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Sterbefall Normalbürger Mautz

Peppe Mairginter, Harald Kraler und der Kakerlak: „Ich habe mein Leben als Mann verbracht" (Foto: Harald Wisthaler)

Peppe Mairginter, Harald Kraler und der Kakerlak: „Ich habe mein Leben als Mann verbracht“ (Foto: Harald Wisthaler)

Die Theaterwerkstatt Innichen ist seit 1975 ein wichtiger Teil der Südtiroler Theaterszene. Dass die Bühne auch nach vier Jahrzehnten noch Mut und Phantasie im Überfluss hat, zeigt die Jubiläumsproduktion von Sibylle Bergs angenehmem Stück „Herr Mautz“ in der Inszenierung von Torsten Schilling. Wegen großer Nachfrage werden am Wochenende zwei Zusatzvorstellungen angeboten.

Von Heinrich Schwazer

Wie ein widerwilliger Glückssucher, ein wenig wunderlich, versponnen, fast kauzig wie Carl Spitzwegs ‚Schmetterlingsfänger‘ schaut er in seinem persilweißen Tropenanzug und geflochtenem Tropenhelm aus. Einer, der nicht weiß, was und wie ihm geschieht – aber wer weiß das schon auf seiner vermutlich letzten Reise. Herr Mautz ist ein alter Mann, untergeschlüpft irgendwo in einem ebenso schäbigen wie trostlosen Zimmer eines asiatischen Rentnerparadies, um den „Sterbefall Normalbürger Mautz“ zu erledigen. „Ich bin nach Asien gereist, weil ich dachte, hier würde ich etwas finden, wonach ich nie gesucht hatte“, sagt er. Keine Bitternis schwingt mit in seiner Stimme, keine Wut. Nur die Resignation eines gegen alle Gefühle Immunisierten.

Außer drei Chitingepanzerten Kakerlaken, die Kiefermalmend auf seinen Tod warten, einem Erzähler mit dem sprechenden Namen „Schnitter“ und dem Heiligen Geist, aus dessen Mund Gott persönlich spricht, interessiert sich niemand für ihn: „Ein alter Mann, falls nicht Politiker oder Papst, ist das Unwichtigste auf der Welt.“

Bevor die Malaria ihn dahinrafft, bringen ihm die Kakerlaken eine seltsame Maschine, die den glücklichsten Augenblick seines Lebens für die Ewigkeit aufbewahren kann. Doch der Lebensfilm von Herrn Mautz hat keinen wirklich „knackigen Moment“ zu bieten. „Glück, wann nur hat er Glück empfunden?“ fragt der Schnitter.

Das Glück am Glück war das Glück, dass zeitlebens nie gekommen ist. Zum Glück für ihn, denn Glück ist emotionale Gefahrenzone. Gefühle gehören analysiert, katalogisiert und abgehakt, denn „wer seine Gefühle nicht benennen kann, versteht nicht, sie zu beherrschen.“

Mit vierzig hat der Emotionskrüppel die meisten Gefühle erforscht: „Sie lagen abrufbar in meinem inneren Kleiderschrank. Ein Gefühl war mir noch unvertraut. Es handelte sich um Liebe.“

Klar, dass sich auch im Moment der Liebe kein Licht in Mautz´ Leben verirrt. Er handhabt sie wie ein Gefühlshaushaltsproblem neben anderen, das erspart ihm deren Schmerzen. Das Leben könnte, ach, so perfekt sein, wenn diese verdammten Gefühle nicht wären. Jeder, der mit ihm in Berührung kommt, stirbt. Mautz nimmt es ungerührt zur Kenntnis.

Torsten Schilling inszeniert dieses auf Gefriertemperatur heruntergekühlte Stück Leben aus der Feder von Sibylle Berg mit der Theaterwerkstatt Innichen kontrapunktisch zu dessen Überdosis an Gefühlsliquidation. Will heißen: Mit aller Tragik, die damit verbunden ist, und aller Komik, die der Sache zuträglich ist, um sie erträglich zu machen. Die Inszenierung ist eine leichtfüßig verrückte Theaterfröhlichkeit, die ihren Tiefgang geschickt zu verbergen weiß. Immer wenn es allzu düster psychodramatisch wird, biegt sie in eine burleske Revue mit großem Unterhaltungswert und schwarzhumorigem Witz ab. Wem, außer Schilling, würde es einfallen, Songs der belkantistischen Teutonenband Rammstein vom Dorforganisten Martin Gasser als Begleitmusik auf dem Kirchencembalo spielen zu lassen? „Meine Sachen will ich pflegen,/den Rest in Schutt und Asche legen./Zerreissen, zerschmeissen,/ zerdrücken, zerplücken,/…“

Ein überaus spielfreudiges und präsentes Ensemble steht in Innichen im umgebauten Speisesaal des „Theatercafe Zentral“ auf der Bühne. Peppe Mairginter als Herr Mautz war noch nie so gut auf der Bühne. So sehr die Kakerlaken und der diabolische Conferencier an ihm herumzerren, er bleibt stets ganz in sich verschlossen, als sei er den Weg, der ihm jetzt bevorsteht, schon sein ganzes Leben gegangen: „Ich habe mein Leben als Mann verbracht“, resümiert er. Der Gefühlsgeizling als der männliche Normalo.

Harald Kraler spielt den Schnitter als fleischigen Entertainer mit zackig herrscherischem Bariton, während die drei Kakerlaken Ingrid Tempele, Marion Leiter und Toni Strobl (die tollen Kostüme stammen von Maria Wisthaler und Gabi Oberhammer), die noch in zahlreiche andere Rollen schlüpfen, ein wüst-zänkisches Geraufe um die Beute veranstalten.

Mit dieser Inszenierung hat die Theaterwerkstatt Innichen die besten Karten, zur mutigsten Laienbühne des Landes gekürt zu werden. Die Theaterlust hat in Innichen immer Luft nach oben.

Termine: Zusatzaufführungen am 7. November um 20.00 Uhr und am 8. November um 18.00 Uhr im Theatercafe Zentral. www.theaterwerkstatt-innichen.com/

 

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