Gletscher schrumpfen
Die vorläufigen Auswertungen von Schneezuwachs und Eisabtrag im letzten Haushaltsjahr haben überall sehr starke Massenverluste gezeigt: Dies geht aus den Abschlussbegehungen hervor, die das Hydrographische Landesamt, die Universität Innsbruck und das Italienische Gletscherkomitee in diesen Tagen vorgenommen haben.
Die Begehungen auf dem Westlichen Rieserferner in Rein in Taufers, dem Weißbrunnferner im Ultental, dem Langenferner im Martelltal und dem Übeltalferner im Ridnauntal bestätigten starke Einbußen der heimischen Gletscher in den vergangenen zwölf Monaten.
„Die Erhebungen“, berichtet Roberto Dinale, Vizedirektor des Hydrographischen Amtes, „zeigen Eisverluste von mehr als drei Metern in den Zungenbereichen und beinahe die Erschöpfung der Schneereserven der beiden gletscherfreundlicheren Vorjahren in den oberen Teilen der Südtiroler Gletscher“. Der Niederschlag im Winterhalbjahr, der meist leicht über dem langjährigen Mittel lag, ein paar Schneefallereignisse am Ende des Frühlings und im September sowie die meist geringe Luftfeuchtigkeit im Hochsommer sorgen jedoch dafür, dass wahrscheinlich die Endergebnisse nicht ganz so schlimm wie 2002/03 ausfallen werden.
Die Gletscherjahresbilanzen 2014/15 werden somit, je nach Gebiet und Höhenlage, zwischen Platz 2 und 5 in den jeweiligen historischen Datenreihen einzuordnen sein.
„Leicht weniger negativ“, führt Roberto Dinale aus, „werden die Gletscher am Alpenhauptkamm abschneiden, vor allem deshalb, weil hier verhältnismäßig ein bisschen mehr Schnee als in der Ortler-Gruppe gefallen ist“. Besonders markant sind überall die durchwegs großen Massenverluste in den unteren und mittleren Gletscherbereichen, wo letztes Jahr kein Firn überdauern konnte. Aus diesem Grund sind die Gletscher auch in den Längen und in den Flächen stark zurückgegangen.
„Das hydrologische Jahr 2014/15“, berichtet Landesmeteorologe Dieter Peterlin, „war in Bozen das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen 1850/1851 mit einer Mitteltemperatur von 14,5 Grad; auf dem zweiten und dritten Platz folgen 2006/07 mit 14,0 Grad und 2002/03 mit 13,6 Grad. Mit Ausnahme des aktuellen Septembers waren alle Monate im Vergleich zum Mittel zu warm.“
Die Gletscher Südtirols werden in den kommenden Jahrzehnten weiter abschmelzen, und eine Stabilisierung der Lage scheint nur in hochgelegenen Regionen – zum Beispiel rund um den Ortler und in den Stubaier Alpen – in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts möglich. Eine Stabilisierung allerdings, die maximal ein Viertel der heutigen Gletscherflächen umfasst.
„Es wird „, unterstreicht Ben Marzeion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck, „sicher auch in Zukunft immer wieder einzelne Jahre geben, in denen es den Gletschern gut geht – die mageren Jahre werden aber deutliche überwiegen“.
Südtirol sollte sich also auf Zeiten einstellen, in denen in den meisten vergletscherten Gebieten Südtirols bis zum Ende des Jahrhunderts sehr wenig Eis übrig bleiben dürfte. Die Gletscher werden somit eine immer geringere Rolle im Wasserhaushalt spielen.
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