Gebrochenes Vertrauen?
Seit dem Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 mehren sich die Rufe nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Für den Brunecker Psychiatrie-Primar Roger Pycha findet sie bereits statt.
Ob Banken, Beichtstühle oder Krankenhäuser – Die Debatten, die in der Hilflosigkeit nach einer Katastrophe entstehen, richten sich häufig gegen die Verschwiegenheitspflicht. So auch jetzt: Nachdem der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer am Montag eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht forderte, hatten sich beide Seiten rasch in Stellung gebracht. Gegner, darunter Pilotenvereinigungen und Ärztekammern, warnten vor „Schnellschüssen“, die das Ansprechen von Problemen unmöglich machten, Befürworter sehen in der unbedingten Verschwiegenheitspflicht eine Gefahr für Leib und Leben. Auch Roger Pycha sieht im Interview mit der TAGESZEITUNG gute Gründe, Korrekturen am Ärztegeheimnis vorzunehmen – und widerspricht Reinhard Haller.
TAGESZEITUNG Online: Herr Pycha, manche Stimmen fordern eine Aufweichung des Ärztegeheimnisses.
Roger Pycha: In der Psychiatrie machen wir das sowieso, aber da plaudere ich aus der Schule. Wenn es um Leben und Tod geht, muss man sich die ärztliche Schweigepflicht sehr gut überlegen. Wenn ich hier einen Suizid-Kandidaten habe, erlaube ich mir, dessen Partner oder dessen Eltern zu verständigen.
Auch dessen Arbeitgeber?
Wenn ich weiß, der ist Pilot und will fliegen, dann auch den Arbeitgeber. Da geht es um Schadensbegrenzung in jeder Hinsicht. Gerade diese tragischen Beispiele lehren uns, dass es solche Fälle geben kann und wir darauf achten müssen. Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass sich die Fachleute neu verhalten.
Sollte jemand, der einmal suizidgefährdet war, nie wieder in ein Cockpit dürfen?
Suizidalität kann man natürlich verlieren, aber nachdem wir das Risiko jetzt kennen, würde ich sagen: Wer einmal wegen Suizidgefahr in Behandlung war, sollte nicht Pilot werden können. Das klingt jetzt diskriminierend, aber darauf sollte die Gesellschaft schon achten. Wir lassen ja auch nicht Betrunkene mit dem Auto fahren.
Interview: Anton Rainer
LESEN SIE IN DER PRINT-AUSGABE:
* Was der Gerichtspsychiater REINHARD HALLER zum Motiv des Andreas Lubitz sagt.
* Und: Warum psychiatrische Patienten nach der Germanwings-Katastrophe wieder stigmatisiert werden.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.