„… dann klickten die Handschellen“
Manuel Kofler hat Marihuana im Wert von fünf Millionen Euro verkauft und wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Sarner über seine große Liebe und die Erfahrungen im Gefängnis.
TAGESZEITUNG Online: Herr Kofler, Sie haben in Marokko geheiratet?
Manuel Kofler: Ja, zuerst musste ich mich noch der Familie vorstellen. Die Mutter hat mich mit offenen Armen aufgenommen und hat mich gleich beim Eintreffen umarmt. Zwei Monate später musste ich mich ihrem Vater stellen. Er hat dann das Einverständnis geben, wobei sich das niemand gedacht hätte. Am 18. August 2009 haben wir geheiratet. Ich kehrte nach Österreich zurück, drei Wochen später folgte sie mir. Am 3. September 2009 habe ich sie am Flughafen in Bologna abgeholt. Damals wollte ich mit dem Drogenhandel aufhören. Finanziell war ich ja abgesichert.
Ließ man Sie einfach ziehen?
Nein. Die Leute wurden aggressiv, als ich ihm meine Entscheidung mitteilte: Ich könne nicht aufhören, weil ich zu viel Geld für sie verdiene. Zwei Wochen später klickten dann die Handschellen. Es war am 23. September: Ich bin mit dem Zug von Zürich nach Innsbruck gefahren und mit dem Taxi zu meinem Einfamilienhaus in Wattens. Vor der Haustür stand ein schwarzer Audi. Ich klopfte an die Scheibe und fragte die beiden Männer, ob sie was suchen. Sie sprangen aus dem Auto, ich lang auf dem Boden und die Handschellen klickten zu. Zwei Tage zuvor hatten sie den Chinesen festgenommen, der ihnen erzählt hatte, dass er mir rund 100 Kilo Marihuana abgekauft hätte. Ein anderer Klient hatte ebenfalls ausgesagt, dass ich ihm 60 Kilo geliefert hätte.
Und dann?
10 Monate später wurde ich zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt – wegen internationalen Drogenhandels von 164,4 Kilo. Die Schweizer Behörden haben gleichzeitig einen Prozess wegen Geldwäsche angestrengt. Der Prozess wurde wegen der zu verbüßenden Haftstrafe in Österreich eingestellt. Meine ganze Familie, Vater, Mutter und Geschwister waren im Gerichtssaal. Ich habe mich geschämt. Ich war zuerst im Gefängnis in Innsbruck, dann für zwei Wochen in Salzburg und schließlich wurde ich ins Hochsicherheitsgefängnis nach Garsten überstellt.
Haben Sie gegen andere Dealer ausgesagt?
Ja, nach drei Monaten. Es gibt eine Regel unter Gaunern: Wenn man verhaftet wird, dann wird für die Frau gesorgt – sie erhält die Miete und finanziellen Unterhalt. Nach drei Monaten wurden aber die finanziellen Zuschüsse mit meinem Geld aus der Schweiz eingestellt. Sie wollten meine Frau nach Marokko zurückschicken. Und ich habe dann ausgesagt. Meine Anwältin lockte einen Dealer nach Österreich: Dieser wurde zu elf Jahren verurteilt. Für andere in der Schweiz fiel das Urteil viel milder aus, da dort Delikte mit leichten Drogen mit einer maximalen Höchststrafe von drei Jahren geahndet werden. In Österreich sind es 15 Jahre und man muss mit Mördern und Vergewaltigern einsitzen.
Wie lebt es hinter Gittern?
Mühsam und eintönig. Das Umfeld im Hochsicherheitsgefängnis mit 400 Häftlingen, die alle ihre Geschichte hinter sich haben, ist nicht gerade aufbauend. Wir waren zu viert in der Zelle. Wenn ein Mann im selben Raum schläft, der drei Frauen umgebracht hat, so weiß man nie, wie der reagiert. Und es gibt viele Häftlinge, die austicken, sobald sich die Tür hinter ihnen schließt. Mit den Gedanken ist man immer auf der Kippe. Man lebt permanent unter Anspannung. Die Russen, Albaner und Kroaten sind charakterlich anders. Man weiß nie, wie sie auf gewisse Situationen reagieren. Es gab Schlägereien, Ausländerfeindlichkeit, es wurde viel Alkohol getrunken. Es wird mit Geld gespielt. Im Gefängnis zahlen die Schwachen immer darauf.
Wie erträgt man das Ambiente?
Es gibt drei Möglichkeiten, wie man sich die Zeit im Gefängnis vertreiben kann: Mit Computerspielen, viele nehmen Tabletten, um viel schlafen zu können, aber ich habe den Sport gewählt. Alle sagten, ich sei komisch. Ich habe mich auf den Sport konzentriert und bin täglich bei jeder Witterung viele Kilometer im Hof gelaufen. Das hat mich vor einem psychischen Schaden bewahrt. Viele Häftlinge tragen einen psychischen Schaden davon. Zudem habe ich nach vier Monaten als Kellner für die Offiziere und Unteroffiziere gearbeitet. Die Psychologen haben mich als ungefährlich eingestuft. Rund 400 Euro habe ich im Monat verdient. Einmal in der Woche konnte ich im Gefängnis im internen Interspar einkaufen gehen.
Wie lange saßen Sie hinter schwedischen Gardinen?
Zehn Monate war ich in Untersuchungshaft in Innsbruck, 2,5 Jahre war ich im Hochsicherheitsgefängnis in Garsten: Dann habe ich mich im Jänner 2014 nach Italien überstellen lassen. Im März konnte ich schon drei Tage nach Hause, im September für sechs Monate. Das Gericht entschied danach, dass ich einer Arbeit nachgehen kann. Jetzt muss ich abends zuhause sein und darf Südtirol nicht verlassen.
Was geschah mit Ihrer Frau während der Zeit?
Nach sechs Monaten zog sie zu meinem Bruder und meinen Eltern ins Sarntal. Sie konnte damals kein Wort deutsch, hatte keine Ortskenntnisse und war unsere eisige Kälte nicht gewohnt. Mein Bruder hat ihr geholfen, die Papiere zu machen und hat sie unterstützt. Sie hat Arbeit gesucht: Sie stand um 4.00 Uhr morgens auf und schleppte in der Fruma für zehn Monate Tag für Tag Gemüsekisten – und regelmäßig besuchte sie mich im Gefängnis. Ich wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ich habe sie gefragt, ob sie auf mich warten will. Für sie war das kein Thema. Schlussendlich musste sie vier Jahre auf mich warten.
Wie kann man wieder Fuß fassen?
Ich hatte das große Glück, Menschen um mich herum zu haben, die mir vertrauen – angefangen von der Familie, der Ehefrau und dem Arbeitgeber. Zudem: Man muss Hilfe annehmen können. Viele haben die Chance, einen Neubeginn zu starten. Ich habe aber sehr viele Häftlinge kennengelernt, die alle helfenden Hände ausgeschlagen haben.
Wie hat sich Ihre Einstellung zum Leben geändert?
Ich habe durch meinen Gefängnisaufenthalt gelernt, wie schön das Leben in Freiheit ist. Als ich in Teilfreiheit überstellt wurde, habe ich ein Fahrrad genommen und bin gefahren. Ich sah Margeriten, ich habe den Geruch des Heus bei der Ernte wahrgenommen. Ich kann mich heute noch an den Duft des Holzes in einer Hackschnitzelanlage erinnern. Ein Wahnsinn. Mir kamen die Tränen. Alle diese Sinneseindrücke habe ich vier Jahre vermisst.
Sie mussten vor einem Jahr noch einen weiteren Schicksalsschlag hinnehmen?
Ja, das stimmt. Meine Frau war schwanger. Wir verloren unser Kind im neunten Monat. Das war sehr schwer. Aber das Glück ist jetzt umso größer: Wir haben am Valentinstag ein kerngesundes Mädchen bekommen.
Interview: Erna Egger
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