Löchriges Netz
Die BürgerUnion wirft der SVP in Zusammenhang mit der Verfassungsreform Verrat an der Demokratie vor – und warnt vor einer „neuen Oberhoheit des Staates“.
Der Landtagsabgeordnete der BürgerUnion, Andreas Pöder, wirft der SVP vor, in Rom für die zentralistische Verfassungsreform zu stimmen, um einige Posten für sich herauszuholen.
„Das Wahlgesetz Italicum und die Verfassungsreform verhelfen in Südtirol der SVP zu einem Alleinstellungsanspruch, im künftigen Schrumpfsenat werden aus Südtirol nur mehr SVP-Vertreter sitzen und in der Abgeordnetenkammer wird es ähnlich sein“, so Pöder.
Dass die SVP für eine fast schon faschistoide Verfassungsreform stimmt, in der alle Macht dem Staat zugesprochen, die Regionen völlig ausgehöhlt werden und auch die Autonomie unter Druck geraten, sei nur damit zu erklären, dass die SVP dafür politisches Kleingeld erhält.
„Wenn man SVP-Vertreter die ultrazentralistische Verfassungsreform loben hört, muss man sich fragen, ob in Rom nicht langsam der Wahnsinn um sich greift“, kritisiert Pöder das Verhalten der SVP in Rom.
„Wenn die Südtiroler Parlamentarier der Verfassungsreform der Regierung Renzi zustimmen, wäre dies ein Verrat an Demokratie und Autonomie“, so der Landtagsabgeordnete der BürgerUnion.
Laut Pöder sei die „Verharmlosung der künftigen Form einer Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis durch die SVP“ unverständlich.
Im neuen Art. 117 der Verfassung werde nicht nur eine Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis festgeschrieben sondern die Oberhoheit des Staates und das Recht des Staates jederzeit und nach eigenem Ermessen in die Angelegenheiten der Regionen einzugreifen. Diese Bestimmung gab es in dieser Form im für die Regionen wesentlichen Artikel 117 der Verfassung nicht, so der Mandatar der BürgerUnion.
Pöder stellt zwar klar, dass die von der SVP in Rom in den Verfassungsgesetzentwurf reinverhandelte Schutzklausel zwar vorerst ein Sicherheitsnetz biete, das aber nicht verhindern könne, dass Südtirol sich an die neue zentralistische Verfassung anpassen müsse und nicht umgekehrt. Die Einvernehmensklausel sei hier ebenfalls richtigerweise ein bestimmter Schutz, aber sei die Anpassung einmal vorgenommen, falle die Einvernehmensklausel und der Staat könne danach einseitig eine weitaus zentralistischere Reform des Autonomiestatuts durchführen, wenn eine künftige Regierung dies wolle, so die BürgerUnion.
Andreas Pöder weiter:
„So fair muss man sein, und der SVP in diesem Punkt Recht geben.
Die im Art. 39, Abs. 11 des Verfassungsgesetzentwurfs zur Reform der Verfassung enthaltene Schutzklausel verhindert tatsächlich vorerst die direkte Anwendung der neuen Normen der Verfassung, welche die Festlegung der Zuständigkeiten zwischen Staat und Regionen betreffen. Die Bestimmung, dass die Anpassung des Autonomiestatuts im Einvernehmen zu erfolgen hat, ist ebenfalls eine Bestimmung, die eine einseitige Anpassung durch den Staat verhindert. Damit ist ein juridisches Sicherheitsnetzt vorhanden, der zentralistische Staat kann nicht sofort über die Südtirolautonomie herfallen.
Allerdings hat dieses Sicherheitsnetz eben Löcher:
Anpassung heißt Anpassung, damit wird nicht die Verfassung an das Autonomiestatut sondern das Autonomiestatut an die Verfassung anzupassen sein. Der Staat kann das Wort ,Anpassung‘ durchaus so interpretieren, dass sich das Autonomiestatut auch den zentralistischen Bestimmungen der neuen Verfassung annähern muss.
Und auch bei Verweigerung des Einvernehmens durch das Land besteht die Problematik, dass das Verfassungsgericht bis zur Anpassung des Autonomiestatuts zwar nicht den Buchstaben der neuen zentralistischen Verfassungsbestimmungen anwenden aber jedenfalls den gestärkten zentralistischen Geist der neuen Verfassung als Grundlage für einen weiteren Paradigmenwechseln in der Entscheidungsfindung verwenden kann.
Zudem gelten Schutzklausel und Einvernehmen bis zur Anpassung des Autonomiestatuts, es handelt sich um eine Übergangsklausel. Ist die Erstanpassung einmal erfolgt, dann kippt das Einvernehmen wieder und der Staat kann dann über die Südtirolautonomie herfallen.“
Immer laut Andreas Pöder verschweige die SVP, dass Art. 117 der neuen Verfassung eine neue „clausola di supremazia dello Stato“ vorsieht, die es in dieser Form und Stärke bislang nicht gab.
Selbst die Abgeordnetenkammer schreibt in einer vergleichenden Beschreibung der neuen Normen im Verfassungsreformentwurf: „É introdotta la clausola di supremazia: Su proposta del Governo, la legge dello Stato puó intervenire in materie regionali quando lo richieda la tutela dell´unitá giuridica o economica della Repubblica o la tutela dell´interesse nazionale.“
Die Abgeordnetenkammer gibt also zu, dass die neue Norm wesentlich stärker ist als die bisherige im Art. 120 der Verfassung, eine neue Form der Oberhoheit des Staates wird eingeführt.
Die neue Klausel im Art. 117 der Verfassung lautet: „Su proposta del Governo, la legge dello Stato può intervenire in materie non riservate alla legislazione esclusiva quando lo richieda la tutela dell’unità giuridica o economica della Repubblica, ovvero la tutela dell’interesse nazionale.“
„Das bedeutet klar, dass der Staat auch in allen anderen Bereichen, die nicht ausschließlich ihm zustehen, also auch in Bereichen, die Regionalkompetenz sind, selbst Gesetze anstelle der Regionen erlassen darf.
Es stimmt, dass sich im Art. 120 nicht allzu viel ändert, aber im Art. 117 wird eine völlig neue Klausel eingeführt, die direkt und ohne jeden Zweifel ein neue zentralistische Entscheidungsgewalt des Staates über die Regionen einführt, die, sobald sie auch für Südtirol rechtskräftig anwendbar sein wird, für Südtirols autonome Gesetzgebung eine in seiner Tragweite noch nicht abzuschätzende Gefahr darstellen wird.“
Andreas Pöders Fazit:
„Südtirol schlittert mit dem Rest des Staatsgebietes in eine extrem zentralistische und regionenfeindliche Zukunft in Italien, zwar mit Sicherheitsnetz Schutzklausel und Einvernehmen und Autonomiestatut, das aber wie jedes Netz eben auch Löcher aufweist und nach der Anpassung vom Staat einseitig weggezogen werden kann..
Südtirol sollte sich einmal grundsätzlich gegen die zentralistische Verfassungsreform aussprechen und in Rom mithelfen, Mehrheiten gegen die Verfassungsreform zu unterstützen, zumal bei der künftigen Abstimmung im Senat die Mehrheit durchaus wackeln kann.“
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