Ganz Seele und ganz Auge
Partituren des Zeichnerischen: Annemarie Laner verknüpft im Grand Hotel Toblach ihre Kunst mit der Musik Gustav Mahlers.
Von Heinrich Schwazer
Ein Satz bloß, lakonisch, knapp, beiläufig, tröstend – und grausam: You never walk alone. Fußballer verstehen und glauben das sofort, jedes Wort, und gern. Knüpft der Satz doch an die unsterbliche Fußball-Hymne „You’ll never walk alone“ an, mit der die Liverpool-Fans sich in Stimmung singen und gegenseitig ermahnen, allen Widrigkeiten und Rückschläge zum Trotz niemals aufzugeben und an den Träumen festzuhalten: Du bist nicht alleine.
In Zeiten abnehmenden Mitleids klingt das nach dem notwendigsten Satz an und für sich, aber so, wie die Künstlerin Annemarie Laner ihn mit Silikon auf graue Tafeln schreibt, scheint er sich in die Fiktion verflüchtigen zu wollen. Transparent ist die Schrift, entkörperlicht, bleich, weich wie ein delikates Gespinst, das eher melancholisch hingehaucht als erlöserisch laut hervortritt. Poesie, die von Fleischwerdung träumt, oder Fleisch, das sich ins Wort zurückträumt, ist da am Werk – alles ganz Seele und ganz Auge.
Die titelgebende Bilderserie „You never walk alone“ vereint viele Elemente des Oeuvre von Annemarie Laner -Schrift, Gestik, sinnliche Oberflächen, reduzierte Farbgebung, Grenzgänge zwischen Poesie und Bild. Zu sehen ist die Serie derzeit im Grand Hotel Toblach im Rahmen der Gustav Mahler Musikwochen und der Festspiele Südtirol.
Ein enges, filigranes Geflecht durchzieht und verbindet die Ausstellung. Werke aus früheren Arbeitsphasen, etwa zwei rostige Boote im Außenbereich, von der Decke hängende „Tubi“ aus Japanpapier, kleinformatige Wachsarbeiten und Bilder aus dem Zyklus „sorrow“ verbinden sich atmosphärisch subtil mit neuen Arbeiten.
Unübersehbar sind die musikalischen Deutungsmöglichkeiten. Die Tubi wirken wie riesige Hörrohre für eine taube Generation. Das Japanpapier gemahnt aber auch an Kandinski, der Gelb immer mit Trompeten und Fanfaren assoziiert hat. Ihre zeichnerischen Linienkonstellationen erinnern in vielfacher Hinsicht an Partituren, die Striche, so gestisch wild sie wirken, geben bei genauerem Hinschauen die Feinheiten komponierter Rhythmen und rhythmischer Kompositionen preis.
Laners Kunst ist ganz und gar zeichnerisch. Die Linie animiert alles und sie öffnet sich darüber hinaus weit der Schrift- nicht selten so weit, dass Zeichnungs- und Schreibprozesse ineinander fallen. Vom Zeichnen und von Schrift-Zeichen kann in ihren Arbeiten häufig gleichzeitig die Rede sein.
Einen entscheidenden Schritt voran geht das Skripturale in der zweiteiligen Arbeit „Transformation“, die Zeichnung und Skulptur verbindet. Die Skulpturen gehen aus Schreibprozessen hervor, das zweidimensionale Schrift-Bild erweitert sich in den Raum.
Von ferne wirken die vertikal aufgerichteten Objekte wie ein kopfloses Paar in Weiß – man könnte an das Foto von Alma und Gustav Mahler auf den Feldern von Toblach denken – aus der Nähe gleichen sie improvisierten Obelisken mit Inschriften.
Eine Skulptur besteht aus einem bläulich schimmernden PVC-Band, das sich wie eine Spirale nach oben dreht. Mit Silikon hat die Künstlerin im Endlos-Modus „You never walk alone“ auf das transparente Material geschrieben. Weiße Schrift ist Schrift der Abwesenheit, Weiß ist die Farbe des Vergessens – die Buchstaben, das Gedächtnis schlechthin, sind unablässig vom Auslöschen bedroht.
Die zweite Skulptur besteht aus 23 Meter langem Japanpapier, auf das Laner John Cages Buch „Silence“ händisch abgeschrieben hat. Lesbar ist das nur unter größten Mühen. Die Schrift entzieht sich in Kritzeleien und Überlagerungen, als wollte die Künstlerin das Geschriebene gleich wieder wegschreiben. Über das Papier ist ein hauchdünnes Vlies aufgenäht, auf dem feine Linien, Schwünge und Kurven in an- und abschwellenden Verläufen mäandern. In Endlosschleife Mahler hörend hat Laner in einer Art Pollockschem „dripping“ die Farbe ohne taktilen Kontakt aufgebracht. Nicht das Band zwischen Auge und Hand wie in der klassischen Zeichnung, sondern das Band zwischen Hand und Ohr bringt das Fließenlassen der Linie hervor.
„Transformation“ ist eine zweiteilige Skulptur, schaut man genauer in sie hinein, gibt sie ein vielteiliges inneres Geschehen preis. Gustav und Alma Mahler, John Cage, beider Themen, die auch die Themen der Künstlerin sind, sprechen in ihnen: Die Stille des Schreibens, die Materialität des beschriebenen Papiers, Verlorenheit, Einsamkeit, aber auch die Suche nach Helligkeit und Weite.
Alles könnte ein Traumspiel sein. Inneres Geschehen, in den unübersichtlichen Räumen des Unbewussten spielend, wo die Grundnöte menschlicher Existenz sprechen. Aber es oszilliert immer auch in die reale Gegenwart. Die Boote vor dem Grand Hotel sind Sinnbilder der Fragilität menschlicher Existenz, aber auch der Anteilnahme am Schicksal des Nächsten sowie an den politischen Zeitläufen. Gegenwärtig ist es schwierig, in ihnen nicht auch die rostigen Seelenverkäufer der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer zu sehen.
Termin: Bis 20. September im Grand Hotel Toblach.
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