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Der Prophet

Der Prophet

Zwanzig Jahre nach seinem tragischen Tod ist er auch in Bozen angekommen. Die Stadt benannte eine Schule nach ihm. Alexander Langer.

von Arnold Tribus

Er war erst 49 Jahre alt, als er sich das Leben nahm. Freiwillig. Und immer wieder wird die Frage gestellt, warum ein Mann seiner Größe, seiner Intelligenz, seiner Genialität den Freitod wählte. „Die Lasten sind mir zu schwer geworden. Ich derpack es nicht mehr“, schrieb er in seinem Abschiedsbrief.

Auch das „Kommt zu mir, die Ihr mühselig und beladen seid“, konnte ihm keim Trost und keine Stütze mehr sein. Für seine Freunde und Jünger hinterließ er den Auftrag, „Seid nicht traurig. Macht weiter, was gut war“, sein Testament. Könnte aus dem Evangelium stammen.

Es sind viele Fragen gestellt worden zu seinem Tode, aber genauso viele Antworten, viele dumme. Die Politik, der Krieg, die Frauen, die Überlastung. Es sind Versuche von Erklärungen, denn es gibt keine Antwort, sie bleibt sein Geheimnis, das Geheimnis eines zarten und feinen Menschen, der nicht so stark war wie er wollte.

Auch wenn es viele Anzeichen gegeben haben mag, zu einem radikalen Wechsel konnte er sich schließlich doch nicht durchringen, zu groß war sein Pflichtbewusstsein, die moralische Bürde, die zu tragen er sich auferlegt hatte.

Ich will in dieser verzweifelten und wohl auch lange und gut überlegten Tat einen Akt einer letzten, großen Freiheit sehen. Dabei liebte er ja das Leben, weil er sich dem Leben verpflichtet fühlte, der Welt, die er verändern wollte, den Menschen, denen er helfen wollte.

Allen.

Er hat mit allen Kräften versucht, dass die Liebe in ihm siege, statt die Dunkelheit. Sein Wille stand immer auf der Seite des Lebens. Schließlich konnte er das Dunkle, das Depressive aber nicht mehr abwehren, das diese Summe von Wärme, Temperament, Witz und Intelligenz bedrohte.

Er war ja verschwenderisch begabt im Umgang mit Menschen, gleichzeitig aber auch immer einsamkeitssüchtig. Unter Menschen, vor allem wenn er nur ein oder zwei Partner hatte, konnte man ihn, trotz gelegentlicher Launenhaftigkeit beinah nur witzig, spritzig, schlagfertig, warmherzig, aber immer profund und weise erleben.

Er schöpfte aus einem unerschöpflichen Schatz von Wissen, Anspielungen und Zitaten. Er war sehr mitteilungsbedürftig, er sprach gern, auch wenn er kein brillanter Redner war, nie oder selten sprach er über seine inneren Zustände, an denen er dann wohl zerbrochen ist.

Und während er immer aktiv war, in Hast, immer im Kreise vieler Menschen, immer in Kommissionen, immer auf Reisen und bei Versammlungen, hat er allein, ganz allein, seinen Tod vorbereitet.

Der Schmerz, den die Nachricht von seinem Tode an so vielen Stellen auslöste, war der letzte Beweis dafür, wie geliebt, geschätzt und geachtet er war. (In der Zwischenzeit sind alle Langerianer geworden, zu viele).

Allein Bozen hat es zwanzig Jahre gedauert, bis ihm die Stadt ein würdiges Erinnerungsdenkmal setzte, die Benennung einer Schule, die von beiden Sprachgruppen besucht wird. Jahre vorher war der Vorschlag im Gemeinderat abgelehnt worden, weil man nicht eine Schule nach einem Selbstmörder benennen könne, das sei ein schlechtes Beispiel für die Jugend.

Dabei ist Bozens größte Mittelschule auch nach einem prominenten Selbstmörder benannt, Adalbert Stifter, der sich mit einem Rasiermesser die Halsschlagader öffnete.

Jede Begegnung mit Alexander Langer war anregend, amüsant. Er war von unersättlicher intellektueller Neugierde und echter moralischer Leidenschaft. Skeptisch bis zum Zynismus und idealistisch bis zum Naiven, reich an paradoxem Witz und eifervollen Glauben, generös, verklatscht, loyal und boshaft, ein hochgesinnter Verteidiger der Menschenrechte, ein guter Kämpfer und ein guter Freund.

Er wusste seit seiner Kindheit, seit seinen glücklichen Jahren bei der Marianischen Kongregation am Franziskanergymnasium, der er vorstand und mit der er seine erste journalistische Erfahrung machte, OW, Offenes Wort, hieß das Blatt, in der er feurige Leitartikel schrieb, dass er sein Leben anderen widmen wollte.

Er hätte Pater werden wollen, aber wurde Politiker, aus genuiner, christlicher und kindlicher Überzeugung und Pflichtbewusstsein, er hatte eine Mission zu erfüllen, Zeit seines Lebens. Dann verrannte er sich kurz im Klassenkampf, bis der Radikalismus des Herzens ihn wieder zurückführte in jene Welt, in der er Bleibendes geschaffen und hinterlassen hat.

Ob er ein guter Politiker war, weiß ich nicht. Was er den Nachgeborenen hinterlässt, sind viele großartige Texte zur ökologischen Wende. Prophetische Texte, radikale Texte, Texte voller Poesie und einem tiefen Glauben, denn er ist immer ein religiöser Mensch geblieben, auf seine Art.

Die Öko-Enzyklika von Papst Franziskus, „Laudato si“, die eine selbstmörderische Umweltzerstörung anprangert und Politik und Wirtschaft, alle Menschen guten Willens zu einem radikalen Wandel aufruft, könnte aus seiner Feder stammen.

Vielleicht hat auch der Papst Langer gelesen, ich schließe es nicht aus.

Er war ein Einzelgänger und ein Einzelkämpfer. Parteien konnte er nicht leiden, weshalb er die Listen nach der Wahl auch schnell wieder auflöste, um dann Neues zu schaffen: solve et coagula. Er war ein begeisterter Lehrer, ein großer Übersetzer, ein Sprachengenie. Er war ein begabter Schreiber, es floss ihm aus der Feder.

Er hat Tausende Resolutionen verfasst, immer in beiden Sprachen, Tausende Artikel für alle möglichen Zeitungen, auch für die winzigsten und er hat es immer bedauert, dass er nicht die Zeit fand, endlich ein Buch zu schreiben. Heute gehört Alexander Langer allen, als Denker und Prophet wird er weiterhin Impulse geben.

Wir gedenken seiner in liebevoller Erinnerung.

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