Die Außenwelt der Innenwelt
Die ar/ge kunst, gegründet im Jahr 1985, feiert ihr 30-jähriges Bestehen. Zum Geburtstag unterzieht der Künstler Aldo Gianotti ihre Geschichte und das Modell des Kunstvereins einer ebenso profunden wie freundlichen Reflexion.
von Heinrich Schwazer
Dass es hier ums Ganze geht ?s, bekommt man gleich hinter der Glastür zu spüren. Körperlich zu spüren, denn vor dem Besucher baut sich eine Schachtel auf, in die es kein Hinein gibt. Ein schmaler Gang führt an der Wand entlang in die Galerie Museum hinein, füllige oder klaustrophisch veranlagte Menschen dürften ihre Schwierigkeiten mit dem Durchkommen haben. Am Ende der Schachtel angekommen, gelangt man von der Außenwelt der Innenwelt in die Innenwelt der Innenwelt.
Woraus besteht sie? Aus einer verkleinerten Ausgabe des bestehenden Galerieraums, der Raum reproduziert den Raum auf der Basis der planimetrischen Gegebenheiten der Galerie. Entworfen hat ihn der 1977 geborene Aldo Gianotti. Der künstlerische Leiter Emanuele Guidi hat den in Wien lebenden Künstler beauftragt, sich mit der mittlerweile 30jährigen Geschichte der ar/ge Kunst auseinander zu setzen. Ergebnis ist ein fortschreitendes Rechercheprojekt mit dem Titel Spatial Dispositions (Räumliche Veranlagungen).
Wie reflektiert eine der wichtigsten künstlerischen Institutionen des Landes ihre eigene Geschichte? Der Versuchung zu nerviger Selbstbeweihräucherung hat man widerstanden, das Grundgerüst der Jubiläumsausstellung ist Selbstreflexion statt Selbstdarstellung. Die ar/ge zeigt, was sie am besten kann: Recherche. Gianotti ist in die Archive gestiegen, hat mit den ehemaligen Kuratoren geredet, Künstler angeschrieben, Ge- spräche mit Besuchern, Sammlern, Vereinsmitgliedern geführt – vor allem aber hat er gezeichnet.
Die Zeichnung als Recherche-Algorithmus produziert Räume, die unablässig Räume produzieren. Aus der Planimetrie des Galerieraums entsteht eine Begegnung von Skizze und Raum in Fleisch und Blut – sie wird selbst zum Raum. „Künstler starten immer beim Raum“ sagt Emanuele Guidi. Mittelpunkt der zeichnerischen Erkundung ist der Kunstbetrieb selbst, das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Künstlern, Galeristen, Kuratoren, Sammlern, Politik, Medien und Publikum – kurz, das institutionelle Koordinatensystem dessen, was die Präsentation von Kunst definiert und seit Brian O’ Doherty epochaler Schrift „Inside the White Cube“ problematisiert wird.
Wie visualisiert Gianotti seine Recherchen, wie bringt er die Überfülle von Gesprächen, Ereignissen, Begegnungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen zusammen? Was man sieht, sind helle Wände mit Skizzen, Schriften, tabellarischen Auflistungen, schwarze Striche am Fussboden, kein einziges Bild. Auf den ersten Blick wirkt das wie spröde Konzeptkunst, im Gesamt jedoch ist es ein Wimmelbild, bei dem jeder neue Blick neue Details zutage fördert. Von Kuriosem wie dem Bleistift auf der Toilette, witzigen Aufzählungen wichtiger Ereignisse, sprachkritischen Überlegungen, Skizzen bis hin zu Künstlerbeiträgen zur Raumstruktur ist eine Fülle von Notationen präsent. Dem Land Art-Künstler Richard Long beispielsweise, der 1996 in der Galerie ausgestellt hat, ist der Raum nur mehr als minimalistisches Rechteck in Erinnerung. In einem „Theater der Dinge“. lädt der Künstler Besucher ein, Dinge ihrer Wahl mitzubringen, die von ihm gezeichnet werden.
Gianottis Suchbesteck erinnert an die „Institutionskritik“ der 1970er Jahre, als Künstler wie Michael Asher, Marcel Broodthaers, Daniel Buren und Hans Haacke die gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen der Herstellung und Präsentation von Kunst untersuchten und damit gegen das Zentralparadigma der Moderne – die scheinbar unkonditionierte Autonomie der Kunst – rebellierten. Broodthaers analysierte die Position des Museums in der politischen Ökonomie, Buren die Frage nach Form und Medium, Haacke die Soziologie des Kunstpublikums und Asher erprobte die Dekonstruktion des „White Cube“ als rein ästhetischen Raum, indem er durch die Entfernung der Trennwand zwischen Ausstellungs- und Büroraum dessen scheinhafte Neutralität aufdeckte.
Ähnlichkeiten zu einer Arbeit von Michael Asher , „Vaterfigur“ der Institutionskritik, sind in Gianottis Installation nicht zu übersehen. Der hatte für die Ausstellung „Spaces“ im Museum of Modern Art in New York Anfang der 1970er Jahre ebenso einen Raum durch Subtraktion, Umstrukturierung und Verschiebung verkleinert und verändert. Über die Zentralidee der ursprünglichen Institutionskritik ist Gianotti jedoch weit hinaus. Institutionen sind nicht mehr Räume kultureller Einsperrung und Festschreibung, gegen die es zu opponieren gilt. In Zeiten zunehmender Marktzentrierung des Kunstbetriebes sind sie die Lösung. Wenn nicht Erlösung.
Termin: Die Ausstellung „Räumliche Veranlagungen“ in der Galerie Museum, Bozen, bleibt bis 30. April zugänglich. www.argekunst.it.
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