„Wild gewordene Männer“
Wie reagieren ausländische Frauen in Südtirol auf die Vorfälle in Köln? Und was sagen die sexuellen Übergriffe über das Frauenbild der Täter aus? Eine Analyse.
Von Matthias Kofler
In Köln wurden in der Silvesternacht Dutzende Frauen am Hauptbahnhof massiv bedrängt und bestohlen. Laut Polizeiberichten soll es sich bei den Tätern hauptsächlich um Männer mit nordafrikanisch-arabischem Migrationshintergrund handeln. Sind die Übergriffe in Köln die Symptome eines kulturellen Konflikts zwischen Migranten und „Einheimischen“. Sind sie der Beleg für das rückständige Frauenbild im Islam, für das so unterschiedliche Selbstverständnis und den Umgang muslimischer Männer mit „ihren“ Frauen?
Die TAGESZEITUNG hat mit Gertrud Gius, der Präsidentin der „Vereinigung Nissà“, über die Vorfälle gesprochen. Der Bozner Verein hat die Arbeit mit ausländischen Frauen zum Inhalt und setzt sich dafür ein, deren Aufnahme in die Mehrheitsgesellschaft und den Zugang zur Arbeitswelt zu erleichtern.
Zu Beginn des Gesprächs schickt Gerda Gius zwar voraus, dass es schwierig oder sogar falsch sei, „vor Abschluss der Ermittlungen Antworten auf Fragen zu geben, die vielleicht gar nicht angebracht sind, weil die angenommenen Hintergründe andere sind“. Im Interview startet die Präsidentin dennoch einen Versuch, die Gewaltexzesse aus der Sicht (ausländischer) Frauen nachzuzeichnen, die Ursachen zu beleuchten und Lösungsansätze zu liefern.
TAGESZEITUNG Online: Frau Gius, was sagen die Vorfälle in Köln über das traditionelle Frauenbild der Täter aus?
Gertrud Gius: Es ist sehr undifferenziert, von einem traditionellen Bild in ausländischen Kulturen zu sprechen. Es gibt nicht „die“ ausländischen Kulturen, sondern sehr unterschiedliche Gesellschaften, von denen einige gestern sehr patriarchal und heute eher gleichberechtigt sind. Und es gibt solche, die bis vor kurzem in einer offenen Gesellschaft gelebt haben, aber durch Diktaturen oder frauenfeindliche Mächte auf vermeintliche Traditionen zurückgeworfen werden.
Wie reagieren ausländische Frauen in Südtirol auf die Vorfälle? Wie erleben sie diesen kulturellen Konflikt?
„Die“ ausländischen Frauen haben wir zu den Vorfällen in Köln nicht befragt, weshalb ich deren Meinung nicht wiedergeben kann. Von einem kulturellen Konflikt zu sprechen, ist richtig, aber er betrifft vor allem das Verhältnis von Frauen und Männern bzw. das patriarchal geprägte Bild von Frauen, deren Abwertung, Entwürdigung und Entmachtung – falls Frauen sich Freiheiten und Macht nehmen. Diesen kulturellen Konflikt gibt es verstärkt in allen patriarchalen Gesellschaften.
Die Vorfälle in Köln scheinen ein altes, aber immer noch weit verbreitetes Vorurteil zu bestätigen: das Vorurteil über die muslimische Frau, die ihr Haus nicht verlassen darf, während der Mann alle Frauen, die sich nicht an die Vorgaben halten, als leichte Beute betrachtet. Ist das kein Widerspruch?
Erstens ist es tatsächlich ein Vorurteil, dass die muslimischen Frauen nicht aus dem Haus gehen können – das ist nämlich eine Minderheit. Und zweitens gibt es keinen Widerspruch zwischen der Eingrenzung von Freiheiten sowie Selbstbestimmung und der „Bestrafung“ von freien Frauen. Waren nicht die freien Frauen immer schon Zielscheibe von Anschuldigungen – von „Hure“ über „Rabenmütter“ – und Gewalt, und Freiwild für wild gewordene Männer sowieso? Man denke nur an die vielen Morde, die an Frauen begangen werden, die sich trennen wollen.
Welche Versäumnisse der Mehrheitsgesellschaft und der Politik stecken hinter Vorfällen wie jenen in Köln?
Sicherlich gibt es viele Momente der Frustration, die eingewanderte Menschen durchleben. Es ist notwendig, Hilfen – zum Beispiel durch interkulturelle Mediation – verstärkt anzubieten, um ihnen die gesellschaftliche Realität im Aufnahmeland näher zu bringen und andererseits auch die lokale Bevölkerung zu einem sensibleren Umgang mit „anderen“ zu befähigen. Ziel muss es sein, so insgesamt einen respektvolleren Umgang zwischen Menschen anzustoßen und der allgemeinen Verrohung entgegenzuwirken.
Was müssen die Verantwortlichen tun, damit sich solche Vorfälle nicht mehr wiederholen?
Wer sind die Verantwortlichen? Verantwortliche für Integration und Verständigung sind alle, angefangen von der Politik, der Polizei, den Medien, öffentlichen und privaten Einrichtungen bis hin zu jedem und jeder Einzelnen.
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