Tief empfundene Musik
Beim Gustav Mahler Jugendorchester stehen die monumentale 8. Sinfonie von Anton Bruckner, Mozarts Sinfonie Nr. 39 und die bekannte, hochexpressive Sinfonie Nr. 9 „Aus der neuen Welt” von Antonin Dvo?ák auf dem Programm. Über die Herausforderungen dieser großartigen Werke spricht Meisterdirigent Herbert Blomstedt, der das Orchester in beiden Konzerten leitet.
Tageszeitung: Sie dirigieren in den zwei Konzerten mit dem Gustav Mahler Jugendsinfonieorchester in Bozen Bruckners Sinfonie Nr. 8 und Dvo?áks Sinfonie Nr. 9 – was verbindet gerade diese beiden Sinfonien, was trennt sie voneinander?
Herbert Blomstedt: Zunächst laufen die beiden Werke ja nicht im gleichen Programm. Die 8. Symphonie von Bruckner ist abendfüllend und geht über fast 1.5 Stunden – damit kann man kein anderes Werk verbinden. Das ist ein wunderbares, großes Stück für die jungen Leute vom Gustav Mahler Jugendorchester und sie werden das wunderbar spielen. Dvo?áks Symphonie „Aus der neuen Welt“ ist wiederum ein sehr populäres Werk und als Kontrast und Komplement zu Bruckners Symphonie eine ausgesprochen geeignete Alternative. Die Symphonie gehört zum Standardrepertoire und das Publikum wird sich über die sehr bekannten Melodien freuen.
Bruckners 8. Sinfonie wird ab und an auch als die „Apokalyptische“ bezeichnet – sind solche Titulierungen hilfreich, entsprechen sie dem Gehalt der Musik?
„Apokalyptisch“ würde ich diese Symphonie nicht nennen. Das ist ein weltoffenes Werk mit wunderbaren Melodien, in dem keine Katastrophen- oder „Jüngstes Gericht“- Stimmung aufkommt. Es ist ganz einfach tief empfundene Musik, der bei der Uraufführung in Wien ein fantastischer Erfolg beschieden war. Der Kritiker Hugo Wolf bezeichnete die Symphonie gar als die größte Komposition des Jahrhunderts. Das Stück ist groß besetzt, allein mit acht Hörnern, vier Tuben und drei Harfen, also ein opulentes Werk, das den jungen Leuten vom Gustav Mahler Jugendorchester viel Spaß machen wird. Das GMJO ist sehr groß, gerade die große Streicherbesetzung wird dem Werk sehr zugute kommen.
Dvo?áks 9. Sinfonie hingegen ist als jene aus „Der Neuen Welt“ populär geworden und hat direkt mit seinem Aufenthalt in Amerika zu tun – verstellt dieses Bild vielleicht gar den Blick auf das Wesentliche des Werkes?
Vielleicht sollte man beim Hören nicht zu viel an Amerika denken, aber es ist schon richtig, dass es sehr amerikanische Elemente gibt, etwa in den Melodien. Aber Dvo?áks Habitus als „böhmischer Musikant“ ist in jedem Takt erkennbar. Er war ja ein sehr volkstümlicher Komponist und liebte sein Vaterland ganz enorm. Während seiner drei Jahre in New York soll er jeden Tag zum Hafen gegangen sein und die Schiffe aus Europa beobachtet haben. Er hatte große Sehnsucht nach seiner Heimat und machte sich zum Hobby, Schiffe an den Schiffshörnern, sozusagen an ihrer Stimme zu erkennen. Das Werk ist also vor allem sehr böhmisch, trotz seiner amerikanischen Elemente – eine sehr glückliche Verbindung.
Sehen Sie das Berufsverständnis eines Dirigenten als Kapellmeister in Veränderung oder im Verschwinden?
Das ändert sich immer, Gott sei Dank, es muss und soll ja auch nicht alles bleiben wie es immer war. Der Dirigent vor 100 Jahren war mehr oder weniger ein Halbgott. Er machte was er wollte, die Musiker hatten nichts zu sagen, der Dirigent konnte sie nach eigenem Gutdünken anstellen oder feuern. Das ist heute anders geregelt und das ist gut so. Der Dirigent hat immer noch eine Machtposition inne, aber wie er diese Macht nutzt, hat sich verändert. Autokraten wie vor 100 Jahren gibt es nicht mehr, heute wissen Dirigenten wie wichtig es ist, mit den Musikern voll zu kooperieren. Die Aufgabe des Dirigenten besteht darin, den Musikern zu ermöglichen, so gut wie möglich zu spielen, dafür die richtige Atmosphäre zu schaffen und handwerklich selbst so perfekt zu sein, wie das Orchester.
Gibt es Entwicklungen im gegenwärtigen Musikleben, denen Sie mit Zustimmung oder Skepsis begegnen?
Eine sehr positive Entwicklung ist, dass die Musiker heute allgemein noch besser ausgebildet sind, als in früheren Zeiten. Es gab auch früher schon großartige Instrumentalisten, vor allem große Künstlerpersönlichkeiten, aber technisch sind die Musiker heute besser gerüstet. Die Anforderungen sind aber auch größer. Das Repertoire wächst stetig, es kommen immer neue Werke hinzu, die Musiker müssen stilistisch und technisch mehr bewältigen. Und der Standard ist sehr hoch, das sieht man gerade an den Jugendorchestern: Junge Leute, die vielleicht gerade erst am Ende ihres Studiums stehen, auf dem Sprung zu den großen Orchestern sind und völlig professionell klingen. Die Konkurrenz ist aber auch gewaltig, ebenso die Ansprüche. Auf ein Probespiel für eine Stelle bei einem der Spitzenorchester gibt es ja schnell 200-300 Bewerbungen.
Wie steht es um die Unverkennbarkeit des Klanges bestimmter Orchester?
Das ist wiederum etwas beunruhigend, die Orchester klingen einander immer ähnlicher. Die Musiker reisen mehr, aber auch die Dirigenten bleiben nicht mehr so lange bei den Orchestern, vielleicht 5-10 Jahre, in absoluten Ausnahmefällen auch einmal 15. Früher bestimmte der Dirigent völlig alleine den Klangcharakter des Orchesters, denn er blieb durchaus bis zu 30 Jahre lang sein Chef, es gab auch seltener Gastdirigenten. So kamen ganz spezifische Klangprofile zustande. Durch den großen personellen Austausch, aber auch die permanente Verfügbarkeit von Musik auf Tonträger gleicht sich alles mehr aneinander an. Nur noch die vielleicht besten 10 Orchester haben ihren persönlichen Charakter, aber das hören vielleicht auch nur Spezialisten.
Termin: 19. August um 20.30 Uhr im Stadttheater Bozen. www.bolzanofestivalbozen.it
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