufgebaut, was darauf folgte, war eher ein Rückschritt. In seinen zehn Jahren als Landesrat für Sanität war es Richard Theiner nicht gelungen einen neuen Gesundheitsplan zu erstellen.
Das sorgte für großen Unmut bei Südtirols Ärzten. Noch heute hält der Aderlass in den Spitälern an. Es ist für viele Häuser schwerer denn je, gute Ärzte zu finden. Dasselbe gilt für die Grundversorgung in den ländlichen Gemeinden.
„Man sollte sich darauf konzentrieren“, sagt Gregor Moroder, „dass auf dem Lande der Hausarzt die wichtigste Anlaufstelle nicht nur für medizinische Probleme ist.
Die Kosten für das Territorium mit Ärzten und Sprengelschwestern machen nur wenige Prozente vom großen Sanitätsbudget aus.“ Auch chronisch Kranke fühlen sich bei ihren Hausärzten oft am besten aufgehoben. Diabetiker, Bluthochdruckpatienten, Herzinsuffiziente, chronische Schilddrüsenerkrankungen, chronische Magenkrankheiten, Rheumatiker, chronische Atemwegserkrankungen oder Depressive führt der erste Weg sobald sich die Symptome verstärken zum Hausarzt.
Auch als Notarzt wurde der eigene Hausarzt in Vergangenheit in Anspruch genommen. Rom aber verbietet den Hausärzten den nächtlichen Bereitschaftsdient und die Wochenenddienste.
Um zumindest einen Teil der notwendigen Leistungen abdecken zu können, holt man sich jetzt provinzfremde Ärzte, die in Ulten, Pfitsch, Gsies oder Langtaufers ihre Dienste versehen sollten. Mit dem Problem, dass sie der deutschen Sprache oft nicht mächtig sind.
„Trotz des sich anbahnenden großen Hausärztemangels“, kritisiert Moroder, „haben weder Provinz noch Sanitätsbetrieb sei es bezüglich Ausbildung als auch in finanzieller Hinsicht, Rezepte gefunden, um bei Jungärzten das Interesse für den Beruf des Hausarztes zu wecken.“
So könnte es den Hausärzten bald ergehen wie den Pfarrern im Land: Ihr Berufsstand ist vom Aussterben bedroht.
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