Die Wiener Reise
Das Präsidium und die Fraktionssprecher des Landtags trafen in Wien österreichische Spitzenpolitiker. Es ging um Flüchtlinge – und um den Doppelpass.
Einen dichtgedrängten Terminkalender hatte eine Delegation des Südtiroler Landtags dieser Tage in Wien.
Nach Gesprächen im Bundeskanzleramt und im Außenministerium trafen die Südtiroler Abgeordneten zunächst mit Bundesratspräsident Gottfried Kneifel zusammen, dann mit Mitgliedern des Südtirol-Unterausschusses im Nationalrat. D
er von Landtagspräsident Thomas Widmann angeführten Delegation gehörten neben dem Landtagsvizepräsidenten Roberto Bizzo auch die Präsidialsekretäre Maria Hochgruber Kuenzer, Helmuth Renzler und Roland Tinkhauser an sowie die Fraktionsvorsitzenden Dieter Steger, Pius Leitner, Riccardo Dello Sbarba, Sven Knoll, Paul Köllensperger, Andreas Pöder und Alessandro Urzì.
Bei einer Aussprache mit Bundesratspräsident Gottfried Kneifel ging es zunächst um die aktuelle Asylkrise. Obwohl in Südtirol nur eine geringe Zahl von AsylwerberInnen untergebracht ist und die Flüchtlingsroute über den Brenner derzeit noch kaum genutzt wird, wie Landtagspräsident Thomas Widmann berichtete, zeigten sich die Südtiroler MandatarInnen sehr interessiert am Umgang der Politik mit der Situation in Österreich. Auch in Südtirol gebe es große Sorgen, da nicht abschätzbar sei, wie lange der Flüchtlingsstrom anhalten werde, sagte Widmann. Kneifel wies zum einen auf die enormen Anstrengungen der Behörden und die große Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung hin, gab aber auch zu bedenken, dass viele Leute Angst hätten. Viele hätten das Gefühl, dass ihre Heimat bedroht sei. Für ihn ist es Aufgabe der Politik, sowohl mit Anstand als auch mit Hausverstand auf die Situation zu reagieren, wobei er einräumte, dass es noch nicht auf alle Fragen eine Antwort gebe.
Hilfreich für eine Integration von Flüchtlingen wäre Kneifel zufolge die rasche Entscheidung über ein Bleiberecht für AsylwerberInnen nach dem Vorbild der Schweiz. Er kann sich auch vorstellen, AsylwerberInnen mit Bleiberecht den Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen, noch bevor das Asylverfahren endgültig abgeschlossen ist.
Im Anschluss an das Gespräch mit Bunderatspräsident Gottfried Kneifel traf die Südtiroler Delegation mit Mitgliedern des Südtirol-Unterausschusses des Nationalrats zusammen. Bei der von Ausschussobmann Hermann Gahr geleiteten Debatte ging es vor allem um eine mögliche Bedrohung der Autonomie Südtirols durch die angestrebte Verfassungsreform in Italien sowie die Frage der Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen. Der Südtirol-Unterausschuss des Nationalrats will sich demnächst mit einer zu diesem Thema vorliegenden Bürgerinitiative befassen.
Was die Frage der Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen betrifft, äußerte sich SVP-Fraktionssprecher Dieter Steger zurückhaltend. Die Doppelstaatsbürgerschaft sei „ein bisschen eine emotionale Geschichte“ und werde von den SüdtirolerInnen von Herzen gewünscht, sagte er, dieses Projekt könne aber nur funktionieren, wenn es in Südtirol und in Österreich einen Konsens in dieser Frage gebe. Auf technischer Ebene ließen sich die offenen Fragen lösen, ist Steger überzeugt, man müsse aber aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten losgehe. Auch SVP-Abgeordnete Maria Hochgruber Kuenzer meinte, man könne vorab schwer sagen, ob die Geschichte gut gehen würde oder nicht. Für sie wäre die Doppelstaatsbürgerschaft aber eine der Möglichkeiten, um ein klares Signal an zentralistische PolitikerInnen zu senden.
Gar nichts mit einer Doppelstaatsbürgerschaft anfangen können Riccardo Dello Sbarba (Grüne) und Alessandro Urzi (L’Alto Adige nel cuore). Man solle sich auf den Ausbau der Autonomie konzentrieren und „gefährliche Experimente“ bleiben lassen, sagte Dello Sbarba, der Bedenken zu Vereinbarkeit mit dem Staut äußerte und im Zusammenhang mit der Frage, wer überhaupt um eine österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen dürfe, die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft sah.
Alessandro Urzi sah die Diskussion künstlich aufgebauscht. In der Bevölkerung sei die Doppelstaatsbürgerschaft kein Thema, vielmehr handle es sich um das Problem einiger PolitikerInnen, erklärte er. Damit würde man nur Misstrauen in Italien säen und Konflikte wie in Spanien schüren, die Rechte Südtirols würden ohnehin schon von vielen als ungerechtfertigte Privilegien gesehen.
Ähnlich wie Urzi argumentierte auch Landtags-Vizepräsident Roberto Bizzo (Partito Democratico). Die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft würde nicht zu einer Stärkung der Autonomie führen, sondern zu einer Stärkung des Zentralismus, erklärte er. Damit würde man ein großes Risiko für die Autonomie eingehen, die Bizzo trotz der Zentralismusbestrebungen der Regierung Renzi grundsätzlich als gut abgesichert ansieht.
Positiv zu einer Doppelstaatsbürgerschaft äußerten sich dem gegenüber Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), Andreas Pöder (BürgerUnion) und Pius Leitner (Freiheitliche). Es sei ihm bewusst, dass es Gespräche in dieser Frage bedürfe und dass ein solcher Schritt Konsequenzen habe, sagte Knoll, seiner Meinung nach sind aber alle offenen Fragen lösbar. Ihm zufolge gibt es auch bereits eine weitgehend positive Stellungnahme der italienischen Regierung. Generell sieht Knoll die Autonomie Südtirol durch die Zentralismusbestrebungen der Regierung massiv bedroht.
Italien werde zu einem „Ultra-Zentralstaat“ umgebaut, es herrsche eine Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar eine Feindseligkeit gegenüber autonomen Regionen, bedauerte Andreas Pöder. Im Zuge der angestrebten Verfassungsreform wird Südtirol seiner Darstellung nach zwar eine Schutzklausel angeboten, man erwarte von Südtirol aber, sich an die neue Verfassung anzupassen, statt die Verfassung auf Südtirol abzustimmen. Die doppelte Staatsbürgerschaft sieht Pöder als identitätserhaltendes Schutzinstrument, sie könne jedoch kein Ersatz für andere Maßnahmen sein.
Pius Leitner machte geltend, dass in Südtirol ein Wunsch nach Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft bestehe. Die Bevölkerung stelle sich aber auch die Frage nach dem konkreten Nutzen. Wie Knoll ortet er keine Einwände der italienischen Regierung gegen einen solchen Schritt. Allgemein gab Leitner zu bedenken, dass Renzis Politik dazu geführt habe, dass in Italien, und zum Teil auch in Südtirol, nicht mehr verstanden werde, warum Südtirol Autonomiestatus habe. Wie für Pöder wäre auch für ihn eine Territorialautonomie eine große Gefahr.
Von österreichischer Seite stellten sich nur die FPÖ und das Team Stronach ausdrücklich hinter die Forderung einer Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen. Sowohl FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer als auch Team-Stronach-Abgeordneter Christoph Hagen sehen den Ball aber auf der Seite Südtirols liegen. Erst wenn sich die SüdtirolerInnen selbst einigen und der Südtiroler Landtag Beschlüsse fasse, könne Österreich handeln, erklärte Neubauer. Er habe jedenfalls das Gefühl, dass es in Südtirol mehr Angst in Bezug auf die anstehende Verfassungsreform gebe und dieses Problem als vordringlich erachtet werde. Neubauer bekräftigte, dass der Autonomiestatus Südtirols nicht mit anderen autonomen Provinzen Italiens vergleichbar sei, und appellierte an die österreichische Politik, die Schutzmachtfunktion auszuüben.
Für Hagen wäre die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft nur eine Reparatur der seinerzeitigen Beschlüsse zu Südtirol. Die SüdtirolerInnen hätten, anders als etwa die slowenische Minderheit in Kärnten, keine Entscheidungsmöglichkeit gehabt, ob sie zu Österreich oder zu Italien gehören wollen, führte er ins Treffen. Was die Angst in Südtirol betrifft, im Zuge der Verfassungsreform „über den Tisch gezogen“ zu werden, sieht er wie Neubauer Österreich als Schutzmacht gefordert.
Klar gegen die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft wandten sich hingegen die Abgeordneten Georg Willi (Grüne) und Christoph Vavrik (Neos). Er verstehe den emotionalen Wunsch, sagte Willi, aus seiner Sicht würden aber etliche Punkte gegen einen solchen Schritt sprechen. Konkret verwies er etwa auf starke Bedenken in Österreich und die Gefahr einer Spaltung der Südtiroler Gesellschaft. Die Doppelstaatsbürgerschaft stärke überdies die Schutzmachtfunktion Österreichs gegenüber Südtirol nicht und trage nichts zur Stärkung der Autonomie Südtirols, etwa was Kompetenzen und Finanzen anlangt, bei. Darüber hinaus müsste man eine diskriminierungsfreie Lösung auch für andere AltösterreicherInnen finden, bekräftigte Willi.
Den genannten Bedenken schloss sich auch Vavrik an. Er sieht insbesondere die Frage ungeklärt, wer in den Genuss der Doppelstaatsbürgerschaft kommen solle. Man würde die Büchse der Pandora aufmachen, warnte er. Grundsätzlich ließe er sich in dieser Frage aber noch überzeugen, sagte Vavrik, die heutige Diskussion habe das aber nicht bewirkt. „Voll und ganz“ bekannte sich Vavrik im Namen der NEOS zur Autonomie Südtirols und zur Schutzmachtfunktion Österreichs.
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