„Es kommen ja nicht Karawanen“
Für Luca Critelli, Direktor der Abteilung Soziales, ist die Höhe der öffentlichen Beiträge, die die mutmaßliche Meraner Islamisten-Zelle erhalten hatte, nicht von öffentlichem Interesse. Er sagt: „Man kann Leistungsempfänger nicht in „Gut“ und „Böse“ einteilen.“
TAGESZEITUNG: Herr Critelli, die Freiheitlichen wollten in einer Landtagsanfrage wissen, wie viele Sozialleistungen die mutmaßliche Südtiroler Terrorzelle bekam. Die Antwort der Landesrätin war „unzureichend“.
Luca Critelli: Der Herr Pius Leitner hat sie als unzureichend bezeichnet.
Warum will das Land keine klaren Angaben machen?
Ganz einfach: Wenn man danach fragt, wie viele Leistungen ein konkreter Bürger bekommt, können wir nur Antwort geben, wenn ein klares öffentliches Interesse besteht. Das wäre gegeben, wenn die Leistungen aufgrund falscher Angaben ausgezahlt wurden. Derzeit gibt es aber keinen Zusammenhang zwischen den mutmaßlichen Straftaten und den nach derzeitigen Informationen rechtmäßigen Beiträgen des Landes.
Wie können Sozialbeiträge für mutmaßliche Terroristen rechtmäßig sein?
Wenn jemand als politischer Flüchtling in Italien anerkannt wird, ist er den Staatsbürgern gleichgestellt. Auch jemand, der sich eines Tages dazu entscheidet, seine Frau umzubringen, kann vorher Leistungen bezogen haben.
Sie verstehen, dass trotzdem viele Leute ein Problem damit haben, dass jahrelang mutmaßliche Terroristen mit Steuergeldern finanziert wurden?
Ich verstehe, wenn jemand sagt „So eine Schweinerei!“ – aber wir sind nun mal ein Rechtsstaat. Auch wenn der Antragssteller selbst nicht protestieren würde, könnten wir keine detaillierte Auskunft über seine Beiträge geben. Und die Teilnahme an terroristischen Aktivitäten allein bedeutet nicht, dass die Leistungen unrechtmäßig waren.
Gäbe es keine Möglichkeit, Personen, gegen die bereits wegen Terror-Verdachts ermittelt wird, von Sozialleistungen auszuschließen?
Kein Beamter, der Asylanträge bearbeitet, kann Personen verdächtigen – diesen Leuten steht der Terrorismus ja nicht ins Gesicht geschrieben. Wenn überhaupt könnte ein Gericht Rückzahlungen anordnen.
Eine realistische Aussicht?
Das kann ich nicht beurteilen, so häufig sind diese Fälle nicht. Aber: Angenommen, man erkennt einer der betroffenen Personen nachträglich den Asylstatus ab, könnte das durchaus Auswirkungen haben.
Ist Südtirol aufgrund verhältnismäßig hoher Beiträge ein bevorzugtes Zielland geworden?
Es kommen ja nicht Karawanen. Wir haben im europäischen Vergleich ein nur durchschnittliches Sozialsystem. In Deutschland und Österreich ist die Unterstützung höher, in anderen italienischen Regionen liegt sie darunter. Da ist es nicht überraschend, wenn jemand sagt: „Versucht es in Südtirol, dort ist das Sozialsystem dem Deutschen sehr ähnlich.“ Zum Glück, das liegt ja im Interesse aller bedürftigen Bürger, auch der Einheimischen. Man kann die Leistungsempfänger nicht in „Gut“ und „Böse“ einteilen.
Die Telefonprotokolle der mutmaßlichen Straftäter legen nahe, dass man in Südtirol leichter als in anderen Regionen an Beiträge kommt. Trifft das zu?
Es gibt manche Leistungen in anderen Regionen schlichtweg nicht. Eine Person, die in Kampanien lebt, steht, wenn sie arbeitslos geworden ist, vor dem Nichts. Bei uns gibt es Abfederungsmaßnahmen, die auch Einheimischen zugutekommen. Die Gefahr für negative Anreize besteht immer. Die Kunst ist, diese Anreize so klein wie möglich zu halten.
Wie?
Wir sagen nicht: „Kommt her und bedient euch, egal ob ihr Lust habt, zu arbeiten.“ Unsere Leistungen sind an Kriterien gebunden. Wenn das in einem Telefonat zwischen Privatpersonen anders dargestellt wird, liegt das nicht am System.
Wie viel könnte ein politischer Flüchtling, der in Südtirol lebt, theoretisch vom Staat bekommen haben?
Ein politischer Flüchtling ist Staatsbürgern gleichgestellt, also bewertet man die Einzelsituation: Lebt er in einer Mietwohnung? Hat er ein Einkommen? Hat er Kinder? Ein Beispiel: Auch eine „nicht erwünschte“ Person kann zwei bis vier Kinder haben, die man nicht verhungern lassen kann. Die Kinder können ja nichts dafür, wenn ihre Väter terroristisch tätig werden.
Bei den meisten hier lebenden Flüchtlingen weiß man genau über die ihnen gewährten Beiträge Bescheid.
Der Großteil der Südtiroler Flüchtlinge genießt aber einen subsidiären oder humanitären Schutz – mit höheren Einschränkungen und niedrigeren Sozialleistungen, als sie ein anerkannter politischer Flüchtling hat.
Ist die Unterstützung mutmaßlicher Straftäter ein Kollateralschaden, den man in einem hoch entwickelten Sozialsystem hinnehmen muss?
Das ist eine alte Weisheit. Die Diskussion zwischen sozialer Hängematte und sinnvoller Hilfe gibt es ja nicht erst seit heute. Mit 99 Prozent der Beitragsempfänger dürfte kaum jemand ein Problem haben, bei den restlichen 0,01 Prozent könnte man diskutieren. Die übrigen Debatten sind ein legitimes politisches Spiel.
Interview: Anton Rainer
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