Die SEXpertin
Frauen wollen im Bett dem Partner gefallen und stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. Die Historikerin und (S)expertin Roberta Rio bricht eine Lanze für die weibliche Sexualität.
TAGESZEITUNG Online: Fühlen Frauen heutzutage überhaupt, ob es ihnen gut geht, oder wollen Sie einfach nur anderen gefallen und in Ihre Vorstellung passen?
Roberta Rio: Viele Frauen widmen den Anforderungen und Ansprüchen anderer mehr Aufmerksamkeit, als auf sich selbst zu achten und ihr Wohlbefinden zu fördern. Das ist aber Gewohnheit und ein Denkmuster. Wir sind dabei immer noch stark von Erziehung, Kultur und auch Religion stark geprägt. Der Abstand, den man zum eigenen Körper einnimmt, ist eigentlich anerzogen.
Wann merkt man, ob es einem gut geht?
Diese Muster spielen sich in der Gesundheit der Frauen wieder. Wenn eine Frau harmonisch mit dem eigenen Körper lebt, zeigt sich das. Unregelmäßigkeiten im Menstruationszyklus sind ein Zeichen für Unausgewogenheit. Auch Brustkrebs, Essensstörungen und vieles mehr sind ein Zeichen dafür, wenn man aus der Bahn geworfen wurde. Frauen müssen in einer Gesellschaft funktionieren, die stark von männlicher Energie geprägt ist. Das ist nicht mit Männern gleichzusetzen, denn auch Frauen haben manchmal eine männlich Energie. Dann werden sie mit der Zeit krank und unzufrieden.
Wie kann man sich bewusst wohlfühlen?
Es gibt viele verschiedene und individuelle Wege. Ein wichtiger Schlüssel ist die Verbindung mit der Natur, das erreicht man mit ganz praktischen kleinen Dingen, beispielsweise beim Spazieren. Man muss für sich Wege finden, damit man zu sich findet. Auch das genaue Kennen unserer Geschlechtsorgane hilft den Frauen. So sollen sie beispielsweise den Menstruationszyklus bewusst erleben, denn man ist jeden Monat damit konfrontiert und kennt ihn kaum.
Was sollte man beispielsweise beachten?
Die Frau durchlebt vier Phasen im Monat. Es gibt Tage, an denen sie am besten alleine ist – und das sollte man, wenn möglich, auch respektieren. Die Tage des Eisprungs sind die größten Kreativitätstage: Wenn man schon kein Kind zur Welt bringt, sollte man seine Projekte voranbringen.
Großes Thema ist auch die Sexualität an und für sich: Wie stehen Frauen dieser gegenüber?
Es gibt einen großen Bedarf, in geschützten Räumen über solche Themen zu sprechen. Man muss aber noch verstehen, was die weibliche Sexualität ist. In der heutigen Zeit wird das Bild der Frau dazu verwendet, verschiedene Produkte zu verkaufen. Unabhängig davon, ob es sich um Fliesen oder Schuhe handelt, werden jene weiblichen Attribute hervorgehoben, die im Mann einen visuell bedingten sexuellen Reiz auslösen können. In diesem Spiel sind beide – sowohl Männer als auch Frauen – Opfer einer Konditionierung. In der Sexualität neigen Frauen oft dazu, den Partner zu befriedigen, bevor sie sich bewusst sind, was ihnen selbst gefällt beziehungsweise gut tut. Das heißt, sie verstellen sich aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist das Bedürfnis, sich nach außen hin zu behaupten. Dabei folgen sie stets dem Kanon der männlichen Sexualität. Wir müssen uns vom Irrglauben, falschen Gewohnheiten, Tabus und Denkschemas befreien. Sexualität gehört nicht zum Kopf, sondern zu unserem Körper. Wir dürfen uns nicht nur vom Denken und vom Kopf bewegen lassen. Frauen sollen sich selbst und ihren Körper besser kennenlernen und auch verstehen, dass dabei so vieles in ihrer Hand liegt.
Welche Tabus gibt es für Frauen in der Sexualität?
Da gibt es mehr als genügend davon. Denken wir nur an das Blut und an verschiedene Körperteile.
Warum verstellen sich Frauen?
Frauen sollten einen Weg zu sich selbst finden und dann authentisch bleiben, im Alltag und auch in der Sexualität. Es ist nicht einfach, aber wir sollten uns von solchen Bildern befreien. Wenn wir alle gleich aussehen, bekommen wir Sicherheit – aber das ist nicht die Sinn. Das Risiko ist aber hoch: Wir werden unser eigenes Potential nicht erkennen und ausleben.
Interview: Karin Köhl
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