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Neider oder Spinner?

Wer steckt hinter den Vandalenakten auf den Apfelanlagen im Unterland? Der Primar der Psychiatrie in Bruneck Roger Pycha über die verschiedenen Täterprofile und eine für Südtirol untypische Tat.

Tageszeitung: Herr Pycha, im Unterland fürchtet man einen Serientäter, der mutwillig landwirtschaftliche Anlagen und Produkte zerstört.

Roger Pycha: Das ist alles sehr unverständlich. Es ist eine eigenartige Form der Kriminalität, die in dieser Form eigentlich zu nichts passt, was wir kennen.

Es scheint nur um mutwillige Zerstörung zu gehen…

Sie scheint aber ziemlich klar gerichtet zu sein. Es geht um eine bestimmte Baumsorte, die als Clubsorte geschützt ist. Es hat zwei Vandalenakte gegeben und man sieht eine Steigerung: Beim ersten Mal wurden die Äpfel von den Bäumen geschlagen und beim zweiten Mal wurden sie zudem mit Benzin übergossen – als hätte man sie verbrennen wollen.

Wer macht so etwas?

Dafür gibt es keine sichere Antwort. Es könnte eine Gruppe oder Bande sein, weil die Anzahl der betroffenen Bäume von 550 und 350 Stück doch eine große Arbeit bedeuten. Auch wenn wir annehmen, dass die Taten in den Feldern passiert sind, so ist es doch unwahrscheinlich, dass sich eine Person mehrere Stunden lang an diesen Bäumen zu schaffen macht – organisatorisch gesehen ist es eher die Arbeit einer Gruppe.

Was will diese Gruppe?

Sollte sie politische Aufmerksamkeit erzeugen wollen, setzt sie ein sehr unklares Signal. Will sie einfach nur zerstören, dann sind es mehrere Leute, die einfach nur hochgradig unzufrieden mit ihrer Lebenssituation und den Antworten der Gesellschaft auf ihre Fragen sind. Es kann natürlich auch ein Einzeltäter sein: Wir haben im psychiatrischen Sektor manchmal mit Spannungszuständen zu tun, die sich nur durch eine Tat lösen. Leute, die beispielsweise Feuer legen und bereits Wochen vorher eine Spannung empfinden, die sich erst löst, wenn sie etwas tun. So ist es oft auch bei Kleptomanen, die wertlose Sachen stehlen, um diese Spannung abzubauen. Es könnte auch so etwas sein – der Aufbau einer Spannung, die sich nur durch eine Tat lösen lässt. Aber natürlich sind das alles Hypothesen. Wenn man sich nur die Tat ansieht, handelt es sich um einen Vandalenakt. Aber Vandalenakte kommen in unserer Gegend eigentlich recht selten vor – Vandalismus ist reiner Zerstörungstrieb mit Motiven politischer oder krimineller Art, aber dies geschieht meist an Orten mit großer Anonymität. Ein Feld oder ein Gut sind eigentlich nicht Objekt von Vandalen.

Also könnte es sich um eine gezielte Attacke handeln…

Wenn man es ganz weit strapazieren möchte, könnte man sagen, dass es sich um eine Attacke gegen die Bauern im Tal handelt, die viel und gut an Nobelsorten verdienen. Auszuschließen ist ein irgendwie politisches oder gesellschaftskritisches Motiv noch nicht, aber es kann auch ein sogenanntes uneinfühlbares Delikt sein.

Das wäre?

In der Psychiatrie erleben wir manchmal, dass Menschen nicht nur in der Wirklichkeit sondern auch in einer Wahnwelt leben und von Stimmen Befehle empfangen etwas zu tun, was für andere Menschen uneinfühlbar oder nicht begreifbar ist. Auch so etwas könnte dahinterstecken.

Einige sprechen von Neidern, andere von Spinnern…

Dies ist das gesamte Spannungsfeld der Fragestellung. Es kann ein gezieltes Schadensetzen sein, um einem Konkurrenten zu schaden. Es kann Zerstörungswut sein, es kann mit dem Abbau von Spannung zu tun haben oder es kann auch die Tat eines Menschen sein, der mit der Realität in keinem guten Kontakt steht – den man als verrückt bezeichnen würde.

Mit den bisherigen Informationen wird es allerdings schwierig sein, ein Täterprofil zu erstellen…

Ganz bestimmt. Man müsste polizeilich deutlich mehr Hinweise haben: Ob Spuren von einem oder mehreren Menschen gefunden wurden usw. Ohne Hinweise ist es schwer, eine klare Richtung anzugehen.

Nehmen wir an, dass es sich um eine einzelne Person handelt. Behalten Serientäter in der Regel ihr Muster bei oder kann dies auch verändert werden? Im ersten Feld wurden alle Bäume auf derselben Höhe abgeschnitten und beim zweiten Mal nicht mehr…

Ein Serientäter kann ohne weiteres seine Methoden verändern. Es ist nicht gesagt, dass ein Serientäter immer auf die gleiche stereotype Weise vorgeht. Er entwickelt auch neue Formen und Variationen bzw. steigert oder intensiviert seine Tat. Vielleicht stand er beim zweiten Mal auch unter größerem Stress, weil das erste Delikt bereits stattgefunden hat und die Entdeckungsgefahr jetzt drastisch größer war.

 

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