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Zeit statt Geld

Zeit statt Geld

Die Tage der Nachhaltigkeit in Brixen waren ein voller Erfolg: Über 500 Gäste sammelten Ideen für ihr Denken, Sein und Tun.

Die Tage der Nachhaltigkeit 2015 wurden mit Harfenklängen von Barbara Plattner Ramoner und graziösen Skulpturen von Lothar Dellago am Donnerstag im Forum Brixen eröffnet. Drei Tage im Zeichen der Nachhaltigkeit mit Referenten aus dem In- und Ausland, Impulsen, Diskussionen und spannenden Gedankenspielen. Über 500 Gäste brachten ihre Gedanken in Bewegung und sammelten Ideen für ihr Denken, Sein und Tun in Balance.

Am Donnerstagabend wurde der Bogen der Balance von der Finanzwelt über Handel hin zur heimischen Gastronomie und Politik gespannt. Susanne Schmidt skizzierte in 20 Minuten die zwei Hauptprobleme der globalen Hochfinanz, den „moral hazard“ und das „too big to fail“ und dass der Bock zum Gärtner wird wenn Risikogewichtungen für die Kernkapitalquote von den Banken selbst vorgenommen werden. Am Beispiel des Fußballfeldes zeigte sie notwendige Schritte zur Eindämmung der Problematiken auf. Der Beitrag der Finanzwirtschaft zu einer nachhaltigeren Wirtschaft läge, so Schmidt, darin, dass Finanzinstitute wieder Dienstleister der Realwirtschaft würden.

Lorenz Isler (IKEA) schaffte Aufmerksamkeit mit drei Zahlen: 1,5 Planeten bräuchten wir, um die Ressourcen bereitzustellen, die wir jährlich verbrauchen und die Abfälle zu absorbieren, die wir verursachen. 3 Milliarden Menschen werden bis 2030 weltweit dem Mittelstand angehören und dementsprechend konsumieren wollen (derzeit sind es 1,8 Mrd) und 4 Grad ist die Klimaerwärmung auf die wir zusteuern (derzeit 0,8 Grad). „1% des global verarbeiteten Holzes macht uns zum Teil des Problems, und deswegen wollen wir zum Teil der Lösung werden“, so Isler.

Er ging auf die umfangreichen Bemühungen bei IKEA ein, Nachhaltigkeit in die komplexe Lieferkette zu bekommen und stellte sich den kritischen Fragen am Podium. LR Richard Theiner, Helmut Tauber (HGV), Max Schachinger (Schachinger Logistics) und Christian Troger (Uil-Sgk) bereicherten die Diskussion am Podium.

Gestern ging es weiter im Forum Brixen. Nach den einleitenden Worten von Philipp Achammer öffnete sich der Dialog mit Helmy Abouleish via Skype. „Das was heute richtig ist, kann morgen schon falsch sein. Wir müssen uns jeden Tag neu erfinden”. Diesem Motto folgend, immer auf der Suche nach Balance in einem schwierigen ägyptischen Umfeld und einer unwirtlichen Natur, entstand Sekem. Eindrücklich stellte er dar, wie innerhalb von 18 Monaten aus Wüste Kulturland werden kann. Und wie die Initiative im Einklang mit der Ökologie und ethischen Prinzipien auf 9 erfolgreiche Unternehmen wachsen konnte. So bietet diese Initiative nun Lebensgrundlage für viele Menschen.

Riccardo Petrella brillierte durch Tiefgang, Umsicht und Humor. Er rief die Herkunft des Wortes Ökonomie in Erinnerung oíkos „Haus“ und nómos „Gesetz“ – das Gesetz des Hauses. Das sind die Regeln des Zusammenlebens, der gemeinsamen Güter, des gemeinsamen Haushaltens und des gerechten Verteilens. In einer Familie ist es keine Frage, dass alle Zugang zum Wasserhahn, zum Kühlschrank und zur Toilette haben.

Und dennoch, haben mehr als 3 Mrd. Menschen dieser Erde keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Er stellte auch die Frage nach Recht und Gerechtigkeit wenn 89 Menschen gleich viel besitzen wie 3,62 Mrd. Menschen dieser Erde. „Das Recht auf Leben hängt unmittelbar zusammen mit dem Zugang zu Wasser, Gesundheitsversorgung und Wohnraum. Wir glauben uns in einer Demokratie, weil wir auf der Seite der Macht/der Mächtigen leben“ so Petrella. Er appellierte mit Charisma nicht im Namen des Geldes, sondern im Namen der Menschheit und der Solidarität unser Denken und Handeln zu gestalten.

Eintauchen in die einzelnen Themenbereiche, war das Schlagwort der sechs Dialogrunden. Jay Tompt gab Impulse für die fundamentale Veränderung des eigenen Lebensraumes. „Wenn die Menschen sich wieder dazu entschließen den eigenen Lebensraum selbst zu gestalten und miteinander in Dialog treten, werden ungeahnte Möglichkeiten und Kräfte freigesetzt. Die Resilienz eines Ortes wird ua durch seine Fähigkeit die Bedürfnisse der Menschen selbst zu decken, bestimmt. Das reicht von der Energieerzeugung über den Lebensmittelanbau bis hin zur Bereitstellung der nötigen Dienstleistungen“ so Tompt. Peter Wüstner hingegen bringt einen Lösungsvorschlag von politischer Seite, die WIN Charta für Unternehmen von Baden Württemberg, nach Brixen.

In der Dialogrunde Bildung beflügelten Silke Weiß (Gründerin der LernKulturZeit) und Gabriela Maria Bergmann (Mitgründerin der Kinderwerkstatt Schpumpernudl) die Teilnehmer. Da war von „Weg vom Unterrichten, hin zu Räumen der Potenzialentfaltung“ die Rede und vom Erkennen der Essenz des Kindes. „Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist das Bewusstsein, dass das Kind alles was es tut, für sich und seine Entfaltung tut und nicht gegen den Erwachsenen. „Wir müssen hinter die Worte horchen und hinter das Tun schauen. Der Fokus wechselt dann auf das was das Kind antreibt und nicht das Ergebnis seines Tuns“ so Bergmann.

Was geschieht, wenn das Ergebnis des Tuns nicht in Geld sondern Zeit gemessen wird, veranschaulichte Jonas Bianchi von TIMEREPUBLIK. In dieser Zeitbank findet ein reger Tausch von vielen Dienstleistungen (Computerhilfe und -reparatur, Grafik, Homepageerstellung, Übersetzungen, Sprachunterricht, uvm) statt – die Währung ist Zeit statt Geld. Auch junge Unternehmer können so Leistungen für ihre Unternehmensgründung in Anspruch nehmen. Andrea Pugliese ging auf Resonanz und Dissonanz zwischen klassischem Wirtschaften und diesen neuen Formen des Teilens und Tauschens ein, die vor allem durch das Internet neue Möglichkeiten eröffnet. Es ergeben sich neue Möglichkeiten für den Konsumenten, für die Unternehmen, und ganz neue Geschäftsmodelle. Der Übergang von der „Sharing Economy/economia collaborativa“ zur klassischen Wirtschaft ist fleißend. Die Hindernisse liegen vor allem in den fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen.

In der Dialogrunde Unternehmensführung berichtete Giovanni Battista Costa (nexteconomia.org) von den ersten kleinen Schritten in Richtung Nachhaltigkeit in italienischen Unternehmen. Substanzielle Nachhaltigkeit könne nur erreicht werden, wenn die Unternehmensausrichtung nicht nur auf heute und morgen sondern auch in die ferne Zukunft gerichtet ist. Die Kosten die unser Wirtschaften in Zukunft verursacht wurden auch in der Dialogrunde Preiswahrheit bei Hans Holzinger und Jörn Wiedemann diskutiert. Ein wichtiger Grund für die fehlende Nachhaltigkeit liege demnach in der intransparenten Preisgestaltung. Wüsste der Konsument welche externen Kosten ein Produkt verursacht oder dass bei manchen Produkten 50 % der Kosten durch Marketing entstehen, würde er andere Entscheidungen treffen.

Dass im Europäischen Kontext die Entscheidungen so weit als möglich regional und nur wo unbedingt nötig zentral getroffen werden sollten – Subsidiaritätsprinzip – erläuterte Herbert Dorfmann in der Dialogrunde Regionalität. Dann nämlich sind Regionalität und Europäische Union kein Widerspruch.

Mit einem einfühlsamen und „leisen“ Dialog zwischen Mauro Vaia (Etical officer) und Bruno Bonsignore (Gründer AssoEtica) wurden die Kongresstage beschlossen. Viele Anstöße zur Reflexion über Ethik als ständige Suche nach Balance entstanden. Das was gut für die Gesellschaft ist, ist auch gut für die Unternehmen – nicht umgekehrt.

Im historischen Ambiente des Bildungshauses Kloster Neustift, wurden die Tage der Nachhaltigkeit 2015 mit den Seminaren beschlossen.

 

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