Neue Sitten
Im Südtiroler Landtag herrscht auch künftig keine Krawattenpflicht. Kurztelefonate in der Aula bleiben erlaubt. Demonstratives Zeitungslesen ist strikt verboten. Und schwänzende Landesräte müssen zahlen.
von Artur Oberhofer
Soll im Hohen Haus Krawattenpflicht herrschen? Soll es im Landtag künftig verboten sein Zeitung zu lesen? Und: Sollte man ein grundsätzliches Telefonierverbot in der Aula erlassen?
Um diese und weitere Fragen ging es am Mittwoch bei einer Fraktionssprechersitzung im Südtiroler Landtag. Es wurde über einen von Landtagspräsident Thomas Widmann vorgelegten Vorschlag in Bezug auf neue Sitzungsregeln diskutiert. Aus Zeitgründen konnten die Fraktionschefs nicht alle Punkte des Widmann-Vorschlags diskutieren.
Aber eines scheint derweil klar: Es gibt eine interessante Bruchlinie zwischen deutschen und italienischen Fraktionssprechern.
Ein anwesender Fraktionssprecher fasst die Stimmung im Hintergrundgespräch mit der TAGESZEITUNG so zusammen: „Deutsche Ordnungswut ist auf italienischen Menefreghismo getroffen.“
Mit anderen Worten: Während die deutschsprachigen Abgeordneten (Thomas Widmann, Dieter Steger, Pius Leitner, Sven Knoll, Maria Hochgruber-Kuenzer und Andreas Pöder für strengere Sitzungsregeln eintraten, sprachen sich die italienischen Vertreter (Alessandro Urzí, Elena Artioli und Riccardo Dello Sbarba) für eine lockere Handhabung aus.
Bei der Kleiderordnung waren die italienischen Abgeordneten eher dafür, Modefreiheit zu gewähren, während die deutschen Fraktionssprecher doch auf eine Regelung in Stilfragen bestanden. Letztlich einigte man sich auf eine grundsätzliche Kleiderordnung, aber ohne Krawattenpflicht.
Ein Telefonierverbot während der Landtagssitzung befürworteten die deutschen Fraktionssprecher, die Italiener lehnten es mit dem Hinweis ab, dass auch in der römischen Abgeordnetenkammer munter telefoniert werde und das Telefon auch während der Sitzungen ein Arbeitsinstrument sei.
Am Ende einigte man sich in der gestrigen Fraktionssprechersitzung auf ein grundsätzliches Telefonierverbot, aber „eine schnelle Telefonata mit dem Sekretär im Büro“ soll doch erlaubt sein.
Ein weiteres kontrovers diskutiertes Thema: das bei LandtagsbesucherInnen so verpönte Zeitungslesen während der Landtagssitzung.
Die deutschen Fraktionssprecher sprachen sich für Zeitungsverbot auf, um sicherzustellen, dass die Sitzungsteilnehmer „aufmerksamer bei der Sache“ seien, so formuliert es ein Fraktionssprecher.
Doch die Italiener wollen auch künftighin nicht auf ihre geliebten „giornali“ verzichten. In der gestrigen Sitzung hieß es: „Wir verstehen eure teutonische Regelwut nicht.“
Am Ende haben sich die deutschen Fraktionssprecher teilweise durchgesetzt: Demonstratives Zeitunglesen, so als wäre jemand auf einer Piazza in Verona beim Espresso, soll im Landtagssitzungssaal nicht mehr geduldet werden. Im neuen Regelwerk wird ein „maßvoller Umgang mit digitalen Medien zu Arbeitszwecken“ angeregt.
Ein Abgeordneter sagte nach der Sitzung: „Wir leben an der Sprach- und Kulturgrenze, das hat sich deutlich gezeigt.“
*** LESEN SIE IN DER PRINT-AUSGABE: Wie die Mitglieder der Landesregierung dazu bewogen werden sollen, weniger zu schwänzen.
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